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Liebe Leute!

Unten folgt der erste Text meines Newsletters. Als langjähriger Aktivist für globale und Klimagerechtigkeit, als durchtriebene queere Schlampe, und als Politikwissenschaftler versuche ich seit über zwei Jahrzehnten, in diesen Kämpfen die Sache der Befreiung, der Emanzipation, des guten (& geilen) Lebens für Alle voranzutreiben.

Was ich im Sinne der und für die Sache denke, rede und schreibe, möchte ich in diesem Newsletter mit Euch teilen: Alle zwei Wochen werdet Ihr einen Text von mir zugeschickt bekommen. Die werden vor allem von Taktiken, Strategien und Perspektiven der Klimabewegung – und von Klimagerechtigkeit handeln. Doch  der Kampf gegen den Normalwahnsinn ist kompliziert, hat viele Fronten. So wird mein affirmativ-exzessives queeres Leben auch mal im Newsletter auftauchen, weil: Das Private ist numal politisch.

Eine Bitte

Dieser Newsletter ist und bleibt kostenlos zugänglich. Wie Ihr vielleicht wisst, wurde mein Aktivismus bis Anfang 2021 von der Rosa Luxemburg Stiftung finanziert und bis jetzt durch die Arbeitsagentur. Den RLS-Job verlor ich u.a. wegen meiner radikalen Klimapositionen. Weil ich diesen Aktivismus weiterhin unabhängig und radikal – weder  durch Institution noch Bündnis eingehegt – weiterbetreiben möchte,  muss ich mich über andere Quellen finanzieren. Deshalb wäre Euch dankbar, wenn Ihr hier auf Spendenbasis "Mitglied" werdet. Ich glaube, ich bin schon seit langer Zeit für die Sache da. Bitte helft mir, damit weiterzumachen.

Danke an Euch alle,

Tadzio Müller

Klimagerechtigkeit vs. Deutschland

Sonntag der 6.2., ca. 23:15, ein Fernsehstudio irgendwo in einem alten Industriegebiet in Köln: ich bin eingeladen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), auf dem noch aus den 90er Jahren stammenden „heißen Stuhl“ von SternTV zu erklären und verteidigen, warum ich, 1. die eskalierende Klimakrise für einen gewaltvollen Prozess halte; 2. der Meinung bin, dass Klimapolitik im Sinne von Klimaschutz nicht stattfindet; und 3. in dieser Situation friedliche Sabotageaktionen – also solche, bei denen z.B. Kohlebagger oder Gerätschaften, die ein Gaskraftwerk bauen, fachgerecht außer Stand gesetzt werden, und bei denen zuallererst peinlich genau darauf geachtet wird, dass keine Menschen zu Schaden kommen, und die *nicht* stattfinden, wenn eine irreduzible Gefahr für Leib und Leben bestehen – für einen wichtigen Weg nach vorne halte.

In der Pressearbeit halbwegs erfahren (und nach zwei eigentlich sehr freundlichen und themenbezogenen Vorgesprächen), habe ich mir meine drei „talking points“ vorher zurechtgelegt, eingeübt, und mich auf eine zwar harte, aber doch zumindest ansatzweise intellektuell redliche Diskussion eingestellt. Was übrigens zeigt, dass Erfahrung nicht vor Dummheit schützt, denn von Nikolaus Blome, einem ehemaligen BILD-Chefredakteur, eine faire Diskussion zu erwarten, ist so, wie in einem schwulen Darkroom Frauen zu suchen: I suppose it can happen, but it's extremely unlikely.

Was folgt, ist dementsprechend auch keine Diskussion – im Sinne eines dialogischen Prozesses – sondern der Versuch, meine solide in empirischen Daten, historischen Analysen und einer globalen Verantwortungsethik gründenden Punkte zu delegitimieren, und mich in einem absurden Diskurs über „Gewalt“ festzusetzen, in dem die 134 Toten im Ahrtal aus dem vergangenen Jahr, ebenso wie die mindestens sechs Menschen, die am selben Tag, an dem wir in Köln „diskutieren“ in Madagaskar dem Zyklon Batsirai zum Opfer fielen, irgendwie weniger wichtig erscheinen, als ein paar Schrauben, die aus einem Braunkohlebagger herausgedreht werden könnten, um ihn einige Tage lahmzulegen (hat tip Clara Thompson). Natürlich redet Blome nicht von Schrauben und Kohlebaggern, sondern unterstellt mir, Autos anzünden zu wollen (wozu ich mich bewusst nicht geäußert habe), während die Redaktion im Hintergrund recht unsubtil-manipulativ Bilder von Riots in Seattle, Riots in Hamburg, und ganz im allgemeinen brennender Autos einblendet.

Glücklicherweise scheitert dieser Versuch, ich lasse mich vom Nikolaus und seinen drei kleinen Helferlein nicht provozieren, lasse mich nicht auf den Gewaltdiskurs ein, sondern mache in einer für einen aufbrausenden ADHS-Hektiker und arroganten Bildungsgroßbürger überraschend ruhigen Art und Weise meine Punkte. Am Ende schaffe ich es sogar, „das letzte Wort“ zu haben: „Die globale Verantwortung, die wir haben, ist, uns nicht so zu verhalten, wie Arschlöcher“, sondern im Sinne dessen zu handeln, was als „goldene Regel“ (was Du nicht willst...) eine ziemlich weite Verbreitung als zumindest konzeptionell verallgemeinerbarer ethischer Standard erreicht hat. Eben: don't be an asshole. Der freundliche Zuspruch, der Support zweier meiner kommunikativen Bubbles –  basically: Linke und Klimas – ist mir sicher. (Danke nochmal dafür!)

Was muss man wohl für ein wohlstandsverwahrlostes Arschloch sein, um deutsche Autos über Menschenleben in Madagaskar stellen zu können? Hier klingt das Diktum des älteren US-Präsidenten Bush (George Herbert Walker Bush) an, der auf dem Weg zum Erdgipfel in Rio, 1992, einmal sagte: „the American Way of Life is not up for negotiation. Period.“

Montag der 7.2., ab ungefähr 8 Uhr morgens im Twitterverse: ein nicht unerheblicher Teil der Linkstwitter-Bubble, die mich am Sonntag Abend und jetzt noch mehr abfeiert und unterstützt, fängt wieder an, auf den Aktivist*innen der „Letzten Generation“ herumzuhacken, die im Kampf für einen rationaleren, klimaschützenderen, mithin global gerechteren Umgang mit Nahrungsmitteln immer wieder Autobahnen und Hauptverkehrsadern in Berlin und andernorts blockieren. Allenthalben schallen Kampfbegriffe wie „Bürgerkinder“ und „Arbeiter*innenverachtung“ durch den öffentlichen Raum, rufen auch diejenigen, die mir in den vergangenen 1-2 Jahren immer wieder zugestimmt haben, dass es für die Klimabewegung jetzt darum gehen müsse, in den gesellschaftlichen Normalbetrieb einzugreifen und diesen zu stören, es doch bitte, bitte den ausgebeuteten, geknechteten, unter den Knute des deutschen Autokapitalismus stehenden Arbeiterinnen und Arbeitern nicht so schwer zu machen, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen.

Da ist sie in all ihrer Glorie: die „neue Klassenpolitik“, von der die verzweifelten Retroarbeiterist*innen auf der deutschen Linken seit bald einem Jahrzehnt immer wieder reden, ohne dabei klarmachen zu können, was daran neu ist, in der der altlinke „Hauptwiderspruch“ wieder fröhlich Urständ feiert. Vergessen die Analyse Lenins, des Antiimperialismus, der sozialen Bewegungen der 1960er und 70er Jahre, dass die Arbeiter*innenklassen des globalen Nordens zu erheblichen Teilen eine „Arbeiter*innenaristokratie“ darstellt; dass die Superprofite, die im globalen Norden dank einer immer noch (post)kolonial und (spät)imperialistisch strukturierten kapitalistischen Weltwirtschaft anfallen, in Teilen an Arbeiter*innen umverteilt werden, um so ihre Einbindung (Kooptierung / Pazifizierung) in den deutschen Autokapitalismus sicherzustellen. Dass im globalen Maßstab Arbeiter*innen in Deutschland auch Ausbeuter*innen sind. Eine im Grunde messianisch denkende Linke kann dies nicht anerkennen – der Messias kann ja nicht böse sein. Diese alltägliche Verdrängungsleistung wird durch die Aktionen der Letzten Generation infrage gestellt. Und was passiert, wenn Verdrängungsleistungen infrage gestellt werden, konnte man in der Reaktion auf den Begriff „grüne RAF“ sehen: sogar kluge Menschen drehen unter solchen Umständen ein Bisschen durch, fangen an, totalen Quatsch zu reden.

Am Ende bleibt die Angst, die mich vor dem Auftauchen der jungen #GenerationKlima, für-sich-geworden in Fridays For Future, auf der historischen Weltbühne schon fast in die Politdepression trieb: das es beim Klimaschutz keine Parteien mehr gibt. Sondern nur noch Deutsche.

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