Von der Schulmensa bis zur Unikantine: Warum Essenspausen für neurodivergente Menschen oft eine Herausforderung sind
Von der Schulmensa bis zur Unikantine: Warum Essenspausen für neurodivergente Menschen oft eine Herausforderung sind
Neue Studie zeigt: Schüler mit ADHS und Autismus kämpfen mit Lärm, sozialen Hürden und fehlender Unterstützung – doch auch Studierende stehen vor ähnlichen Problemen

Mittagspause oder täglicher Stress? Wie neurodivergente Menschen Essenssituationen in Schule und Universität erleben
Für viele Menschen sind Mahlzeiten eine willkommene Pause vom Alltag – ein Moment zum Entspannen, Auftanken und geselligen Austausch. Doch für neurodivergente Schüler und Studierende kann genau diese Zeit des Tages zur sensorischen und sozialen Herausforderung werden.
Eine aktuelle schwedische Studie von Sandberg et al. (2025) zeigt, dass Schulmensen für Schüler mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) oder ADHS eine Vielzahl von Barrieren mit sich bringen. Doch nicht nur Kinder und Jugendliche kämpfen mit diesen Schwierigkeiten: Auch an Universitäten berichten neurodivergente Studierende von Lärm, unklaren Strukturen und sozialem Druck, der ihre Kantinenerfahrung erheblich beeinträchtigt.
Warum sind Essenssituationen für neurodivergente Menschen so schwierig – und welche Lösungen könnten Schule und Universität bieten?
Drei zentrale Herausforderungen: Warum neurodivergente Menschen Essensräume meiden
Die Forscher untersuchten in schwedischen Schulen fünf 12-jährige Jungen mit ADHS oder Autismus und beobachteten ihre Strategien im Umgang mit der Schulmensa. Dabei identifizierten sie drei große Problemfelder, die nicht nur Schüler, sondern auch Studierende betreffen.
1. Sinnesüberflutung und motorische Herausforderungen: „Zu laut, zu eng, zu unübersichtlich“
Schulmensen sind oft chaotische Orte – und Universitätskantinen sind nicht besser. Was für neurotypische Menschen ein belebtes Umfeld ist, kann für neurodivergente Menschen schnell zu einer sensorischen Überlastung werden.
🔹 Lärm & Chaos:
Schulmensen sind laut: klirrende Tabletts, rutschende Stühle, hunderte Gespräche gleichzeitig.
Universitätskantinen sind nicht viel ruhiger – besonders in Stoßzeiten, wenn sich lange Schlangen an den Essensausgaben bilden und Menschen sich zwischen engen Tischen hindurchquetschen.
Viele neurodivergente Menschen empfinden diese Geräuschkulisse als extrem belastend – vergleichbar mit einem Konzert ohne Lärmschutz.
🔹 Platzmangel & Navigationsprobleme:
Schüler mit motorischen Koordinationsproblemen tun sich schwer, sich mit Tablett und Getränken durch enge Gänge zu bewegen.
Studierende mit ADHS oder Autismus haben ähnliche Probleme in vollen Mensen, wo man oft überfüllt an winzigen Tischen sitzt.
Die Angst, Essen zu verschütten oder jemandem im Weg zu stehen, führt oft dazu, dass neurodivergente Menschen sich unwohl fühlen oder gar nicht erst in die Kantine gehen.
🔹 Probleme bei der Essensauswahl:
Viele neurodivergente Menschen sind empfindlich gegenüber Geschmack, Textur oder Geruch bestimmter Speisen.
In der Schule kann das bedeuten, dass Kinder bestimmte Gerichte meiden oder auf eigene Snacks zurückgreifen müssen.
In der Uni fehlt oft die Kontrolle über das, was angeboten wird – und wer sich nicht traut, den Speiseplan zu hinterfragen, geht lieber hungrig nach Hause.
2. Soziale Unsicherheiten: Zwischen Isolation und Gruppenzwang

Sowohl in der Schule als auch in der Universität ist das Essen eine soziale Erfahrung – aber nicht jeder fühlt sich dabei wohl.
🔹 Der Druck, sich an Normen anzupassen:
In der Schule wird von Kindern erwartet, dass sie in Gruppen essen – oft gibt es feste Sitzplätze.
In der Uni gibt es mehr Freiheit, aber auch mehr Unsicherheit: „Mit wem soll ich mich setzen?“ oder „Wie fange ich ein Gespräch an?“ sind typische Fragen neurodivergenter Studierender.
🔹 Ablehnung & Missverständnisse:
Viele neurodivergente Schüler erleben in der Mensa subtilen Ausschluss – sie werden übergangen oder nicht ernst genommen.
Auch in der Uni berichten Studierende mit Autismus, dass sie sich oft „unsichtbar“ fühlen, wenn sie sich an einen Tisch setzen, an dem bereits Gruppen sitzen.
🔹 Flucht in die Einsamkeit:
In der Schule ziehen sich neurodivergente Schüler oft zurück – manche sitzen lieber alleine oder verlassen den Raum, sobald sie fertig sind.
An der Uni entscheiden sich viele neurodivergente Studierende dafür, außerhalb der Mensa oder gar nicht zu essen, um unangenehme Interaktionen zu vermeiden.
3. Fehlende individuelle Unterstützung: Wer hilft, wenn’s schwierig wird?
Während Schulen zumindest eine gewisse Betreuung bieten, sind neurodivergente Menschen in der Universität oft auf sich allein gestellt.
🔹 Lehrer & Schulpersonal:
In der Studie berichteten Schüler, dass sie sich sicherer fühlten, wenn Lehrkräfte in der Nähe waren.
Ohne diese Unterstützung vergessen einige Schüler, zu essen oder fühlen sich verloren in der unstrukturierten Umgebung der Mensa.
🔹 Fehlende Anlaufstellen an der Uni:
Universitätsstudenten haben keine festen Bezugspersonen während des Essens.
Wer Schwierigkeiten mit dem Mensa-Alltag hat, muss sich eigenständig um Lösungen kümmern – oft fehlt aber das Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse.
Was kann verbessert werden? Lösungsansätze für Schulen und Universitäten
Die Studie macht deutlich, dass mehr Struktur, Flexibilität und Rücksichtnahme notwendig sind, um neurodivergenten Menschen den Zugang zu Essensräumen zu erleichtern.
✅ Schulen:
Ruhigere Essbereiche oder separate Räume für Kinder mit sensorischer Sensitivität.
Flexible Sitzordnungen, sodass Schüler nicht gezwungen sind, an festen Plätzen zu sitzen.
Schulpersonal, das sensibel auf individuelle Bedürfnisse eingeht.
✅ Universitäten:
Ruhezonen in Mensen für Studierende, die ohne Lärm essen möchten.
Sensibilisierungskampagnen, um das Bewusstsein für neurodivergente Bedürfnisse zu schärfen.
Online-Vorbestellungen, um Wartezeiten und Unsicherheiten beim Bestellen zu reduzieren.
Essen sollte keine Belastung sein – für niemanden
Ob in der Schulmensa oder in der Universitätskantine: Essenssituationen sind für viele neurodivergente Menschen ein täglicher Stressfaktor.
Die Studie von Sandberg et al. zeigt, dass strukturelle Anpassungen einen großen Unterschied machen können. Leider sind diese aber nicht immer baulich umsetzbar. Die Einführung von ruhigen Essensräumen, flexiblen Sitzplätzen und individueller Unterstützung kann dazu beitragen, dass neurodivergente Schüler und Studierende sich wohler fühlen – und Mahlzeiten endlich das sind, was sie sein sollten: eine Quelle von Energie und Erholung, nicht von Stress und Angst.
Sandberg SG, Nyroos M, Waling M, Olsson C. Navigating School Meal Environments: Perspectives of Pupils Diagnosed With Autism Spectrum Disorder or ADHD. J Sch Nurs. 2025 Feb 24:10598405251319982. doi: 10.1177/10598405251319982. Epub ahead of print. PMID: 39992087.