Autorin mit Leidenschaft
Wie Ute Hacker 38 Bücher nebenbei schrieb
DEINE-KORRESPONDENTIN-Unterstützerin Ute Hacker verfasst in ihrer Freizeit Krimis, Kinderbücher und Romane. Manche ihrer Bücher sind Bestseller – davon leben kann sie trotzdem nicht. Ein Porträt.
Von Anne Klesse, Hamburg
Als Luisa Hartmann (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hat sie etliche Kinderbücher geschrieben, zuletzt die Neuauflage von „Kleiner Pinguin ganz groß“ und die Nordsee-Reihe „Ziemlich beste Ferien“; als Ann E. Hacker mittlerweile den fünften „Café Hannah (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“-Roman über eine Hamburgerin namens Hannah Jensen. Und als Billie Rubin (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) verfasste sie Krimis wie „Foules Spiel“ oder „Kaltes Dorf“. Tatsächlich stammen all diese Werke aus derselben Feder: Autorin ist die Münchenerin Ute Hacker (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Schreiben sei schon immer Teil ihres Lebens gewesen, erzählt sie. „Mein Traum war, Schriftstellerin zu werden.“ Doch damit Geld zu verdienen, erschien ihr schwer: „In Deutschland wird streng zwischen U- und E-Literatur unterschieden – für mich war immer klar, ich gehöre in den Bereich U und damit nicht zur Riege der ernstzunehmenden Schriftstellerinnen.“ Das U steht gemeinhin für unterhaltende, das E für ernsthafte Literatur.
Hacker, Jahrgang 1958, machte also eine Ausbildung zur Buchhändlerin und blieb zunächst auch einige Jahre in ihrem Beruf. Seit bald zwei Jahrzehnten arbeitet sie zwar mit demselben Team, aber in unterschiedlichen Firmen und Bereichen. Bis vor Kurzem war sie im Fondsmanagement, nun kümmert sie sich um Umsatzsteuer-Voranmeldungen. Nebenbei jedoch geht Hacker ihrer Leidenschaft nach und veröffentlicht Bücher, sehr viele Bücher. Aktuell arbeitet sie an Nummer 39.
Das erste Buch war ein „totaler Flop“
Ihr erstes – der Krimi „Schwabinger Schatten“ – erschien im Jahr 2000 im Vertigo Verlag, da war sie 42 Jahre alt. Im Klappentext heißt es: „Melanie ist Journalistin – jung, hübsch, tot. Alex will den Mörder ihrer besten Freundin finden und stürzt dadurch in eine Beziehungskrise mit Michael. Hans will Alex und setzt seinen ganzen Charme ein. Solomon will den lukrativen Auftrag – geht der Stararchitekt über Leichen?“ 208 Seiten, 2002 erschien die zweite Auflage. „Ein totaler Flop“, sagt Hacker trotzdem und lacht. „War auch, glaube ich, nicht wirklich gut.“ Aber: Sie hat es durchgezogen, darauf ist sie stolz. Und es war der Startschuss für mehr. Beinahe jedes Jahr folgten weitere Bücher.
Ihr aktuelles Projekt ist ein Kinderbuch, das 2023 als drittes in ihrer Nordsee-Reihe im Verlag Biber & Butzemann herausgegeben werden soll. Für die Abenteuergeschichte will sie auf der Insel Wangerooge im niedersächsischen Wattenmeer recherchieren. „Der erste Teil spielte auf Spiekeroog, der zweite auf Langeoog“, so Hacker. Gemeinsam mit ihrem Mann Manfred möchte sie Eindrücke vor Ort sammeln. Das ist ihr wichtig: „Meine Beschreibungen der Landschaft, des Wetters und der Leute müssen authentisch sein.“
Die Reihe dreht sich um zwei Freunde und das Thema Naturschutz. So stießen im ersten Teil zwei Schiffe vor der Insel zusammen, eine Ölpest drohte. Dieses Mal ließ Hacker sich von den Nachrichten inspirieren: Eine Walrosskuh aus der Arktis war im Herbst 2021 vor den ostfriesischen Inseln aufgetaucht – ein seltenes Phänomen, das zuletzt vor 25 Jahren der Fall gewesen war und über das im vergangenen Jahr bundesweit berichtet wurde. „Dieses Walross wird auf jeden Fall in meiner Geschichte vorkommen“, so Hacker.
Sie selbst las lange am Liebsten Krimis, weshalb sie auch selbst mit solchen Geschichten begonnen habe. „Inzwischen lese ich quer durch alle Genres – von Literatur bis zu trivialen Liebesromanen, vor allem aber solche aus Großbritannien und Irland.“ 39 Krimis, Romane und Kindergeschichten – wie sind dieses Pensum und diese Bandbreite zu schaffen – auch noch nebenberuflich?
Vier Tage Hauptjob, ein Tag für das Schreiben
Hacker findet: „Es gibt nichts Schlimmeres, als jeden Tag den gleichen Schmarrn zu machen.“ Vier Tage die Woche arbeitet sie in ihrem Hauptjob, der Freitag ist für das Schreiben reserviert. „Um acht Uhr morgens sitze ich am Computer und schreibe bis mittags“, erzählt sie. „Zum Glück sorgt mein Mann dafür, dass ich Pausen mache und zwischendurch etwas esse, sonst würde ich die Zeit vergessen.“ Er unterstütze sie, ihm erzähle sie auch unfertige Ideen, „um zu schauen, wie er darauf reagiert, ob das funktioniert.“
Manchmal bespricht sie sich auch mit anderen, zum Beispiel den Verleger*innen der zumeist kleineren Verlage, mit denen sie arbeitet. Für die Wangerooge-Geschichte ließ sie sich von jungen Zuhörer*innen bei einer Lesung inspirieren. Sie selbst hat keine Kinder und dachte zunächst nicht daran, Kinderbücher zu schreiben. Auf die Idee brachte sie ihre Literaturagentin, die darauf spezialisiert ist.
Ihre eigene Herangehensweise beschreibt Hacker als „sehr strukturiert“. „Zunächst arbeite ich ein sehr ausführliches Konzept aus, erst dann fange ich an zu schreiben“, so Hacker. „So weiß ich immer genau, welche Szene als Nächstes folgt. Das funktioniert ganz gut. Und irgendwann kommt tatsächlich ein Buch dabei heraus.“ Anregungen holt sie sich meistens an den Orten der Geschehnisse, spricht mit Bewohner*innen, die sich auskennen. Dort entstehe aus einer Idee und einem groben Thema eine Geschichte.
Dafür verarbeite sie auch eigene Erlebnisse und Begegnungen: Einmal wurde aus ihrem Pfleger, der sie im echten Leben im Krankenhaus umsorgte, eine Romanfigur – der habe das aber nie erfahren, sagt sie und lacht. Ihre Figuren entwickelt sie sehr genau, bevor es ans eigentliche Schreiben geht. Jeder Charakter hat eine detaillierte Biografie, die zwei Generationen zurückgeht. „Gerade bei Serien ist das ganz wichtig“, findet sie. Ob Kinderbücher oder Krimis – sie liebe beides. „Während diese beiden Genres strikt geplant werden, lass ich den Figuren bei Café Hannah sehr viel freien Lauf und bin immer wieder selbst fasziniert, was da alles passiert.“
Ute Hacker ist eine außergewöhnlich fleißige Schreiberin, manchmal schafft sie sechs Bücher pro Jahr. „Ganz ehrlich: Keine Ahnung, wie ich das neben meinem – in der Vergangenheit sogar noch Vollzeitjob – gemacht habe.“ 2002 wechselte sie in Teilzeit, ein paar Jahre später vereinbarte sie die 4-Tage-Woche. „Die Stelle erhielt ich unter anderem auch aufgrund meiner Romanveröffentlichungen – der Chef meinte damals: ,Bei Ihnen weiß ich, dass Sie etwas zu Ende bringen!“
Die meisten ihrer Bücher wurden in kleinen Verlagen veröffentlicht, sie mag den persönlicheren Kontakt dort und die Möglichkeit, mehr mitbestimmen zu können, zum Beispiel bei der Cover-Gestaltung. Die Startauflagen liegen meist bei rund 2.000 Stück, selten auch mal bei 3.000. Da das Marketing-Budget klein ist, kümmert sie sich um vieles selbst: sie druckt Flyer, organisiert Lesungen, verschickt neuerdings einen Newsletter.
Von ihrem beliebtesten Buch verkaufte sie 60.000 Exemplare
Ihren „Longseller“ gibt es schon seit 17 Jahren: „Holiday Job: Detective!“, der erste Teil einer zweisprachigen Kinderkrimireihe auf Deutsch und Englisch, die ursprünglich bei Langenscheidt erschien. Rund 60.000 Exemplare wurden – mittlerweile bei Pons – davon verkauft und gilt damit als Bestseller.
Trotzdem verdient Hacker pro verkauftem Buch (Ladenpreis rund 7 Euro) nicht einmal einen Euro: „Da müssen viele über den Ladentisch gehen, um davon leben zu können, zumal in einer Stadt wie München.“ Wenn sie Teil eines Teams mit anderen Autor*innen ist, wird der Anteil von maximal zehn Prozent des Nettoverkaufspreises aufgeteilt. Trotzdem: „Die Bücher bringen immer ein gutes Taschengeld für den Urlaub.“
Besonders gut verkaufen sich Themen, „die zeitlos und das ganze Jahr über präsent sind“. Kinderbücher machten ihr zwar großen Spaß, und bei Lesungen erhalte sie tolles Feedback, aber finanziell lohne sich dieses Genre überhaupt nicht. Gelernt habe sie darüber hinaus in all den Jahren, dass Rezensionen auf Amazon ungemein wichtig seien, da das Buch dadurch im Ranking weiter oben positioniert werde und dadurch mehr Aufmerksamkeit erhalte.
Angefangene Romane und wenig Zeit zum Schreiben
Allerdings gab es auch Phasen, in denen es insgesamt nicht gut lief mit dem Schreiben. Bücher, die niemand lesen wollte, fehlende Ideen. Angefangene Romane, die sie nicht fertigstellte, weil sie ab Seite 50 nicht mehr wusste, wie es weitergehen soll. Ihre Eltern wurden pflegebedürftig und sie musste sich kümmern, hatte keine Zeit mehr für ihre Leidenschaft. „Das war der größte Einbruch zwischendurch“, erklärt sie. Lesungen macht sie nur noch innerhalb Bayerns, alles andere ist ihr wegen ihres Hauptjobs zu stressig.
Außerdem möchte sie Zeit haben für ihre eigenen Interessen. Hacker ist vielseitig interessiert und engagiert, fotografiert gerne, bildet sich in Schreibseminaren fort, vernetzt sich mit anderen Autor*innen. Unter anderem gründete sie die Online-Schreibgruppe „International Women Writing Group“ und unterstützt seit einiger Zeit auch DEINE KORRESPONDENTIN finanziell. Sie möchte Autorinnen fördern – „und die Geschichten der Korrespondentinnen gefallen mir, es werden spannende Persönlichkeiten vorgestellt.“ In zwei Jahren geht Ute Hacker in Rente. Sie freut sich auf diese Zeit, denn dann werde sie sich nur noch auf ihre Bücher konzentrieren.