Unvergessliche Protagonisten - wie du sie nahbar und authentisch zeigst
Der Dreh- und Angelpunkt einer guten Geschichte ist der Protagonist. Egal, wie gut du Geschichten erzählen kannst - es bleibt entscheidend, wer diese Rolle ausfüllt und auf welche Art und Weise du diese Person darstellst.

Help! Suche für einen Beitrag einen alleinerziehenden Vater von drei Jungs und einem Mädchen - am besten ein Baby -, der einen Streichelzoo betreibt. Bitte unbedingt bis heute Mittag bei mir melden!
Jeder aus der Journalist*innen-Bubble kennt diese verzweifelten Aufrufe von Kolleg*innen. Sie suchen eine*n extrem spezifischen Protagonisten, am besten bis gestern.
Ja, ich habe auch schon einige solcher Aufrufe geschrieben - wenn auch zum Glück mit realistischeren Anforderungen.
Dahinter stecken Redaktionen, die mit aberwitzigen Geschichten Resonanz suchen. Dafür stellen sie für die Protagonisten-Suche ein ausgedachtes Profil voller ungewöhnlichen Eigenschaften zusammen.
Oft müssen Praktikant*innen eine entsprechende Person in der Realität ausfindig machen und überzeugen, mitzumachen. Unter massivem Zeitdruck.
Mit Blut, Schweiß und Tränen ensteht am Ende eine MAZ. Was erfahren wir darin über diese Protagonist*innen?
🏡 Wir sehen sie meistens in ihrem natürlichem Habitat - zu Hause oder dort, wo sie ihre Quirks auslebt
😜 Wir erfahren etwas über Aussehen, Millieu, irgendeine soziale Nische und vielleicht bekommen wir eine starke Meinung von ihr hingeknallt. In einem 6-Sekunden O-Ton. Krass!
Bei der Charakterisierung von Protagonist*innen gibt es zwei Fallen, in die Medien oft tappen.
❌ Protagonist*innen wie leere Hüllen behandeln. Nichts anderes als die Eigenschaften, mit denen sich die Person gerne nach Außen darstellt, zeigen.
❌ Die Autor*innen sind Hobby-Psychologen und versuchen die Protagonist*innen zu erklären. Auch das schadet der Geschichte.
Was macht Protagonisten oder andere Charaktere in Texten, im Bewegtbild und Audio spannend?
1️⃣ Der oder die Protagonist*in ist aktiv handelnd.
Sie oder er kann kein NPC im eigenen Leben sein - dann gibt es einfach keine Handlung.
2️⃣ Der oder die Protagonist*in sollte selbst ein guter Geschichtenerzähler sein. Gilt für reale, nicht fiktive Personen.
Im Idealfall ist es eine nahbare Person, die dich mit ihrer Geschichte, so wie sie oder er diese erzählt, berührt.
3️⃣ Save the Cat
Das “Publikum” sollte bereitwillig die Perspektive des Protagonisten einnehmen. Deswegen gibt es im Storytelling den “Save the Cat” Kniff - insbesondere für Anti-Helden: Der Protagonist sollte eine kleine herzensgute Tat unternehmen. Zum Beispiel ein Kätzchen retten.
Auch bei “normalen” Protagonist*innen, ist es wichtig, eine Sympathie-Brücke zu ihnen aufzubauen. Der Leser/ Hörer/ Zuschauer, kennt die Person schließlich noch nicht.
Was macht die Person für andere Menschen nahbar und sympathisch? Zeige das, wenn du die Person einführst.
4️⃣ Ein erkennbarer Unterschied zwischen Charakterisierung und Charakter
Charakterisierung ist das, wie sich eine Person nach Außen darstellt. Eine Reihe an Eigenschaften: Aussehen, Alter, Millieu, Intelligenz, Persönlichkeit, Werte usw.
Der Charakter ist das, wie der oder die Protagonist*in unter ihrer Maske wirklich ist. Das zeigt die Person in der Regel nicht freiwillig. Wir erkennen ihn meistens nur daran, wie der Protagonist unter Druck handelt. Oder wenn er oder sie glaubt, unbeobachtet zu sein.
5️⃣ Zwischen Charakter und Charakterisierung muss ein Konflikt, ein Widerspruch bestehen - zumindest beim Protagonisten.
Dieser Widerspruch zeigt sich im Unterschied zwischen Wünschen und Motivation. Zwischen dem, was eine Person will und was sie braucht.
Der Protagonist verfolgt ein äußeres Ziel: einen Kampf gewinnen, einen Job bekommen, den Planeten retten. Das entspricht seiner Charakterisierung.
Die Motivation, sich mit einem bestimmten Job oder einem Titel zu schmücken, findet man im wahren Charakter. Diesen Unterschied zu finden und ihn darzustellen, macht Charaktere dreidimensional. Sonst sind sie einfach nur flach.

👉 Donald Draper (Mad Men) ist nach Außen hin ein self-made Mann, ein Playboy, der alles hat, was man sich wünschen kann. Er ist auf der Jahe nach dem nächsten Erfolg, der schönsten Frau und hohem Ansehen.
Blickt man hinter die Maske, ist Don Draper ein Mensch mit vielen Problemen. Diese sowie jegliche tieferen Gefühle ertränkt er in Alkohol. Spoiler: Er ist eine tragische Figur, die diesen Widerspruch nie auflöst, und in einer Abwärtsspirale immer tiefer rutscht.
6️⃣ Keine Küchenpsychologie
Ja, du musst deine*n Protagonist*in auf einer tiefen Ebene verstehen, und auch die Person hinter der Maske zeigen. Du sollst nur nicht erklären, warum jemand so ist, wie er oder sie ist.
Ja, das ist ein Gebot. Das wäre eine Storytelling-Sünde 🙅 . Warum sind Menschen schon so wie sie sind? Wer weiß das schon?
Du kannst Andeutungen machen, verschiedene Möglichkeiten bieten. Aber die wirklichen Gründe, sollen ein Mysterium bleiben. Und dieses Mysterium ist ein Geschenk 🎁 für deine Leser, Hörer oder Zuschauer.
Noch mehr über Charakterisierung erfährst du hier:
“Show, not tell” (Opens in a new window) - So erweckst du den Stoff zum Leben
Was Details im Storytelling nicht leisten können (Opens in a new window)
In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal!
Teodora
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