Wie (un-)politisch ist Gedenken?
3. Januar 2025
Liebe Lesende,
ich wünsche Ihnen ein frohes, gesundes und inspirierendes Jahr 2025!
Ich hätte den ersten Wochenkreisel im Jahr 2025 gern anders begonnen als mit diesem Thema: Auf dem Waldfriedhof Halbe hat es in den vergangenen Tagen gleich zwei Grablichter-Aktionen gegeben, die für Aufsehen gesorgt haben - vor allem in rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien und Gruppierungen wie Junge Nationalisten, Freie Sachsen oder Die Heimat sowie in einschlägigen Medien, von “Junge Freiheit”, über Compact und Nius bis zu “Weichreite TV”. Im Kern geht es um die Frage, wie wir der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedenken und wie (un-)politisch so ein Gedenken sein kann. Gibt es etwas gegen das stille, private Gedenken mit Grablichtern und Blumen einzuwenden? Und was, wenn es tausende Grablichter sind, die auf Initiative einer Facebook-Seite kollektiv gesammelt und auf verschiedenen Grabstätten verteilt wurden? Was, wenn rechtsextreme Gruppierungen wie die Jungen Nationalisten oder die Freien Sachsen mitlaufen: Kann das Gedenken dann unpolitisch bleiben?
Auf dem Waldfriedhof Halbe ruhen rund 24.000 Opfer der Kesselschlacht von Halbe – deutsche Soldaten und Ziviltote, aber auch sowjetische Zwangsarbeiter sowie in der deutschen Hinrichtungsstätte Berlin-Tegel und im Internierungslager Ketschendorf ermordete Menschen. Auch heute noch werden dort Kriegstote beigesetzt, die erst jetzt gefunden werden. Ihr Gedenken zu bewahren und an die letzten Kriegstage in Halbe und eine der schrecklichsten Kesselschlachten des Zweiten Weltkriegs zu erinnern, darum kümmern sich Institutionen wie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, aber auch lokale Bündnisse, Zeitzeugen, Bildungseinrichtungen, öffentliche Verwaltungen, Parteien und Kirchen.
Zur Jahrtausendwende hatte es in Halbe regelmäßig so genannte “Heldengedenken” gegeben - Demonstrationen und Aufmärsche von Neonazis, die der deutschen Wehrmachtssoldaten gedenken wollten. Demokratische Bündnisse setzten sich diesen Aufmärschen mit Aktionen wie Gegendemonstrationen, Straßenfesten, Konzerten und Lesungen entgegen, manchmal in direkter Konfrontation auf der Straße, getrennt durch die Polizei. Schließlich wurde 2006 in Brandenburg ein Gesetz (Opens in a new window) erlassen, wonach öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge auf Gräberstätten sowie in einem bestimmten Bereich der „unmittelbaren und engen räumlichen Nähe von Gräberstätten“ verboten sind.
Auch große, nach eigenem Bekunden private Initiativen pflegen die Erinnerung, etwa die Facebook-Seite “Deutschlands Kriege und seine Soldaten 1813-1945”, die zurzeit rund 85.000 Follower hat. Sie ist “eine Seite zum Thema Deutsche Militärgeschichte... Biografien, Denkmäler, Fakten, Technik etc.” heißt es in der Seiteninfo, kategorisiert als “Unterhaltungswebsite” mit dem Claim “Neu und angesagt”. Die Seite hält Informationen über vor allem deutsche Gefallene bereit. Die Bildsprache ist militärisch geprägt samt (Opens in a new window) Frakturschrift und Eisernem Kreuz. Der Neujahrsgruß der Seite zeigt (Opens in a new window) einen mit geschlossenen Augen liegenden Soldaten, daneben ein Messer und geleerte Bierflaschen. Jemand, der das Bild als unangemessen kommentiert, wird zurechtgewiesen mit “Dann einfach mal die Scheuklappen abnehmen und weitere Beiträge ansehen” und dem Hinweis “Na da denke mal schön nach, wo D mit seinen Kriegstreibern gerade steht...Viel Spaß. Geschichte wiederholt sich seit 2000 Jahren.”
Diese Initiative ruft regelmäßig zu Weihnachten dazu auf, auf Kriegsgräbern Lichter aufzustellen. Dank einer Spendenaktion sollten es dieses Weihnachten 11.000 Kerzen an verschiedenen Orten sein. Fotos von mehreren Kriegsgräberstätten wurden unter dem Hashtag #diekesselleuchten2024 veröffentlicht. Häufig wird in Dunkelheit fotografiert, sodass nur die Lichter zu sehen sind. Augenscheinlich soll eine möglichst große optische Wirkung erzielt werden. Bereits früher hat es offenbar solche Aktionen gegeben, wie es auf der Facebookseite heißt (Opens in a new window): “Die Jungs aus Halbe zu unterstützen, beim Kauf von Kerzen für das Gräberleuchten auf dem Waldfriedhof, war ein Mega-Projekt. Doch waren nicht wir es, die es geschafft hatten, Ihr habt es geschafft, durch eure finanzielle Unterstützung damals!” Das wollte man diesmal offenbar wiederholen, und so wurden vor Weihnachten tausende Kerzen auf dem Waldfriedhof Halbe verteilt.
Der Polizei war zuerst der Aufruf auf Kanälen der als rechtsextrem und verfassungsfeindlich eingestuften Partei “Die Heimat” (früher: NPD) aufgefallen, wie Pressesprecher Maik Kettlitz mitteilt. “Wir hatten schon lange Hinweise über den Aufruf zum Ablegen von Grablichtern über die Weihnachtsfeiertage”, sagte er. Da deutlich mehr Lichter als üblich und Kränze mit schwarz-weiß-roten Streifen (Reichsflagge) zu sehen gewesen seien und Fotos der illuminierten Gräberstätten gepostet wurden, sei das Ganze als Aktion mit Versammlungscharakter gewertet worden. “Das mussten wir beenden und haben die Grablichter sichergestellt”, so der Sprecher. In Halbe seien es einige Tausend gewesen. Laut Gräberstättenversammlungsgesetz ist eine derartige Meinungskundgabe u.a. auf dem Friedhof in Halbe verboten.
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