Wie deine Muskeln mit deinem Gehirn kommunizieren
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über eine Entdeckung, die unser Verständnis verändert hat, wie Muskeln unser Wohlbefinden beeinflussen.
Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Der Mann auf dem Bild oben, das bin nicht ich.
Auch, wenn ich seit einigen Monaten mit einem Freund regelmäßig ins Fitnessstudio gehe. Früher war der Gang ins Gym für mich eine nervige Pflicht, die ich für meine Basketballkarriere (damals dachte ich noch, ich hätte eine) auf mich nehmen muss. Jetzt, wo meine Knöchel entschieden haben, dass ich beim Basketball lieber zugucken sollte, ist das Pumpen im Studio keine nervige Nebenbeschäftigung mehr, sondern ein großer Teil meines Sportpensums (neben joggen und schwimmen).
Der erwähnte Freund ist auch Journalist und hat sich in zwei Recherchen penibel in die Wissenschaft hinterm Pumpen und Stoffen (so nennt man das, wenn Pumper sich z.B. Testosteron spritzen) eingelesen. Ich bin da selbst nicht ganz so ambitioniert, aber ein bisschen Wissen habe ich mir auch angeeignet.
Dabei bin ich auch über Abläufe im Körper gestoßen, die ich in meinen bisherigen Ausgaben zu Sport und Gehirn noch nicht aufgegriffen hatte. Kurz: Es geht um Myokine. Das sind Botenstoffe, die unsere Muskeln produzieren und die über die Blutbahn verschiedenste Prozesse im Körper steuern – und eben auch: im Gehirn. Sie sind eine Art Nachricht, die die Muskeln zum Kopf schicken und die dort Auswirkungen hat, die du kennen solltest. Deswegen fasse ich heute die aus meiner Sicht beste Studie zu diesem Thema zusammen. Wie immer so, dass man sie auch versteht, wenn man sich das Wort Myokine auch nach dem dritten Lesen nicht merken kann (so ging es mir).
Nichts geht über ein gutes Gespräch
Obwohl Wissenschaftler:innen schon lange wussten, dass Bewegung positive Effekte auf die Gesundheit hat (Surprise!), wurde erst um die Jahrtausendwende klar, dass Muskeln tatsächlich eine endokrine Funktion haben können, also Botenstoffe abgeben, die weit über den Muskel hinaus wirken. Schuld war die Forschung der Dänin Bente Klarlund Pedersen. Damals untersuchte sie das Blut von Marathonläufern und stolperte über Eiweißmoleküle, die sie so nicht auf dem Zettel hatte. Ihre Forschung sorgte dafür, dass man nochmal ganz neu darüber nachdachte, wie Muskeln in Prozesse im ganzen Körper eingebunden sind, auch solche, mit denen man gar nicht gerechnet hätte.
Myokine werden besonders dann freigesetzt, wenn sich die Muskeln anspannen, also bei körperlicher Aktivität wie Laufen, Radfahren oder Gewichtheben. Bei dieser Muskelkontraktion werden Myokine ins Blut abgegeben und können so über den Blutkreislauf verschiedene Körperregionen erreichen. Im Gehirn angekommen, können bestimmte Myokine über die sogenannte Blut-Hirn-Schranke hinweg wirken, was eine direkte Kommunikation zwischen Muskeln und Gehirn ermöglicht. Wichtig: Dieses Gespräch zwischen Muskeln und Gehirn findet eben vor allem dann statt, wenn die Muskeln beansprucht werden. Wenn man sie nur selten benutzt, kommt es auch zu weniger Gesprächen.
Schauen wir uns die wichtigsten Erkenntisse (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) von Bente Klarlund Pedersen mal genauer an.
1. Wenn Bewegung neue Straßen baut
Regelmäßige Bewegung – wie Laufen, Radfahren oder Schwimmen – hilft dem Gehirn, neue Verbindungen zu bilden und bestehende zu stärken. Vergleichbar mit dem Aufbau eines Straßennetzes entstehen durch die Bewegung neue „Straßen“ und Verbindungen zwischen den Gehirnzellen, was die Kommunikation verbessert und das Denken, Lernen und Erinnern erleichtert. Ein wichtiger Bestandteil dieses Prozesses ist das Protein BDNF (brain-derived neurotrophic factor). Dieses Protein wird während körperlicher Aktivität vermehrt ausgeschüttet und wirkt wie ein „Dünger“ für das Gehirn: Es fördert das Wachstum neuer Nervenzellen, speziell im Hippocampus, dem Zentrum für Gedächtnis und Lernen.
👋 Wenn dir dieser Newsletter gefällt: Teile ihn mit deinen Freund:innen, Bekannten oder Kolleg:innen! Hinter mir steht kein großer Verlag, da bin nur ich. Deine Empfehlung hilft mir direkt dabei, den Newsletter weiter zu schreiben. Und wenn dir diese Ausgabe weitergeleitet wurde, kannst du den Newsletter hier abonnieren (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)! Danke! 🙏🏻
Im Alltag bedeutet das: Regelmäßige Bewegung hilft dabei, sich besser zu konzentrieren, Neues schneller zu lernen und das Risiko für Krankheiten wie Alzheimer oder Demenz zu reduzieren. Auch für Kinder und Jugendliche ist das besonders wertvoll, weil Bewegung das Lernen und die schulischen Leistungen unterstützen kann (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
2. Myokine als Botenstoffe
Dahinter scheinen unter anderem Myokine zu stecken. Zwei besonders interessante Myokine, die in der Studie erwähnt werden, sind Cathepsin B und FNDC5 (und dessen abgeleitete Form Irisin).
Cathepsin B: Kann ins Gehirn gelangen und dort ebenfalls die Produktion von BDNF anregen, was wiederum Gedächtnis und Lernfähigkeit verbessert.
FNDC5/Irisin: Scheint über eine besondere „Straße“ namens FNDC5-BDNF-Route zu funktionieren, die speziell für die Neurogenese (die Entstehung neuer Nervenzellen) von Bedeutung ist.
Im Alltag könnte dies bedeuten, dass jede Bewegung unseren Muskeln hilft, Signale ans Gehirn zu senden, die die geistige Fitness und Gesundheit unterstützen. Diese „Muskel-Botenstoffe“ sind also eine Art natürliche Medizin für das Gehirn, die wir durch Bewegung selbst aktivieren können.
3. Verminderung depressionsähnlicher Symptome
Ein wichtiger Teil der Studie untersucht, wie Bewegung uns psychisch stärken kann. Darüber habe ich hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) schon mal geschrieben. Der Fokus auf Myokine hilft dabei, diesen Zusammenhang besser zu verstehen. Wenn wir uns bewegen, produziert der Körper das Enzym Kynurenin-Aminotransferase. Dieses Enzym wandelt eine Substanz namens Kynurenin, die in großen Mengen als „giftig“ fürs Gehirn gilt, in die schützende Substanz Kynurensäure um. Dies ist besonders wichtig, da Kynurenin, wenn es sich ansammelt, depressive Symptome verstärken kann. Die Umwandlung in Kynurensäure wirkt dagegen wie ein „Schutzschild“ für das Gehirn.
Wenn jemand unter Stress oder Niedergeschlagenheit leidet, könnte Bewegung helfen, indem sie diese Schutzstoffe erhöht und das Gehirn vor schädlichen Einflüssen bewahrt. Bewegung wird deshalb oft als unterstützende Maßnahme bei Depressionen empfohlen, und die Forschung zeigt hier, was im Körper biochemisch dabei abläuft.
4. Regulierung des Appetits und Verbesserung des Stoffwechsels
Bei Bewegung wird außerdem das Myokin IL-6 freigesetzt, das den Stoffwechsel beeinflusst und das Hungergefühl regulieren kann. IL-6 ist wie ein kleiner Assistent, der dem Körper hilft, Energie effizienter zu nutzen und den Appetit besser zu kontrollieren. Interessanterweise erhöht sich der IL-6-Spiegel im Blut besonders bei intensiven Trainingseinheiten stark, kehrt jedoch danach schnell wieder auf das normale Niveau zurück. Diese kurzzeitigen IL-6-Schübe haben dabei viele positive Effekte: Sie verbessern die Insulinempfindlichkeit (wichtig zur Regulierung des Blutzuckers), fördern die Fettverbrennung und wirken entzündungshemmend.
Für den Alltag heißt das: Sport könnte nicht nur helfen, den Appetit besser im Griff zu haben, sondern auch den Stoffwechsel zu regulieren und uns vor Entzündungen zu schützen, die bei Bewegungsmangel oft auftreten und langfristig Krankheiten wie Diabetes fördern können.
Fazit
Die Studie, zeigt – mal wieder –, dass Bewegung wie Medizin für Körper und Geist wirkt. Aber auch: warum das so ist. Die Produktion von Proteinen und Botenstoffen in den Muskeln hat weitreichende positive Effekte auf das Gehirn: Gedächtnis, Lernen und geistige Gesundheit profitieren, der Appetit wird besser gesteuert, und Stress sowie depressive Symptome können verringert werden. Ich finde es immer wieder (entschuldigung) geil, wenn man Alltagswissen, das es schon lange gibt, detailliert erklären kann.
Tipp
Myokine haben wie erwähnt nicht nur Einfluss auf das Gehirn, sondern auch auf das Herz, das Bauchfett und unsere Immunreaktion. Wie genau, haben die Kolleg:innen von Zeit Online hier schön aufbereitet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
SO ungefähr (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)kam ich mir vor, als wir Anfang der Woche im Fitnessstudio waren: Dein Bent 🫶🏻🧠