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Über VW-Currywurst, Hubert Aiwanger und die Schauspielerin Gisa Flake

Der Übermedien-Newsletter von Boris Rosenkranz

Logo von Übermedien und Porträt von Boris Rosenkranz. Hintergrund: Etliche Kamerateams in der Bundespressekonferenz.

Liebe Übonnent:innen,

eigentlich kann es einem ja wurst sein, was sich Menschen in Kantinen so in die Futterluke stecken. Außer es geht tatsächlich um Wurst, um FLEISCH!!!, genauer gesagt: Currywurst. Dann hat das natürlich allerbestes Kulturkampf-Potential, und dann ist das ein großes Thema, auch für Medien.

Vor zwei Jahren hatte Volkswagen verkündet, künftig in einer seiner Konzern-Kantinen in Wolfsburg kein Fleisch mehr anzubieten, auch keine (hauseigene) Currywurst. Das Getöse war groß damals (Opens in a new window). Legendär, welchen Senf Altkanzler Gerhard Schröder zu der Debatte rausdrückte: Die Currywurst, sprach er, liebe Mitbürger, sei „einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion“, und der dürfe nicht vom Speiseplan verbannt werden!

Was damals meist unterging: Es handelte sich um eine von 30 VW-Kantinen, die auf Wunsch vieler Mitarbeiter fleischfrei wurde. Wer unbedingt Wurst oder was auch immer haben wollte, musste nur über die Straße gehen, in eine andere Kantine, und konnte dort, theoretisch, ganze Schweine in sich stopfen. Aber wen interessierte es. Der nationalen Empörung Futter gebend, schrieben oder insinuierten etliche Medien, VW schaffe die Currywurst einfach ab.

Und jetzt: die nächste Runde Wurst! Wie der NDR meldete (Opens in a new window), wird in der bisher fleischfreien Konzernkantine doch auch wieder Fleisch und Fisch angeboten, als „zusätzliches Angebot“. Damit Gruppen, aus denen irgendwer gerne eine Portion Tier schnabulieren mag, auch in diese Kantine gehen können. Das solle andere VW-Kantinen entlasten, verlautete es aus der VW-Zentrale.

Kein großes Ding? Haha, doch doch!

Artikel von Welt.de mit der Überschrift: „Die Bevormundung der Angestellten ist gescheitert“, darunter ein Foto von Currywurst und Pommes und ein Foto des Autors.

Natürlich berichten wieder alle: „Nach Kantinen-Drama: VW bringt die Currywurst zurück“, schreibt (Opens in a new window) die „Süddeutsche Zeitung“. „Comeback der Kult-Wurst“, titelt (Opens in a new window) „auto motor sport“. Und die „Welt“ überschreibt einen Kommentar (Opens in a new window) ihres Redakteurs Holger Kreitling mit:

„Die Bevormundung der Angestellten ist gescheitert“

Da ist er wieder: der Kampf gegen die vermeintliche (Fleisch-)Bevormundung.

Nun also komme „kleinlaut die Kehrtwende“, schreibt Kreitling; die „wurstige Entscheidung“ (sic!) sei zu begrüßen. Und dann geht er an die Eingeweide:

„Eine vermeintlich zeitgemäße Ernährung von Erwachsenen ist weder für Unternehmen noch für den Staat das richtige Betätigungsfeld. Aus oberschlauem Selbstdarstellungs-Chic wird nämlich schneller Bevormundung, als man eine Tube Mayonnaise ausdrücken kann.“

(Hier bitte passenderweise das passende Quetsch-Geräusch mitdenken.)

Erwachsenen in Büros und Betrieben „keine Wahl zu lassen“, schreibt Kreitling weiter, „bleibt eine recht dumme Idee“. Was insofern recht dumm von Kreitling ist, weil den Beschäftigten eine Auswahl ja nie verwehrt wurde. Sie mussten sich halt frei über eine Straße bewegen, um frei eine Speise auszuwählen.

Das hat auch FAZ-Redakteurin Inken Schönauer erkannt, sie schreibt es sogar in ihrem Kommentar (Opens in a new window), dennoch will auch sie Bevormundung erkennen: „Wer meint, Currywurst essen zu müssen, der soll das im vollen Bewusstsein seiner eigenen geistigen und körperlichen Kräfte tun oder lassen. Aus freien Stücken und nicht, weil sein Arbeitgeber meint, es besser zu wissen.“ (Über dem Text steht übrigens ganz klein: „VW-Kantine: Das Currywurst-Comeback bewegt Deutschland“. Und da kann ich klar sagen: Nee, nein, ganz gewiss nicht.)

Kreitling versäumt es in der „Welt“ auch nicht, noch mal auf eine zehn Jahre alte Diskussion (oder besser: überdrehte Aufregung) zu verweisen – auf den „Veggie-Day“, den die Grünen 2013 anregten, und damit, laut Kreitling, „ihr Verbots-Image zementierten“. Dabei wollten die Grünen nichts verbieten. Sie sprachen sich dafür aus, dass öffentliche Kantinen eine „Vorreiterfunktion“ übernehmen und einen Tag die Woche nur Pflanzliches anbieten. Was dann als, na klar: „Grüne wollen uns das Fleisch verbieten“ („Bild“) verklärt wurde (Opens in a new window), ein Schlager, der bis heute in gewissen Kreisen inbrünstig angestimmt wird.

Ist es nun also so, dass die Mitarbeiter „gesiegt“ haben, wie es zum Beispiel der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß auf Twitter (Opens in a new window) schreibt (und diesen Beitrag für „klug und ausgewogen“ hält (Opens in a new window))? Haben sich die Leute mit Fackeln und Pommesspießen ihre Currywurst zurückerobert?

Kann man so sehen. Wenn man unbedingt will. Man kann es auch sehen wie Robin Engelhardt, der zu dem Tweet von Bareiß (auf Twitter (Opens in a new window)) schreibt:

„Dummes Gesabbel. Die Mitarbeiter haben nicht ,gesiegt‘, die Mitarbeiter haben sich vor zwei Jahren für eine Veggie Kantine ausgesprochen und in einer neuen Befragung wieder für Fleisch. Warum müssen manche MdBs aus wirklich ALLEM einen Kulturkampf machen?“

Und, Zusatzfrage: Wieso auch manche Medien?

Diese Woche neu bei Übermedien

Screenshot eines Artikels auf der Internet-Seite der „Süddeutschen“: Das Gesicht von Hubert Aiwanger, darauf die Überschrift: „Das Auschwitz-Pamphlet“.

Die „Süddeutsche Zeitung“ über Hubert Aiwanger. Screenshot: SZ

Die „Süddeutsche“ macht vor, wie man nicht über einen Fall wie Aiwanger berichten sollte (Opens in a new window) | Stefan Niggemeier analysiert, wie „berauscht vom eigenen Scoop“ die SZ über Vorwürfe gegen den Chef der Freien Wähler berichtet. (Ü)

Beten wir für eine bessere Doku über Antifeminismus (Opens in a new window) | Lisa Kräher über einen Film des „Y-Kollektivs“, der es nicht schafft, sein Thema gut zu erklären.

„Wir müssen Formate machen, die Zuschauer:innen dazu bringen, wütende Briefe in Sütterlin zu schreiben“ (Opens in a new window) | Die Schauspielerin Gisa Flake über gute und schlechte Serien, Klischees in Drehbüchern und Diskriminierung am Set. (Ü)

Ein wunderbar überzuckertes Gegengift zum trüben Alltag (Opens in a new window) | In unserer Serie „Geheime Leidenschaften“ berichtet diese Woche ZDF-Redakteurin Nicole Diekmann, was so toll ist an der Netflix-Serie „Süße Magnolien“. (Ü)

Was tun, wenn Politiker Journalisten zu Mikrofonhaltern degradieren? (Opens in a new window) | In unserem Podcast spricht Holger Klein diese Woche mit der ZDF-Journalistin Winnie Heescher über Politiker und den Satz: „Keine Fragen zugelassen“.

(Ü) Exklusiv für Übonnent:innen

„Wir sind noch nicht am Ziel“, schrieb Julia Becker, die Chefin der Funke-Mediengruppe, Anfang des Jahres in einem Gastbeitrag (Opens in a new window) in der „Süddeutschen Zeitung“. Noch immer sei die Branche von Männern dominiert. Zwar habe sich einiges verändert in den vergangenen Jahren, aber eben nicht genug. In einer Keynote (Opens in a new window) erklärte Becker zudem, es sei Zeit, dass bei Funke ein „feministisches Netzwerk“ entstehe, eine „feministische Pressuregroup“, die dabei unterstütze, „Frauen in Führungspositionen (mindestens in Parität mit Männern) zu bringen und einen Journalismus von Frauen für Frauen zu praktizieren“.

Wie weit es damit gediehen ist, habe ich bisher nicht recherchiert, aber nun hat die Funke-Mediengruppe auf jeden Fall eine, in ihren eigenen Worten: „große Feminismus-Kampagne im eigenen Haus“ gestartet. Endlich werden also ganz viele Stellen radikal mit Frauen besetzt! Nein, Moment. Falsch.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Funke-Mediengruppe, jeweils im Funke-T-Shirt mit dem Aufdruck „This is what a FEMINIST looks like“.

Funke-Mitarbeiter:innen in Funke-PR-Shirts. Foto: Funke-Mediengruppe

Die „große Feminismus-Kampagne“ von Funke geht so: Der Verlag (genauer: die Frauenmagazin-Marke „EDITION F“, die seit bald einem Jahr zu „Funke Lifestyle“ gehört) hat lifestylige T-Shirts drucken lassen mit dem Spruch:

„This is what a FEMINIST looks like“

„Die Message“, schreibt die Funke-Mediengruppe in ihrer Pressemitteilung (Opens in a new window), „soll Diskussionen anstoßen, Vorurteile abbauen und zu einem offenen Dialog über Gleichstellungsthemen anregen“.

Zwischenfrage: Diese „Message“ soll Diskussionen anstoßen? Worüber? Über das Aussehen von Feminist:innen? Und Vorurteile abbauen? Dass die Leute also sagen: Oh, sieht doch gar nicht sooo schlimm aus, so ein Feminist?

T-Shirt-Feminismus ist so 2016, aber egal, die Funke-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich das „weiße T-Shirt mit dem inspirierenden und kraftvollen Spruch“ nun bestellen, sie bekommen es kostenlos. Oder besser: Sie sollen es sich bestellen. Sie sind nämlich „dazu aufgerufen“, schreibt Funke, „sich in dem T-Shirt ablichten zu lassen, ein Statement zum Thema Feminismus aufzuschreiben und dies auf ihren Social-Media-Plattformen zu teilen“.

Ich weiß nicht. Will man als Mitarbeiter:in dazu „aufgerufen“ sein, sich in ein Spruch-Shirt zu hüllen, selbst wenn es einer guten Sache dient? Was, wenn man keine Lust hat, das zu tragen und zu posten? Gilt man dann als: dagegen?

Vielleicht hat der eine oder die andere auch einfach keine Lust, als Werbe-Figur für eine PR-Kampagne eingespannt zu werden, die das Ganze eigentlich ist.

„Hintergrund der Aktion“ sei, schreibt Funke:

„Am 21. Oktober 2023 findet in Berlin der FEMALE FUTURE FORCE Day erstmalig unter der Flagge der FUNKE Mediengruppe statt.“

Das ist eine eintägige Konferenz für (vornehmlich) Frauen in Berlin, die „Edition F“ erfunden hat, bevor das Magazin insolvent ging und von Funke übernommen wurde. Das ist der Kontext für die Gratis-Shirt-Aktion. Die Tickets für den FFF-Day kosten „ab 150 Euro“, und wer sich beeilt, kriegt eine Kerze in Brustform und einen Beutel mit aufgemalten Brüsten gratis dazu (Opens in a new window).

This is what FEMNINISM looks like.

Schönes Wochenende!

Herzliche Grüße
Boris Rosenkranz

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