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Die Letzte Generation, Scholz, und der kategorische Klima-Imperativ

Liebe Leute,

Ihr wisst, ich rede viel und gerne, und manchmal rede ich halt auch wirkliche Scheiße. So geschehen am vergangenen Montag, als ich in einem Tweet eine dämliche & respektlose Formulierung in Bezug auf eine Frau verwendete, die nach einem Unfall in Lebensgefahr schwebte, und heute hirntot erklärt wurde. Das Ganze wurde mit der Letzten Generation in Verbindung gebracht, woraufhin sich ein enormer Shitstorm entwickelte, in dem es natürlich nicht um meinen dämlichen Tweet ging, sondern darum, eine Linie zu ziehen: bis hierher darf Klimaaktivismus, aber nicht weiter - also die selbe Frage, um die es schon in den viel banaleren Tomatensuppe-und-Kartoffelbrei-Debatten ging.

Die Berliner Zeitung ließ mich am Dienstag meine Position dazu aufschreiben, stellte den Text aber hinter eine Paywall. Daher poste ich ihn hier frei zugänglich in der Originalversion, muss mich aber an einer Stelle korrigieren: es gibt keinerlei Belege, dass die Klima-Blockaden zur Verzögerung des Rettungsfahrzeugs beigetragen haben. Trotzdem wir hier eine Linie in den Sand gezogen; bis hierher, ihr Klimakriminellen, und nicht weiter.

Danke fürs Lesen, sowie Euren politischen wie praktischen Support, der mir in den letzten Tagen und den vergangenen Wochen sehr gut getan hat.

Euer Tadzio

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Die Letzte Generation, Scholz, und der kategorische Klima-Imperativ

Jetzt ist alles plötzlich sehr ernst geworden. Wir reden nun endlich über das, worum es beim Klimaschutz eigentlich geht: um Menschenleben. Es geht darum, diese zu retten, und die langfristige Überlebensfähigkeit der Menschheit auf diesem Planeten sicherzustellen. Wir reden auch über das Leben einer Frau, die nach dem gestrigen Unfall in Lebensgefahr schwebt.

Gestern Morgen auf der Berliner Bundesallee überrollt ein Betonmischer eine Fahrradfahrerin, diese wird schwer verletzt. Das daraufhin angeforderte Spezialfahrzeug verspätet sich durch einen Stau auf der A100 – offenbar verursacht durch eine Blockadeaktion der Klimaaktivist*innen der Letzten Generation. Durch die verzögerte Rettung verschlechtert sich der Zustand der Verletzten derartig, dass sie nun in Lebensgefahr schwebt.

Zunächst einmal: Es überhaupt noch nicht klar ist, ob wirklich die Blockaden der Letzten Generation zur Verspätung führten, oder ob es einfach nur der „normale automobile Wahnsinn“ war, der wieder einen Stau produzierte, und dessen Teilnehmer*innen nun mal oft keine Rettungsgassen bilden. Doch selbst wenn es so war, sind es die Vorwürfe der Berliner Feuerwehr, die die nächste Runde einer Debatte auslösen.

Dabei haben wir diese in den vergangenen Wochen schon entlang der viel banaleren Frage geführt: Ist es angesichts der eskalierenden Klimakatastrophe legitim, Kartoffelbrei oder Tomatensuppe auf Gemälde zu schütten? Wie weit darf Klima-Aktivismus für ein gesamtgesellschaftlich anerkanntes Ziel gehen? Welche Risiken darf er einberechnen, wie sehr darf er die Normalität unseres klimazerstörenden Alltags selbst stören?

Leider habe ich gestern in diesem Zusammenhang einen wirklich extrem dämlichen, empa2thielosen Tweet geschrieben. Ich scheue mich, meine Worte zu wiederholen, aber der intellektuellen Redlichkeit wegen und zur Einordnung: Ich habe diesen tragischen Unfall mit den respektlosen Worten „Shit happens“ abgetan. Dann rief ich die Letzte Generation auf, sich nicht einschüchtern zu lassen. Diesen Tweet habe ich gelöscht, und bat und bitte um Entschuldigung: Das war, um in meiner Diktion zu bleiben, richtig „shit“. Ich wünsche der Verletzten schnelle Besserung.

Wie man in Twitter hineinruft, so schallt es heraus, und schon bald war meine Timeline und Posteingang voller Nachrichten, die mir – korrekter- und berechtigterweise – meine Empathie- und Respektlosigkeit vorwarfen. Sie betonten, es dürfe niemals ein Menschenleben infrage gestellt oder relativiert oder gefährdet werden.

Dass die meisten dieser Tweets und Messages selbst extrem respekt- und empathielos waren, hat mich nicht überrascht, aber trotzdem verletzt. „Wir haben Dich!“, „Du degenerierte Schwuchtel“ waren noch harmlos. Wieder wurde mir Mord angedroht. Das legt leider nahe, dass es vielen Kommentatoren selbst nicht um das Leben der Verletzten ging, genauso wenig, wie sie sich um einen Van Gogh oder einen Monet sorgen. Vielmehr wollen sie den Klima-Aktivismus delegitimieren. Darum ging es wohl auch dem BILD TV-Kamerateam, das mir vor meiner Haustür auflauerte, um mich zu einer weiteren dummen Aussage zu verleiten. Irgendwie war das erschreckender, als jede Morddrohung per Twitter: woher haben die meine Adresse – und wer hat die noch?

Die Debatte, was Klimaaktivismus darf, dauert schon länger und ausgerechnet Olaf Scholz hat hier ausnahmsweise etwas wirklich Kluges gesagt. Nämlich, man müsse bei politischen Entscheidungen immer bedenken, dass sie nicht zur Gefährdung anderer beitrage. Dieses Prinzip könnte man als eine Art kategorischen Klima-Imperativ etablieren: Handle immer so, dass Deine Entscheidungen keine Anderen gefährden.

Leider ist es so, dass die, mit dem Soziologen Stefan Lessenich gesprochen, unsere Gesellschaft ständig Entscheidungen trifft, die das Leben von Menschen gefährden: Meistens sind dann aber Menschen im „globalen Süden“ betroffen. Manchmal betrifft es uns auch hier, ob im Ahrtal oder im deutschen Straßenerkehr. Wir „akzeptieren“ als Gesellschaft dieses Risiko, versuchen es zwar zu minimieren. Aber wir erkennen an, dass mehrere Tausend Menschen pro Jahr geopfert werden, damit wir von A nach B gelangen können. Auch das ist eine ziemlich kalte Rechnung, an deren Ende Menschen sterben. Im vergangenen Jahr starben 2562 Menschen auf deutschen Straßen.

Im Falle der Klimabewegung aber soll jetzt das Prinzip gelten: nur solche Aktionen sind legitim, die ein null-prozentiges Risiko beinhalten. Menschen dürfen nicht zu Schaden kommen. Dieses Prinzip gilt bei keinem anderen gesellschaftlichen Großprojekt. Es gilt weder beim Fußball noch beim Feiern – die Love Parade fand vergangenes Jahr wieder statt.

Die Antwort auf die Frage, was legitim ist, verschiebt sich derzeit immer wieder, weil die Klimakatastrophe immer klarer einen gesellschaftlichen Notstand darstellt. Im Notstand sind auch Handlungen legitim, die anderweitig inakzeptabel wären.

Es geht um materielle Interessen, um Wohlstand, um Macht und Privilegien. Es geht schon lange nicht mehr nur um das Klima, das haben die Demonstranten längst verstanden. Sie wollen ein bestehendes System, den fossilen Wachstumskapitalismus, herausfordern. Dabei wird es zu tragischen Unfällen kommen. Das darf aber nicht bedeuten, dass Klima-Aktivismus jetzt nur noch bedeutet, statt zu demonstrieren nur noch freundlich zu bitten, doch endlich das Klima zu schützen.

Das hat 2019 auf dem Höhepunkt der Popularität von Fridays For Future nicht funktioniert, und es würde jetzt noch weniger funktionieren. Die deutsche Gesellschaft hat verstanden, dass Klimaschutz hierzulande breiten Wohlstandsverlust bedeuten würde. Schon Martin Luther King und die Frauenrechtlerin Sylvie Pankhurst wussten: Um tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung zu erreichen, muss die Normalität einer Gesellschaft unterbrochen werden. Das hat in diesem Fall leider zu einem Unfall geführt. Aber im Unterschied zur Normalität dieser Gesellschaft gefährdet Klima-Aktivismus nur in absoluten Ausnahmefällen Menschen. Unsere Normalität tut dies jeden Tag.

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