Über Journalistenpreise, 57 Fragen nach der Europawahl und falsche Studien
Liebe Freundinnen und Freunde von Übermedien,
Journalistenpreise sind so eine Sache. Außerhalb der Branche eher weniger beachtet, scheinen sie in unserer Medien-Bubble umso bedeutender zu sein. Sie tragen zum guten Image von Medienhäusern bei, für die preisgekrönten Journalist:innen selbst sind sie ein wichtiger Türöffner und Karriere-Booster. Andererseits gibt es natürlich zig tolle Journalist:innen, die mit herausragenden Recherchen noch nie irgendeinen Preis gewonnen haben, weil ihre Texte nicht eingereicht wurden oder eine Jury sich zwischen vielen guten Beiträgen entscheiden musste. Das macht ihre Arbeit aber nicht weniger wertvoll.
In diesen Wochen wird wieder viel ausgezeichnet, gelobt und gedankt. Am Montag kürte das „Medium Magazin“ in Berlin die „Journalisten des Jahres“. Am Mittwoch wurde in Hamburg der „Stern“-Preis (ehemals Henri-Nannen-Preis) verliehen, und in gut einer Woche findet die Preisverleihung des „Herbert-Quandt-Medienpreises“ statt. Dieser geht seit 1986 jedes Jahr an „Journalisten und Publizisten aller Medien, die sich in anspruchsvoller und allgemeinverständlicher Weise mit dem Wirken und der Bedeutung von Unternehmern und Unternehmen in der Marktwirtschaft“ auseinandersetzen, heißt es auf der dazugehörigen Homepage (Opens in a new window). Mit insgesamt 50.000 Euro ist er der höchstdotierte Journalistenpreis Deutschlands.
Aber er ist auch höchst problematisch, wie Rüdiger Jungbluth diese Woche bei Übermedien schreibt. Denn Herbert Quandt war unter anderem Mitglied der NSDAP sowie Fördermitglied der SS. Und Quandt habe, so Jungbluth, auch nach 1945 „keine Berührungsängste mit Altnazis“ gehabt. Der Preis sei:
„Ein Journalistenpreis zum ehrenden Gedenken an einen Unternehmer, der während der NS-Diktatur mitverantwortlich war für das Leid Tausender ausgebeuteter Zwangsarbeiter, der eine führende Rolle in der Rüstungsindustrie einer kriegerischen Diktatur hatte und der überdies an mehreren sogenannten Arisierungen auf Kosten jüdischer Unternehmer mitwirkte.“
Den ganzen Beitrag von Rüdiger Jungbluth lesen Sie hier (Opens in a new window) exklusiv mit einem Übermedien-Abo.
(Opens in a new window)Wer in diesem Jahr mit dem „Herbert-Quandt-Medienpreis“ ausgezeichnet wird, kann man auf der Homepage des Preises nachlesen. Dort erklärt die Jury ausführlich, warum sie die diesjährigen Preisträger ausgewählt hat. Weniger transparent war hingegen eine andere Jury-Entscheidung: die, mit dem „Stern“-Preis ausgerechnet die Enthüllung der „Flugblatt-Affäre“ um Hubert Aiwanger in der „Süddeutschen Zeitung“ auszuzeichnen. Die Recherche, die im August veröffentlicht wurde, hatte eine große Debatte ausgelöst.
Nicht nur wir (Opens in a new window) hatten die SZ-Geschichte kritisiert, sogar der SZ-Chefredakteur hatte im Nachhinein Fehler eingestanden. Da wäre es doch interessant, ja sogar fair dem Publikum gegenüber, zu erfahren, warum die Jury darin trotzdem die „Geschichte des Jahres“ gesehen hat. Stefan Niggemeier schreibt:
„Müsste ein Journalismus-Preis, der irgendeine öffentliche Relevanz beansprucht, nicht mit dem Publikum kommunizieren, überhaupt: mit irgendwelchen Menschen jenseits derjenigen, die sich vor Ort gegenseitig auf die Schultern geklopft haben? Das gilt grundsätzlich, aber bei einem Artikel, der so umstritten war wie der Aiwanger-Artikel der SZ, wäre es ganz besonders wichtig. Sonst entsteht bestenfalls der Eindruck, dass Artikel nur für die Kollegen geschrieben werden, und schlechtestenfalls, dass man dem kritischen Publikum mit diesem Preis einfach den Stinkefinger zeigen wollte.“
Den ganzen Beitrag von Stefan Niggemeier lesen Sie hier (Opens in a new window).
Derzeit haben Sie unseren kostenlosen Newsletter abonniert. Dieser informiert sie etwa alle 2 Wochen über unsere neuen Inhalte.
Doch es gibt noch mehr!
Das bringt Ihnen eine Mitgliedschaft bei Übermedien:
Sie erhalten sofortigen Zugang zu allen Texten.
Sie bekommen jeden Samstag unseren Mitglieder-Newsletter mit exklusiven Einordnungen und Recherchen.
Sie ermöglichen Übermedien.
Sie werden klüger (ohne Gewähr).
Neu bei Übermedien:
(Opens in a new window)57 Fragen, die wir uns nach der Europawahl stellen (Opens in a new window) | Europa hat gewählt. Angesichts der Ergebnisse haben wir bei Übermedien erst mal mehr Fragen als Antworten – also teilen wir sie mit Ihnen.
Wie verwirrend kann so ein Wahlabend sein? (Opens in a new window) | In den Sendungen zur Europawahl ging es vor allem um die Bundesregierung – und sehr wenig um Europa. Auch Zahlen wurden teilweise irreführend aufbereitet. Holger Klein ruft an bei Wahlforscher Thorsten Faas. (Podcast)
Sozialneid statt Fakten (Opens in a new window) | Angeblich gebe es mehr als vier Millionen Menschen, die arbeiten könnten, es aber nicht tun. Doch die Rechnung von „Bild“ zum Bürgergeld geht nur auf, wenn man ignoriert, was in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit wirklich steht, schreibt Martin Rücker. (Ü)
Hauptsache Hörerstimmen. Warum eigentlich? (Opens in a new window) | Angeblich diskutiert in einer neuen ARD-übergreifenden Anrufsendung ganz Deutschland mit. Naja, ganz Deutschland ist dann doch nicht dabei. Und diskutiert wird eigentlich auch nicht. Matthias Warkus hat sich „Mitreden!“ angehört. (Ü)
(Opens in a new window)Foto: Imago / Monate: Übermedien
Jens Spahn fordert, Medien berichten (Opens in a new window) | Der CDU-Politiker stellt immer wieder Forderungen. Und immer wieder melden Medien das, oft ohne Einordnung, und obwohl das oft keine Nachricht ist. Arne Semsrott fordert in einem neuen Buch: Der Forderungsjournalismus muss sterben!
Lokaljournalismus (Opens in a new window)im Hochwasser (Opens in a new window) | Als im bayerischen Schrobenhausen die Flut kommt, wird auch die einzige Zeitungsredaktion überschwemmt. Trotzdem berichten die Lokaljournalisten aus dem Katastrophengebiet – und sorgen sich gleichzeitig um ihre eigenen Keller. Ein Erfahrungsbericht von Isabel Ammer.
Wenigstens nicht so schlimm wie befürchtet? Wenn Wahlerfolge plötzlich wie Niederlagen wirken (Opens in a new window) | Am Sonntag gehen die Kommunalwahlen in Thüringen in die zweite Runde. In der ersten hat die AfD erheblich Stimmen gewonnen – aber das merkte man der Berichterstattung nicht immer an, meint Stefan Niggemeier.
Vergessene Krisen (Opens in a new window) | Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten dominieren die Berichterstattung. Viele andere Krisen bekommen dagegen kaum mediale Aufmerksamkeit. Vor allem Länder in Afrika geraten oft aus dem Fokus. Warum sie mehr Aufmerksamkeit brauchen, hat Julian Hilgers aufgeschrieben.
ARD-Doku „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ (Opens in a new window) | Philipp Awounou hat eine Doku gemacht, in der es auch um rassistische Haltungen gegenüber der DFB-Elf geht. Nun wird empört über eine Umfrage diskutiert, die das belegen soll. Das liegt an der fragwürdigen Präsentation, aber auch daran, dass einige die Ergebnisse nicht hören wollen, schreibt Lisa Kräher.
Wieso werden Interviews autorisiert? (Opens in a new window) | In Deutschland ist es üblich, Interviews vor Veröffentlichung an den Gesprächspartner zu schicken, der dann nochmal ran darf. Aber warum eigentlich? Johanna Bernklau hat nachgefragt bei „Stern“-Journalist Veit Medick.
NDR misslingt die Aufarbeitung des Misslingens (Opens in a new window) | Nach der Rezo-Kritik an „Strg_F“ brauchte der NDR Monate, um einen Abschlussbericht vorzulegen. Nun ist er da. Er bedauert viel, erklärt aber wenig. Eine Enttäuschung, analysiert Stefan Niggemeier. Und auch im Sender gibt es dafür viel Kritik.
Eine Interviewanfrage mit bedrohlichem Unterton (Opens in a new window) | Der Journalist Tom Noga will, dass eine Mutter „auspackt“, wer sie bei ihrem langen Sorgerechtsstreit unterstützt. Er bietet ihr einen fragwürdigen „Deal“ an – und zeichnet ein bedrohliches Szenario, sollte sie nicht darauf eingehen. Von Matthias Meisner.
Hasswort: Klimawandel (Opens in a new window) | ZDF-Wettermoderator Özden Terli findet den weit verbreiteten Begriff viel zu gemächlich für die rasante Erderhitzung.
„Bild“ findet Wellengenerator für Wasserstandsmeldungen (Opens in a new window) | Das Umfrage-Institut Insa rät jede Woche auf der Grundlage seiner „Sonntagsfrage“, welche Wahlkreise von welcher Partei gewonnen würden. Damit können Medien noch spektakulärer und spekulativer berichten. Hurra. Von Stefan Niggemeier.
Dürfen Medien Leute, die Nazi-Parolen singen, an den Pranger stellen? (Opens in a new window) | Die Personen aus dem „Sylt-Video“ wurden öffentlich vorgeführt. Der Presserechtsanwalt Felix Damm hält die Berichterstattung für „gravierend rechtsverletzend“ – und auch nicht zielführend. (Podcast)
Ein Update: Vergangene Woche wurde ein Redakteur des Freiburger Senders „Radio Dreyeckland“ vom Landgericht Karlsruhe freigesprochen. Der Prozess gegen ihn lief seit Mitte April. Er hatte in einem Artikel auf das verbotene Portal „linksunten.indymedia“ verlinkt, weshalb ihm die Unterstützung einer verbotenen Vereinigung vorgeworfen worden war.
Wegen des Links waren 2023 sowohl die Privaträume des Redakteurs als auch die Redaktion durchsucht worden. Unser Autor Andrej Reisin hat damals darüber berichtet. Hier (Opens in a new window) können seinen Beitrag lesen.
(Opens in a new window)Seit kurzem steht beim „Spiegel“ unter der Überschrift „Hörgeräte schützen vor Demenz“ keine Meldung mehr, sondern nur noch eine Anmerkung der Redaktion. Man habe an dieser Stelle über eine Studie berichtet, „die den Zusammenhang zwischen Hörgeräten und Demenz untersucht hat“, steht da. Die dpa hatte die Meldung über die Studie zuerst verbreitet.
Das Fachmagazin „The Lancet Public Health“, in dem die Studie ursprünglich erschienen war, hatte sie allerdings später aufgrund einer fehlerhaften Datenauswertung zurückgezogen. Das war vor mehr als einem halben Jahr – der „Spiegel“ korrigierte seinen Text erst vor wenigen Tagen.
Dass die Meldung so lange beim „Spiegel“ stand – bei vielen anderen Medien ist sie immer noch zu finden – liegt wohl daran, dass die meisten Redaktionen von der Richtigstellung, die die dpa im Dezember verschickt hatte, gar nichts mitbekommen haben.
Erst nachdem meine Kollegin Annika Schneider diese Woche den „Spiegel“ darauf hinwies, reagierte die Redaktion. „Hätten wir davon Kenntnis gehabt, hätten wir das entsprechend unseren Standards sofort und transparent korrigiert“, schrieb ein Sprecher.
Der ursprüngliche Fehler liege klar bei den Wissenschaftlern, die die Studie veröffentlicht haben und kein Mensch könne erwarten, „dass Redaktionen alle jemals bei ihnen erschienen Texte auf einem aktuellen Stand halten“, schreibt Annika Schneider. Dennoch sieht sie auch eine größere Gefahr:
„Wenn ich einer Nachrichtenseite schon bei solch einem Thema aus der zweiten Reihe nicht trauen kann, warum sollte ich es bei wichtigeren Themen tun?“
Welche Medien vorbildlich reagiert haben und warum es gerade bei Meldungen aus der Wissenschaft in Zukunft öfter zu Richtigstellungen kommen könnte, lesen Sie hier (Opens in a new window) mit einem Übermedien-Abo.
Schönes Wochenende!
Lisa Kräher