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Liebe Leser:innen,

in New York hat es heute Vorwahlen für lokale Ämter gegeben - und das ist gleich aus mehreren Gründen wichtig für das Land und sogar international, denn schließlich hat keine Stadt solch eine weltweite Signalwirkung.

Nur zwei Vergleiche: Wäre die Metropolregion New York ein eigenes Land, dann hätte es ein Bruttoinlandsprodukt so groß wie Russland. Und: Nur 40 Länder auf der Welt geben mehr für ihr Militär aus, als New York für seine Polizei. Der Umgang mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und der schwelenden Debatte um Kriminalität und Polizeigewalt wird die Millionenmetropole in den kommenden Jahren prägen.

Die tatsächliche Wahl ist zwar erst am 2. November, aber weil die Stadt so verlässlich von Demokraten geprägt ist, war für nahezu alle Ämter heute der wichtigere Wahltag. Im Newsletter geht es deshalb um erste Ergebnisse und Ziele der Kandidaten, um das ungewöhnliche Wahlsystem und um die Frage, warum es nun wohl noch bis Mitte Juli dauert, bis wirklich feststeht, wer im November antritt.

Einen vorbildlichen Überblick zur Wahl mit allen Kandidat:innen, dem Wahlmodus und den wichtigsten Themen hat die lokale Online-Nachrichtenseite The City (Opens in a new window).

Let's go.

DIE POLITIK - WAS DAS LAND PRÄGT

Vorwahlen in New York - Wer führt bald die wichtigste Stadt der USA?

1. Welche Themen und Kandidat:innen waren wichtig und wie schnitten sie ab?

13 Kandidat:innen standen auf dem Stimmzettel, acht davon galten als „ernsthaft“ und am Ende des Wahlkampfes wurden vier von ihnen Chancen zugerechnet.

Der Bekannteste von ihnen war Andrew Yang, ein 46-jähriger Unternehmer, der sich 2020 bei den Präsidentschaftsvorwahlen der Demokraten beachtlich geschlagen hatte. Er hat einen weitgehend fröhlichen Wahlkampf geführt und darauf gehofft, dass die New Yorker:innen nach der Pandemie und der daraus resultierenden schweren Wirtschaftskrise vor allem Lust auf Optimismus haben. Kritisiert wurde er aber für drei Dinge: keinerlei Erfahrung in der Stadtverwaltung oder beim Bundesstaat New York in Albany, sehr seltene Stimmabgabe bei Wahlen in den vergangenen zwei Jahrzehnten und seine Flucht aus der Stadt zu Beginn der Pandemie 2020. Nach tollen Umfragewerten im Frühling begann sein Einbruch. Am Ende lag er mit nur rund 12 Prozent der Erststimmen auf Rang vier. 

Während des Wahlkampfs verschob sich der Fokus von Wirtschaftsfragen hin zum Thema öffentliche Sicherheit. Das hat besonders Eric Adams geholfen, ein ehemaliger Polizist und bisher Stadtteil-Präsident von Brooklyn. Er wäre der zweite Schwarze New Yorker Bürgermeister, hat neben der Stärkung der Polizei eher gemäßigte Ansichten und gilt manchen gar als der „republikanischste“ Kandidat des Feldes. Nach Runde eins führt Adams mit 31 Prozent der Stimmen.

Auf den Rängen zwei und drei folgen zwei Frauen: Politisch linker steht Maya Wiley, Anwältin, Bürgerrechtlerin und Beraterin des aktuellen Bürgermeisters Bill de Blasio. Sie setzt sich für mehr Präventionsarbeit statt weiterer Aufrüstung der Polizei ein und wurde unter anderem von Alexandria Ocasio-Cortez und Elizabeth Warren unterstützt. Wiley kam mit 22 Prozent bei den Erststimmen auf Rang zwei. Kathryn Garcia folgt mit 20 Prozent, eine gemäßigte Kandidatin, die als Expertin in der Stadtverwaltung gilt und sechs Jahre lang die Straßenmeisterei und Müllabfuhr mit mehr als 7.000 Mitarbeiter:innen geführt hat. Ihr half besonders die ausdrückliche Empfehlung der New York Times.

Yang hat noch heute Nacht seine Niederlage eingestanden, Garcia und Wiley hoffen, mit Stimmen aus der Briefwahl oder aus dem Rangfolgen-System Adams doch noch einholen zu können. Details zum Zwischenstand hat die New York Times (Opens in a new window).

2. Wie wurde gewählt und wieso gibt’s wohl erst Mitte Juli die endgültigen Ergebnisse?

Es wird dauern, bis klar ist, ob diese Hoffnungen vielleicht doch berechtigt sind. Man muss doppelt hinschauen, aber auf der Seite der New York Times (Opens in a new window) steht es tatsächlich so: Die Endergebnisse der Wahl stehen wohl erst in der Woche vom 12. Juli fest. Das liegt an den Briefwahlstimmen und am Auszählungssystem: Stellen die Wahlhelfer:innen Probleme mit einer per Post abgegebenen Stimme fest, muss die Person noch einmal kontaktiert werden und Gelegenheit bekommen, ihr Votum klarzustellen - das dauert. Mit dem Auszählen der Briefwahlstimmen wird deshalb überhaupt erst nächste Woche begonnen.

Zusätzlich sorgt ohnehin schon das Ranking-System, bei dem die Wähler:innen bis zu fünf Plätze benennen konnten, für längeres Auszählen, es funktioniert so wie bei Vox (Opens in a new window) erklärt: Alle Stimmen werden auf Basis der ersten Ränge sortiert, dieses Ergebnis ist bis auf die Briefwahl schon heute Nacht veröffentlicht worden.

Dabei hat wie erwartet kein:e Kandidat:in mehr als 50 Prozent der Stimmen erreicht, deshalb wird der Stapel mit den wenigsten Erststimmen aufgelöst und anhand der angegebenen zweiten Präferenzen verteilt (sollte nur eine erste Präferenz abgegeben worden sein, verfällt die Stimme und gilt als „exhausted“).

Weil so immer noch niemand mehr als 50 Prozent der Stimmen erreicht, wird der nächstkleinere Stapel aufgelöst, die Zettel werden erneut gemäß der nächsten angegebenen Präferenz zu den noch im Rennen verbliebenen Kandidat:innen verteilt. Das geht so lange, bis jemand eine Mehrheit erzielt, spätestens also, wenn nur noch zwei Kandidat:innen übrig sind und die letztmögliche Stimmverteilung (zum Beispiel 54 Prozent zu 46 Prozent) feststeht.

Dieses Sortieren dauert und es ist auch der Grund, warum Wahlumfragen so schwer sind. Zuletzt hat beispielsweise Marist (Opens in a new window) herausgefunden, dass es gut auf die allerletzte Runde ankommen könnte - allerdings hat sich auch gezeigt, dass in den einzelnen Auszählungsrunden die Kandidat:innen in späteren Runden exakt entlang des ursprünglichen Rankings der Erststimmen ausschieden. Es ist sehr unrealistisch, dass Garcia oder Wiley noch neun bis zehn Prozentpunkte auf Adams aufholen.

3. Wieso war der Wahlablauf so ungewöhnlich?

Interessant ist die Wahl wegen dieses ungewöhnlichen Systems nicht nur wegen der Inhalte, sondern auch für die Politikwissenschaft und für Menschen, die über neue Wege der Demokratie nachdenken.

Der Grund dafür ist das schon erwähnte „RCV“ oder „Ranked Choice Voting“: Statt einer Stimme haben die Wähler:innen die Möglichkeit, bis zu fünf Plätze zu benennen. Gegner:innen glauben, dass dies zu kompliziert sei und viele Menschen sich kaum noch Gedanken um ihre hinteren Ränge machen. Verfechter:innen dieses Systems aber argumentieren, dass es Hardliner-Kandidat:innen so schwerer hätten, denn sie müssen auch bedenken, wie sie Wähler:innen für sich als zweite oder dritte Option gewinnen können - wer besonders extreme Positionen vertritt, dürfte zwar engagierte Anhänger:innen haben, aber auch dafür sorgen, neben vielen ersten Plätzen von vielen komplett auf dem Stimmzettel ausgelassen zu werden.

FairVote (Opens in a new window) hat berechnet, dass aber in rund 94 Prozent von mehr als 200 untersuchten Abstimmungen am Ende gewann, wer bei den Erststimmen vorne lag. Kleiner weiterer Vorteil: Außerdem ist das System für Steuerzahler:innen günstiger, weil keine Stichwahlen mehr nötig sind. Vor- und Nachteile stehen bei NPR (Opens in a new window).

DIE MENSCHEN - WER DAS LAND PRÄGT

Cyrus Vance, Jr., Scheidender Bezirksstaatsanwalt von Manhattan und Trump-Strafverfolger

Neben den Vorwahlen für das Bürgermeisteramt gab es noch rund ein Dutzend anderer Entscheidungen (hier zum Beispiel der Wahlzettel (Opens in a new window) für meinen Wohnblock). Dazu zählt auch ein Amt, dessen Direktwahl uns Deutschen schwer nachvollziehbar erscheint, weil es zur Judikative zählt: District Attorney oder Bezirksstaatsanwalt.

Auch hier gab es unter den acht Kandidat:innen einen Wahlkampf, denn sie haben unterschiedliche Ansichten zur Ausgestaltung dieses Postens: Sollte die maximal geforderte Haftstrafe bei 20 Jahren liegen? Sollen kleinere Drogendelikte vom Straf- ins Zivilrecht wandern, um so die Gerichte zu entlasten und ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen, weil immer noch mehr Schwarze wegen Drogendelikten angeklagt werden? Und vor allem: Wie wird die Strafverfolgung von Donald Trump vorangetrieben?

Um all diese Fragen hat sich zuletzt Cyrus Vance, Jr. gekümmert, Sohn eines früheren US-Außenministers unter Jimmy Carter. Die Arbeit von Vance, Jr. hat im März der New Yorker (Opens in a new window) in einem ausführlichen Porträt eindrucksvoll beschrieben.

Auf ihn folgt nun voraussichtlich Alvin Bragg aus Harlem. Er hat in der Vergangenheit unter anderem Ermittlungen zu Polizeigewalt geleitet und liegt vor der Auszählung der Briefwahlstimmen vorne. Auch diese Wahl wird bei The City (Opens in a new window) gut beschrieben.

DIE (POP-)KULTUR - WORÜBER DAS LAND SPRICHT

Hacks

Es ist nicht gerade die ungewöhnlichste Ausgangslage: Grantelnder Altstar mit harter Schale und weichem Kern trifft auf aufstrebenden, aber übermütigen Nachwuchs - und nach anfänglichen Problemen erkennen beide, was sie an der anderen Person haben. Was aber „Hacks“ auf HBOmax daraus macht, ist eine Serie über die US-Standup- und Comedy-Szene, die angenehm viel über jahrzehntelangen Sexismus, Rassismus und Ageismus zu sagen hat. Wer zuletzt das Netflix-Special „Nanette“ mochte, dürfte wohl auch Gefallen an „Hacks“ finden.

Als Vegas-Star Deborah Vance hat die ewige Nebendarstellerin Jean Smart (unter anderem die Mutter von Zach Braffs Slacker-Kumpel in „Garden State“) endlich eine Rolle bekommen, in der sie exzellent ihre Stärken zeigt. Ihre Dynamik mit Hannah Einbinder als jungem Counterpart ist beeindruckend, oft sehr lustig, teils düster und wie der Rest der Serie so, dass sich beim ersten Schauen gar nicht unbedingt einschleicht, wie vielschichtig „Hacks“ funktioniert.

Zu Recht hat „Hacks“ beim Kritiken-Überblick von Rotten Tomatoes (Opens in a new window) eine 100%-Wertung. Einen im Vergleich zur Restserie etwas zu lauten Trailer gibt es bei YouTube (Opens in a new window).

Das war's für diese Woche. Nach dem ausgeprägten Pessimismus  von der Wochenend-Mail geht es nächste Woche hier weiter mit Ideen, die Optimismus spenden und für die es sich zu kämpfen lohnt.

Bis dahin: Best from NYC,

Christian

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