Emotionsregulierung - wie wir mit heftigen Emotionen aus traumatischen Erinnerungen zurechtkommen
Traumatische Ereignisse können zu schwerwiegenden psychischen Symptomen wie Flashbacks und Dissoziation führen. Diese Symptome können sehr belastend sein und das tägliche Leben beeinträchtigen. Ich habe in meiner kognitiven Verhaltenstherapie einige Techniken gelernt, um mit Flashbacks und Dissoziation umzugehen und bin mittlerweile fast frei davon.
Leider ist Therapie nicht allen gut zugänglich. Deswegen möchte ich euch ein paar Ausschnitte aus meiner Therapie zeigen, die mir geholfen haben und die ihr vielleicht auch zumindest für euch anwenden könnt. Damit sind die Probleme und Erfahrungen, die dazu geführt haben, natürlich immer noch nicht bearbeitet - aber es ist ein Anfang.
Bild: Chiara Doveri
1. Achtsamkeitstechniken
Achtsamkeitstechniken sind eine wichtige Technik in der kognitiven Verhaltenstherapie, um mit Flashbacks und Dissoziation umzugehen. Diese Techniken konzentrieren sich darauf, im Moment präsent zu sein und sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Achtsamkeitstechniken wie Atemübungen, Meditation und Körperwahrnehmung können helfen, das Bewusstsein für die Gegenwart zu schärfen und den Fokus von den traumatischen Erinnerungen abzulenken.
Ein Beispiel für eine Achtsamkeitsübung ist die "Bodyscan"-Übung. Bei dieser Übung legt man sich auf den Rücken und konzentriert sich auf die Empfindungen im Körper, beginnend mit den Zehen und sich langsam zum Kopf hinbewegend. Das Ziel ist es, sich bewusst zu werden, wie sich der Körper anfühlt, ohne zu werten oder zu beurteilen.
Meine Therapeutin sagte mir: Je größer die Belastungen sind, desto mehr Ressourcen brauche ich. Mehr Atemübungen, mehr Ausgleich, mehr Pausen. Es hat eine Weile gedauert - aber mittlerweile fühle ich mich immerhin nicht mehr ganz so schlecht dafür, dass ich nicht immer so “funktioniere”, wie ich es gern hätte.
2. Imagery Rescripting/Traumaexposition
Imagery Rescripting ist eine kognitive Technik, die sich auf traumatische Erinnerungen konzentriert. Diese Technik beinhaltet die Verwendung von Bildern, um traumatische Erinnerungen umzuschreiben und zu verändern. Die traumatische Erinnerung wird in der Vorstellung visualisiert und dann wird eine neue, positive Version der Geschichte erstellt. Diese Technik kann helfen, traumatische Erinnerungen zu verarbeiten und sie weniger belastend zu machen.
Wir haben eine Exposition mit meiner schlimmsten Erinnerung aus einer alten Beziehung gemacht. Tatsächlich hatte das einen Effekt auf andere Erinnerungen, die als Bilder immer wieder in meinem Kopf auftauchten. Ich würde mir sehr wünschen, dass solche Techniken professionell begleitet werden, aber ich habe etwas Ähnliches schon zweimal allein gemacht und auch wenn das nicht reichte, um die Traumata insgesamt zu bewältigen, hat es für den Moment sehr gut geholfen.
Eine Erinnerung ist immer und immer wieder in meinen Kopf gekommen. Das Schlimmste an vielen traumatischen Erlebnissen ist das Gefühl von Hilflosigkeit. Ich habe mir (sowohl in meiner “Eigenbehandlung” als auch dann in der Expositionstherapie) vorgestellt, dass ich die andere Person aus der Erinnerung mit einem Fingerschnippen “einfrieren” lasse und als Erwachsene in die Szene gehe und mich selbst “rette”. In der Therapie war dann ein sehr langer Fokus auf das, was ich mir selbst sage, was “wir” noch machen und wie es weiter geht mit der betreffenden anderen Person. Das hat wieder ein Gefühl von Sicherheit hergestellt, das ich ja aktuell auch habe. Ich habe keinen Kontakt mehr zu meinem Exfreund von damals. Mein Kopf hat das “nur” noch nicht ganz begriffen.
3. Kognitive Umstrukturierung
Kognitive Umstrukturierung ist eine Technik, die sich auf negative Denkmuster konzentriert und sie in positive Denkmuster umwandelt. Diese Technik kann helfen, negative Gedanken, die Flashbacks und Dissoziation auslösen können, zu identifizieren und zu verändern.
Wir gehen dabei Gedanken durch, die immer wieder aufkommen und suchen nach Beweisen dafür, dass diese Überzeugungen nicht wahr sind. Dann finden wir neue, realistischere Formulierungen. Ich habe teilweise Listen geschrieben und quasi Protokoll geführt von dem Verhalten einer Person, die mir das Leben ganz schön schwer gemacht hat - was ich aber ständig auf mich genommen habe. Ich war verwirrt, wie sich Diskussionen ständig drehten und am Ende ich diejenige war, die einen Fehler gemacht haben sollte. Ich habe ständig an meiner eigenen Wahrnehmung gezweifelt. Mit den Listen konnte ich sagen: Die Person handelt häufig manipulativ und ich kann in einigen Situationen nachweisen, dass sie ziemlich klar gelogen hat. Die Aussagen anderer Menschen in meinem Umfeld sowie auch die gesammelten Screenshots von Nachrichten zeigen ziemlich klar, dass meine Wahrnehmung stimmt. Ich mag mir sicher einiges auch mehr zu Herzen nehmen als ich müsste, aber insgesamt stimmt mein Eindruck und meine Reaktionen darauf sind nicht übertrieben, sondern ruhig, klar und direkt.
Das hat geholfen, von den Nachrichten weniger durcheinander zu sein und besser für mich einstehen zu können.
4. Gruppentherapie/Selbsthilfegruppen
In Gruppen können sich die Teilnehmenden mit anderen Personen austauschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und von ihren Erfahrungen lernen. Das kann helfen, das Gefühl der Isolation und Einsamkeit zu verringern, das oft mit traumatischen Erlebnissen einhergeht.
Ich habe bisher keine Gruppentherapie gemacht, habe aber Selbsthilfegruppen in meiner Nähe gefunden zu Themen, die mich beschäftigen. Derzeit ist es noch schwierig, die Zeit zu finden, dort hinzugehen (die Treffen finden immer abends statt, ich kann dann aber nicht weg, weil ich ja immer mindestens zwei Kinder über Nacht hier habe). Ich weiß aber immerhin, dass es die Gruppen gibt und das könnte auch eine gute Möglichkeit sein, dass ich mich nach Ende meiner Therapie gut aufgefangen fühle.
5. Progressive Muskelentspannung
Progressive Muskelentspannung ist eine Technik, die sich auf die körperliche Entspannung konzentriert. Diese Technik beinhaltet das Anspannen und Entspannen der Muskeln, um den Körper zu entspannen. Progressive Muskelentspannung kann helfen, körperliche Spannungen zu lösen, die häufig die Ursache sein können, warum eine aufblitzende Erinnerung zu einem tieferen Flashback oder zur Dissoziation führt.
6. Diversionstherapie
Diversionstherapie ist eine Therapieform, bei der es um Erholung, Freizeit und Spiel geht. Ich habe in der letzten Zeit einige alte Hobbys wieder aufleben lassen und merke, wie gut es mir tut, etwas mit meinen Händen zu schaffen. Das Wichtige daran ist, dass sowohl mein Körper als auch mein Kopf voll und ganz auf das konzentriert sind, was ich gerade mache. Beim Orchester gelingt mir das zum Beispiel zwangsläufig sehr gut - ich MUSS aufpassen, um den Einsatz nicht zu verpassen oder mich nicht zu verspielen. Gleichzeitig bin ich umgeben von Musik und von Menschen. Nach der Probe fühle ich mich immer sehr erfüllt und ziemlich stabil.
Was ich noch versucht habe, war Origami, Töpfern, Musik hören und dazu tanzen, High Intensity Intervalltraining, Gedichte schreiben und Wohnungsgestaltung. Sich um Pflanzen oder einen Garten zu kümmern kann auch so ein hilfreicher Bewältigungsmechanismus sein, Stricken, Häkeln, Nähen, malen, Musik machen.
7. Dein Tresor
Die Tresorübung bringt uns ins Hier und Jetzt zurück, in den Alltag. Ja, ein bisschen schafft sie es auch, dass wir besser „funktionieren“. Aber manchmal müssen wir das eben auch. Weil unsere Kinder oder andere Menschen uns brauchen. Weil wir (noch) nicht genug Ressourcen haben, um diese Themen gut aufzuarbeiten.
Bei der Tresorübung stellen wir uns einen Tresor vor. Visualisiert ihn ganz genau. Wie sieht er aus? Wie dick sind die Türen? Wie sieht das Schloss oder die Schlösser aus?
Als mir diese Übung vorgestellt wurde, hatte ich meinen Tresor direkt vor Augen. Groß und schwarz, mit dicken, undurchdringbaren Wänden, drei verschiedene Schlösser.
Wenn ich bemerke, dass ich zu viel in vergangenen Erlebnissen hänge und das zu sehr an mir frisst, dann sperre ich die Erinnerungen in meinen Tresor. Schließe alle drei Schlösser ab, gehe weg. Ich weiß, dass sie dort sicher sind. Sie werden nicht weggehen, aber sie können auch nicht heraus, wenn ich sie nicht lasse.
Aber wenn es sicher ist, kann ich den Tresor öffnen. Einzelne, kleine Teile herausholen, betrachten. Manchmal lösen sie sich auf. Manchmal werden sie etwas blasser. Manchmal sehe ich sie in einem anderen Licht. Manchmal ist es zu viel und ich sperre sie wieder weg.
Ich betrachte diese Erinnerungen mit meiner Therapeutin, aber je nachdem, was ihr in euren Tresor sperrt, kann auch schon ein Gespräch mit guten Freund:innen helfen.
„Aber ist das nicht einfach nur Verdrängung?“, habe ich gefragt. Das Ding ist, ein bisschen zu verdrängen ist okay. Weil nicht immer die Zeit ist, ganz tief zu gehen. Weil wir das manchmal nicht ohne Unterstützung schaffen.
Abschließende Worte
Lange lief es so: Ich funktioniere den ganzen Tag über - und abends kommen alle Gefühle heraus. All der Schmerz, die Trauer, die unerfüllt gebliebenen Wünsche und Hoffnungen, die Erinnerungen. Abends wollen sie ihren Raum finden und es ist manchmal schwer, damit gut umzugehen. Denn sie sollen den Raum haben. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung. Aber ich lerne, sie auf eine gesunde Weise auszudrücken, die mich weiter bringt, statt dass sie sich in Selbsthass und Selbstvorwürfen äußern.
"Ich habe das Gefühl, dass ich mich immer beschäftigt halten muss. Dass ich keinen Leerlauf haben darf.", habe ich meiner Therapeutin gesagt. "Ich kann nicht abschalten und ich darf es auch nicht. Dann kommen die Erinnerungen und die dunklen Gedanken."
Sie meinte, dass das viele so haben. Dass immer etwas los sein muss und wenn sie in der Luft hängen, kommen die selbstschädigenden Bewältigungsmechanismen heraus. Und wir finden Alternativen.
Ich habe gemerkt, dass ich ein ganzes Arsenal an Coping Mechanismen brauche. Je nach Energiestand kann ich mir dann das auswählen, was ich gerade brauche. Und ich muss meinen Kopf komplett beschäftigt halten. Wenn ich Gedichte schreibe, passiert das. Da geht es zwar um schwierige Situationen und intensive Gefühle, aber mein Kopf ist davon eingenommen, sie ausdrücken zu wollen, passende Endreime zu finden, sie in Worte zu fassen. Das setzt den Gefühlen von Hilflosigkeit und Angst etwas entgegen. Wenn ich ein Zimmer umgestalte, passiert das. Ich schaue auf Pinterest nach Inspiration, ich messe aus, denke über Farben und komplizierte Ecken und Gestaltungsmöglichkeiten nach. Das setzt dem Gefühl von Fremdbestimmung und Perspektivlosigkeit etwas entgegen. Wenn ich eine Serie auf Spanisch schaue, passiert das, weil ich mich konzentrieren muss, um den Inhalt zu verstehen.
"Abschalten" muss nicht heißen, auf dem Sofa zu sitzen und nur einen Tee zu trinken und die Gedanken schweifen zu lassen. Ich schalte besser ab, wenn ich etwas mache. Meine Gedanken in Richtungen lenke, in denen ich etwas ausrichten kann. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern, aber ich kann meine Zukunft gestalten.
Ich hoffe, das hilft einigen von euch vielleicht auch ein bisschen. Zum Schluss will ich noch sagen: Bitte glaubt nicht, dass ihr “nicht belastet genug”/”nicht traumatisiert genug” seid, um solche Techniken zu brauchen. Achtsamkeit, im Moment leben, (manchmal) ablenken und an manchen Erinnerungen oder Gedanken zu arbeiten kann in vielen Lebenssituationen helfen. Wir müssen nicht völlig am Ende sein, um uns zu erlauben, diese Techniken auszuprobieren oder noch besser Unterstützung zu suchen.