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Die Wahrheit über meine Fotos 

Ich möchte dir etwas zeigen. Es ist zwar kein Geheimnis, aber die wenigsten wissen, dass es existiert. Es ist nicht schön – und trotzdem erhellend. Es ist die Wahrheit über meine Fotos.

Was du siehst, ist das, was man in der analogen Fotografie einen Kontaktabzug nannte – eine Übersicht, die dir alle Aufnahmen eines Films, oder – wie bei mir – einer Speicherkarte zeigt. Es sind 307 Fotos, die ich an einem sonnigen Tag im Mai gemacht habe.

Ich zoome ein wenig näher ran. Hervorgehoben siehst du die sechs Aufnahmen, die nach mehreren Auswahldurchgängen übrig geblieben sind. 

Es bleiben sind 6 von 307 Fotos, die ich speichern werde. Alle anderen landen im Papierkorb. 

Als ich vor vielen Jahren zu fotografieren begann, fiel mir dieser Schritt unfassbar schwer. Ich konnte keine Fotos löschen. Und deshalb speicherte ich in den ersten Jahren ALLE Aufnahmen. Das kostete sehr viel Speicherplatz. 

Über die Zeit hat sich das herausgestellt: Je älter ich werde, desto weniger Fotos behalte ich. Wie diese sechs. 

Diese Aufnahmen werde ich im Juni zusammen mit den Anderen aus dem Mai noch oft ansehen – und nur die besten veröffentlichen. Das ist die finale, endgültige Auswahl. Mein Gefühl sagt mir, dass es diese drei sein werden: 

Die unbequeme Wahrheit über meine Fotos ist, dass die meisten Schrott sind

Weil ich aber – wie in diesem Fall – nur drei davon publiziere, wirkt das so, als ob es die anderen 300 Aufnahmen nie gegeben hätte. Als ob ich diese drei Szenen gesehen und nur drei Mal den Auslöser gedrückt hätte. Wie genial! 

Dabei drückte ich ein hundertmal mehr ab. 

Das ist nicht schlimm, denn das gehört zum Handwerk zur Fotografie dazu, genauso, wie Journalist:innen Texte kürzen, umstellen oder komplett wegwerfen, um noch einmal von vorn anzufangen. Kill your Darlings.

Wie man Fotos heute lesen muss

Bisweilen, wenn ich heimlich für mich denke, dass ich ein besonderer Fotograf bin, erinnere ich mich an meine Kontaktabzüge. Sie nehmen dem Ganzen das Individuelle, und wenn wir so weit gehen wollen, den Zauber der Fotografie. 

Bekannte Fotograf:innen veröffentlichen heute ihren Kontaktabzug, weil sie nicht wollen, dass ihre Fans diese Wahrheit sehen. Auch das ist nicht schlimm, man muss nur wissen, wie man die Fotos dieser Stars und Sternchen „lesen“ muss:

Wenn man ein Bild sieht, bei dem man denkt: „Wow, krass, unfassbar! Grandios!“, muss man sich die Schrottfotos dazudenken. Dann gehts wieder.