Brief #87: Lobby Lobby
Lieber Kai,
Danke für deinen Brief.
Ja, die Sache mit dem Geld und Einfluss. Da sagst du was. Ich habe im verlängerten Wochenende einen kleinen Roadtrip durch Deutschland gemacht. Niedersachsen > Rheinland-Pfalz > Sachsen. Viel Zeit auf der Straße, viel Zeit zum Nachdenken. Und einen Milkshake, samt kessem Motivationsspruch.
Aber auch Zeit für neue Begegnungen.
Erst letzten Montag (in Mainz) saß ich an einem Tisch mit Menschen in meinem Alter, die ich größtenteils kaum kannte. Irgendwie kamen wir auf das Thema Politik bzw. Politiker:innen. Auch dort schlug sehr schnell der Tenor ein: "Die Politiker, die haben ja gar keine Ahnung von ihren Ressorts, sondern haben nur ihre Berater:innen, die ihnen sagen, was zu tun ist." Ich traute mich, dagegen zu argumentieren: Ist es nicht genau der Sinn von gewählten Politiker:innen, dass sie nicht Expert:innen sind, sondern möglichst aus der Mitte der Gesellschaft kommen? Da kam die Breitseite zurück: Pah, Mitte der Gesellschaft.
"Über 30% der Abgeordneten sind doch Juristen-"
"Oder noch mehr"
"Ist das repräsentativ für die Gesellschaft? Wo sind denn die Maler und Metzger?"
Die restlichen Argumentationspunkte lassen sich so zusammenfassen: Politiker:innen sind gut im Klüngeln, können sonst nichts. Dass sie neben ihrem Job als Abgeordnete:r noch etwas hinzu verdienen dürfen (gerade die Anwälte!) ist eine Farce. Und sowieso sind sie gekauft durch die Industrie.
Ich hielt dagegen: Ja, es gibt sicherlich Politiker:innen, die sich einspannen lassen. Aber es gibt auch viele, die wirklich hart arbeiten.
Gerade einen Teilnehmer der Runde erzürnte das, seine Stimme überschlug sich zunehmend.
Ich muss gestehen, dass ich da auch argumentativ gar nicht hinterher kam. Ich neige in solchen Diskussionen mit fremden Leuten dazu, mehr Interesse daran zu haben, die Meinungen der anderen mir anzuhören und sie zu verstehen, als meine Meinung dagegen zu halten. Ich bin mir nicht immer sicher, ob ich das gut finde.
Ich habe z.B. nicht die Frage gestellt, woher mein Gesprächspartner denn sein Wissen hätte. Es wäre schon interessant zu wissen, ob seine Meinung nur durch sein Gefühl entstanden ist oder er mit konkrete Fakten um die Ecke kam, dass die Mehrheit (!) der Politiker:innen entweder ahnungslos oder korrupt oder beides waren.
Das mit den 30% Prozent Jurist:innen stimmt übrigens nicht, es waren zu Beginn der Legislatur 109 Juristen, was 16,2 % entspricht. Wenn du mehr Infos dazu haben willst, hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Eins machte mir die Diskussion aber deutlich: Wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Das ist erst einmal keine Nachricht wert, weiß ich. Aber ich möchte einen Schritt weitergehen und einen Blick auf ein bestimmtes Ministerium dazu wenden. Ich habe festgestellt, dass ich in meiner Wahrnehmung der Regierung sehr selten die Arbeit einzelner Ministerien genau angucke, sondern eher eine Gesamtbetrachtung der Regierung habe.
Ich habe immer mehr das Gefühl, dass das nicht zielführend ist, um politische Arbeit zu bewerten. Was würde uns einfallen, was die einzelnen Ministerien in den einzelnen Legislaturen bewirkt haben? Würde dir pro Ministerium ein Leuchtturmprojekt einfallen? Mir nicht.
Ich habe mich deshalb mit meinem Lieblingsministerium befasst: Dem Verkehrsministerium. Das muss eigentlich ein super Job ein. Du hast ca. 30 Milliarden Euro (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zur Verfügung und darfst es nutzen, um neue Straßen zu bauen. Oder neue Schienen, neues Glasfasernetz (oder halt nicht nicht). FLUGHÄFEN! Ganz viele rote Schleifen, die du mit einer Schere durchschneiden darfst. Klar, manches Geld musst du auch nur für Instandhaltung ausgeben. Das ist natürlich weniger sexy. Weniger schöne Fotos, wenn Autobahnbrücken nur restauriert werden. Deshalb besser: SPRENGEN. Und neu bauen.
https://www.youtube.com/watch?v=Rq8cg4_oVqU (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Klingt nach einem tollen Job, der viele Menschen glücklich machen. Um so mehr frage ich mich, warum ich seit Anbeginn meiner politischen Wahrnehmung keinen Verkehrsminister positiv in Erinnerung --- halt, stopp, streichen wir das --- jeden Verkehrsminister als inkompetent in Erinnerung habe.
Ich habe nicht viel gefunden, um zu verstehen, was die Verkehrsminister so in den letzten Jahrzehnten getrieben haben. Nur diesen einen Artikel von eurotransport.de (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)von 2017, der ein eher kümmerliches Fazit für die Verkehrsminister von der Zeit 1991 bis 2017 abgibt. Es liest sich wie ein Trauerspiel von gescheiterten Vorhaben: Börsengang der Bahn, Einführung von Toll-Collect, - es lief irgendwie noch nie im Ministerium. Einen stellen sie aber am Ende als besonders leistungsfähig heraus: Den damals amtierenden Verkehrsminister Dobrindt. Im Artikel steht aber auch, dass er die PKW-Maut liefert, was sich ja mittlerweile als Millionengrab herausstellte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Viel ärgerlicher ist es aber, dass das bundesdeutsche Verkehrsministerium zu Zeiten der CSU (2009 - 2021) laut Recherchen der Zeit eher als ein zweites Bayrisches Verkehrsministerium interpretiert wurde als Probleme innerdeutsch zu lösen. Dieser Artikel (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ist dafür super spannend, ist aber hinter der Paywall, weswegen dieser Podcast (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) mit dem Autoren des Artikels das sonst auch gut zusammenfasst. Und auch dieser Artikel des Merkurs (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)zeigt, dass Scheuers Liebe zu seinem Wahlkreis Passau sich besonders durch Asphaltbeton ausdrückte. Und zur Autolobby generell. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Und eben klang es ja schon an: Die gescheiterte PKW-Maut, die uns eine dreistellige Millionensumme kostet, wird auch einfach so akzeptiert, das Versagen von Dobrindt und Scheuer achselzuckend hingenommen.
Und heute: Volker Wissing. Ein Minister, der mit all seinen Aussagen, die ich finde, besonders daran interessiert ist, den Status Quo zu halten.
Dementsprechend: Ich verstehe schon den Frust mit deutscher Politik, wenn ich mir die Leistungen und Erfolge des Verkehrsministerium ansehe. Und ich frage mich: Kai, geht das nicht besser?
Aus stillem Protest gegen die Verkehrspolitik spielt das Video zu meinem Song der Woche dafür nur in einer schwedischen S-Bahn.
Liebe Grüße
Sven
P.S. Hannes ft. waterbaby - Stockholmsvy
https://www.youtube.com/watch?v=KJL0kGIFmsw (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)