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Über meinen Körper - und was die Welt daraus gemacht hat

Ein Gastbeitrag von Jasmin Dickerson

Body Positivity ist offenbar wieder out, der dünne Körper, der keinen Raum einnimmt, wieder überall en vogue. So sehr ich als dicke Frau mich darüber ärgere, habe ich immerhin noch das Privileg, weiß zu sein. Weiße Frauen haben oft das Privileg, sich quasi “unsichtbar” hungern zu können. Einen Grat der Konformität zu erreichen, der sie aus der Schusslinie der öffentlichen Betrachtung holt. Aber nicht alle haben dieses Privileg. Die Perspektive Schwarzer, Brauner und migrantischer Frauen geht im aktuell wieder hochkochenden Diskurs schnell unter. Deshalb hab ich Jasmin Dickerson gefragt, ob sie nicht Lust hätte, einen Text darüber zu schreiben. Danke Jasmin, für diesen bewegenden Text!

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Jasmin Dickerson im Profil
Jasmin Dickerson, Referentin Bildung im Sport - Sensitivity Lektorat - Autorin - Speakerin

Mein Körper, die Projektionsfläche

Seit ich mich erinnern kann, wurde mein Körper kommentiert.

Als Kind war ich sehr dünn und schon immer groß gewachsen. Erwachsene sagten mir ständig, ich solle Model werden – oder Leichtathletin. Mit etwa zwölf Jahren fing das Catcalling auf der Straße an. Manchmal, wenn ich im Zug von der Stadt zurück ins Dorf fuhr, setzten sich erwachsene Männer neben mich und belästigten mich.

Meine Mutter betrachtete meinen Körper oft mit einer Mischung aus Neid und Unzufriedenheit. Sie empfand sich selbst als zu dick – obwohl sie sportlich war, Leistungsschwimmerin sogar. Seit meiner Kindheit war sie bei den Weight Watchers. Über ihren Körper sprach sie nur mit Abscheu. So lernte ich früh: Schlank sein ist wichtig, um schön zu sein.

Bedrängt und exotisiert

Gedanken über meinen eigenen Körper machte ich mir trotzdem kaum – ich wurde ohnehin ständig für essgestört gehalten. Ich war untergewichtig, weil ich aufgrund von Textur viele Dinge nicht essen mochte.

Hinzu kam der Rassismus. Immer wieder wurde behauptet, meine Schlankheit sei “genetisch”, weil „Afrikaner ja groß und athletisch sein müssen, um besser jagen zu können.“ Abgesehen davon, dass meine afroamerikanische Familie seit Jahrhunderten in den USA lebt, war das natürlich nicht nur falsch, sondern pure rassistische Projektion.

Als Teenager wurde ich für meine Größe gemobbt, für meine Afrohaare, für meine Nase – „die man ja platt drücken kann“, wie es hieß.

Während andere Jugendliche ihre ersten Erfahrungen mit Gleichaltrigen machten, wurde ich weiterhin von erwachsenen Männern bedrängt und exotisiert. Die Jungs in meinem Alter hatten höchstens abfällige Worte für mich übrig.

Mein Körper gehört der Öffentlichkeit

Bis zu meinem 20. Lebensjahr hatte ich verinnerlicht: Mein Körper gehört der Öffentlichkeit. Er darf bewertet, kommentiert und eingeordnet werden – positiv wie negativ. Ich fühlte mich wie eine Ware, beäugt, kritisch betrachtet, geprüft und aussortiert.

Mit 25 verlor ich mein erstes Kind in der 16. Schwangerschaftswoche. Ich rutschte in eine schwere Depression. Ein Jahr lang lag ich im Zimmer meines damaligen Freundes, betäubte mich mit Essen, Serien, Alkohol und Kokain. Ich nahm fast 40 Kilo zu. Mein Körper, der einst überall auffiel, wurde plötzlich „unsichtbar“. Und doch wurde er weiterhin kommentiert – nur jetzt mit Abscheu.

Ich habe nie strukturelle Diskriminierung wegen meines Gewichts erlebt, weil ich dafür nie „dick genug“ war. Aber der Kontrast zu vorher war brutal. Menschen, die ich für wohlwollend hielt, begegneten mir plötzlich kühl und abweisend. Die wenigen Kommentare, die noch kamen, trafen umso härter. Ein Freund, mit dem ich unterwegs war, lachte, als ich erzählte, dass ich früher Scary Spice sein wollte. Er sagte: „Haha, naja, jetzt siehst du aus, als hättest du Scary Spice gegessen.“

Ich glaube, ihm war nicht bewusst, wie verletzend und entmenschlichend das war.

Stereotype Rollen für mich, wieder nicht ich

Nach der Geburt meiner Tochter kommentierte meine Mutter, dass ich „immer zu enge Klamotten tragen“ würde – das sähe mit meinem „dicken Bauch“ nicht gut aus.

Seitdem ich Mutter wurde, wurde ich in eine stereotype Rolle gedrängt: die der warmherzigen, fürsorglichen, „dicken Mama“. Wieder eine neue Kategorie. Wieder nicht ich.

Ich werde bis heute nicht als Individuum gesehen, sondern durch rassifizierte und geschlechterbezogene Filter gelesen. Auch jetzt, wo ich nicht mehr dick bin.

Jasmin Dickerson

Nicht Mensch, sondern Projektionsfläche

Ich weiß, dass viele Frauen solche Erfahrungen machen, nicht nur Schwarze. Aber wir afrodiasporischen Frauen wurden und werden in einem stärkeren Ausmaß sexualisiert. Es gibt drei rassistische Kategorien in die wir eingeteilt werden : “Mammy” , meistens dark skinned mehrgewichtige Frauen oder ältere Frauen, dann die “Sapphire” also die “Angry black woman” und dann die “Jezebel” die  angeblich unersättlichen Appetit auf Sex mit Männern haben und den ganzen Tag an nichts anderes denken, als diese zu verführen und in Versuchung zu bringen.

Ich bin nicht dark skinned, trotzdem habe ich im Laufe meines Lebens in alle drei Rollen hineingepasst – oder wurde hineingedrängt. Als junge, schlanke Frau war ich die „Jezebel“. Nach der Geburt: die „Mammy“. Heute – älter, muskulös und unbequem – bin ich die „Sapphire“.

Es tut weh, nicht als Mensch gesehen zu werden, sondern als Projektionsfläche. In mir hat es viel zerstört.

Ich wünsche mir, dass wir endlich frei sein dürfen vom kolonialen, kapitalistischen Blick auf unsere Körper.

Gastbeitrag Ende

Danke Jasmin, dass du deine Perspektive mit uns teilst! Das hier wird garantiert nicht der letzte Beitrag zu Kapitalismus und Körper gewesen sein, denn das Thema wird uns politisch in Zukunft vermehrt beschäftigen. Was ich sonst noch für euch im Petto habe, hört ihr nächste Woche von mir! Bis dahin!

Sujet Politisches

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