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Fumito Ueda: Ein Künstler als Spieldesigner

Vor über einem Jahr habe ich die dritte Ausgabe (Opens in a new window) von A Profound Waste of Time (Opens in a new window) mit knapp 20 Britischen Pfund unterstützt. Ich kannte dieses edel illustrierte Spielemagazin nur vom digitalen Schmökern, aber dem Cover mit einem Motiv aus The Last Guardian samt der Story rund um Fumito Ueda konnte ich nicht widerstehen. Natürlich findet man auf den 190 Seiten weitere interessante Geschichten, u.a. über das wunderbare Action-Adventure Tunic, das sein Handbuch auf kreative Art in die Rätsel integrierte - es war eines meiner neun Spiele des Jahres 2022; mehr dazu in der Rezension (Opens in a new window).

Nach der langen Wartezeit hatte ich dieses Magazin fast schon vergessen. Als meine Ausgabe dann kürzlich eintrudelte, war das nicht nur eine schöne Überraschung. Denn als ich es in den Händen hielt und das Bild betrachtete, entstand aus einem wehmütigen Moment eine seltsame Sehnsucht. Fast so, als würde sich ein Tor zu einem vertrauten Lost Place öffnen - und daraus entstand ein längeres Nachdenken.

Ich hab mich zurückgelehnt und gefragt, was mich da warum derart anlockt. Da schreitet ja einfach nur ein Wesen namens Trico, dem ich schon vor sieben Jahren auf der PS4 begegnet bin, aus einer Ruine heraus auf einen Jungen zu. Und natürlich kannte ich das Motiv längst. Aber wie unheimlich stark und inspirierend diese Szene doch ist, wenn man sich in aller Ruhe auf sie einlässt.

Trico wirkt trotz seiner riesenhaften Gestalt vorsichtig und neugierig, fast wie ein Katze. Verletzlichkeit und Traurigkeit umgeben dieses fremdartige Wesen, die von den gestutzten Hörnern und Tränenspuren unter den Augen sowie der Dunkelheit im Hintergund noch verstärkt wird. Aber das helle Licht, das grüne Blätterwerk und die Unbekümmertheit des Jungen sorgen gleichzeitig für einen positiven Kontrast, für ein Gefühl von Hoffnung sowie eine abenteuerliche Aufbruchstimmung.

Es scheint so, als würde ein traumatisiertes Fabelwesen erste heilende Schritte wagen, als könne die Beziehung zu diesem Kind eine Zuversicht wecken. Der Junge trägt ja keine Rüstung, keine Waffen und doch strahlt er etwas Starkes aus: Offenheit, Vertrauen, Freundschaft - und damit eine Art von natürlicher Weisheit. Vielleicht jene, die aus der tief verwurzelten Verbundenheit von Mensch, Tier und Natur entstanden ist. Jene, die Kinder in sich tragen, bevor gesellschaftliche Konventionen und Religionen sie verschütten.

Wenn ich also merke, wie sehr ich Spiele dieser Art vermisse, und zwar auf einer emotionalen Ebene, und dort in einem fernen Winkel, aus dem heraus wenige Meisterwerke wie Das letzte Einhorn oder Prinzessin Mononoke ähnlich wirken, geht es vielleicht um mehr als ihre besondere Ästhetik oder künstlerische Anziehungskraft? Denn das ist für mich der erste und wichtigste Grund. Vielleicht ist es auch einfach naive Romantik? Bin ich ein Träumer? Zumindest bilde ich mir ein, eher ein kulturoptimistischer Skeptiker zu sein. Ich schwenke mal hinüber zur eher kulturgeschichtlichen Theorie eines anderen, überaus empfehlenswerten Spiels.

Denn im philosophischen Puzzle-Adventure The Talos Principle 2 (Opens in a new window), das auf den Erfahrungen einer sich selbst zerstörenden Menschheit beruht, geht es an einer Stelle um die Frage, warum sich der Mensch so gerne selbst hasst. Warum also negative und misanthropische Gedanken einer positiven Sicht auf die Zukunft oder ihrer Technologien entgegen stehen. Und warum manche sich so gerne in eine idealisierte Vergangenheit oder nach einem unabhängigen Leben auf dem Land zurücksehnen.

Dort heißt es, dass der Mensch nicht per se den Fortschritt hasst, sondern die Erkenntnis, dass er als Einzelner nicht mehr dazu gehört, und dass er mit ansehen muss, wie die eigentlich natürliche Gestaltung seiner lokalen Umwelt zu einer fremden Macht namens Industrie mutierte, die letztlich die komplette Erde ruinierte:

"Sie brauchten einen Traum, doch ihre trostlose Zukunft sorgte zwangsläufig dafür, dass sie wieder von der Vergangenheit träumten."

Das ist, im Gegensatz zur greifbaren Ästhetik, keine befriedigende Antwort auf die Frage, warum mich das oben erwähnte Bild von Trico oder die Spiele von Fumito Ueda auf so besondere Art faszinieren. Aber dass sie in ihrer Art an etwas Verlorenes erinnern, sei es aus der Kindheit, der Vergangenheit oder gar des kollektiven Unterbewusstseins, würde ich nicht ausschließen.

Auf jeden Fall kann ich den Spielen von Ueda eine ähnliche Wirkung zusprechen wie den Animationsfilmen von Hayao Miyazaki, in denen manchmal auch das Trauma der Zivilisation episch verarbeitet wird, in denen ebenfalls jugendliche Helden auf den ersten Blick schwach sind und mit ihrer unvermuteten Stärke auf das teils brutalistisch Märchenhafte treffen.

Meist entsteht aus digitaler Faszination ein Trend oder gar ein Subgenre, man denke an eben jene Ghibli-Filme, an Zeldalikes, Metroidvanias, Soulslikes & Co. Aber aus ICO (2001), Shadow of the Colossus (2005) und The Last Guardian (2016) entwickelten sich keine Uedalikes. Abgesehen davon, dass diese Abenteuer natürlich lange nicht so erfolgreich waren wie die Zeichentrickfilme oder ein Dark Souls, lassen sie sich nicht so leicht kopieren und produzieren.

Zumal diese drei samt ihrer teils klaren Widersprüche, immerhin tötet man mal Kolosse und wandert später mit einem weiter, eine künstlerische und spielerische Entwicklung darstellen. Mit Ico und Yorda, Wander und Agro, dem Jungen und Trico überschreitet man immer wieder erstaunliche Grenzen, nicht nur innerhalb einer abstrakt zusammen hängenden Fantasywelt, sondern auch als Spieler. Jedes dieser drei Abenteuer inszenierte zu seiner Zeit etwas Einzigartiges - dieses nur entfernt Vertraute ist der Unterschied zur klaren Linie zwischen Demon's Souls, Dark Souls und Bloodborne.

Wie herausfordernd es selbst für den Schöpfer und sein Studio von gen DESIGN (Opens in a new window) ist, diesem Weg weiter zu folgen und ihn um etwas Neues zu bereichern, wurde schon während der langen Entwicklung von Trico deutlich. Es ging Ueda und seinem Team um jede Kleinigkeit, von den oben erwähnten Spuren der Tränen unter den Augen bis hin zur Struktur des Fells - alles war wichtig. Noch nie wurde ein digitales Wesen auf diese akribische Art belebt, mit diesem Blick für Details.

Schon im Kindergarten gewann Ueda einen Zeichenwettbewerb mit einer übergroßen Schildkröte, die den Rahmen ihres Blattes zu sprengen drohte. Nachdem er erfolgreich Kunst studierte und mit 23 Jahren einen mit 1000 Dollar dotierten Nachwuchspreis von Sony gewann, installierte er einen Käfig in einem Shopping-Center; mit Kratzspuren im Sand und einem Schild samt der Warnung, dass eine gefährliche Katze darin sei. Sobald sich jemand neugierig näherte und den Kopf darüber beugte, betätigte Ueda einen Knopf, der Sand wurde plötzlich aufgewühlt und der Besucher erschreckte sich.

Die Freude über diese Reaktionen dürfte jener entsprechen, die er als Designer empfindet, wenn seine Wesen etwas in ihm und im Spieler auslösen. Auf die Frage, welchen Ansatz er bevorzuge, also eher jenen von Shadow of the Colossus oder The Last Guardian, antwortet er im Portrait des Magazins:

"Man könnte es Zerstören gegen Zusammenarbeiten nennen. Einfach ausgedrückt ist das Zerstören leichter zu entwickeln. Aber die entscheidende Frage war für mich immer: Was für ein Spiel will ich spielen? In welche Art von Welt möchte ich transportiert werden?"

Auf jeden Fall hat er Epic Games von der nächsten Reise überzeugt, hoffentlich auch von der dafür nötigen Geduld. Denn über das neue Spiel, das von den Fortnite-Machern finanziert wird und das immerhin schon 2020 ohne Titel oder Artwork angekündigt wurde, weiß man nichts. Es sollte Ende 2023 offiziell vorgestellt werden, aber da es sowohl auf der Tokyo Game Show als auch den Game Awards fehlte, dürfte die Chance auf eine baldige Enthüllung leider recht gering sein.

Diese Stille sehe ich trotzdem nicht kritisch, denn sie ist letztlich auch ein Markenzeichen von Fumito Ueda. Obwohl seine Spiele zahreiche Kreativköpfe, u.a. Guillermo del Torro und Hidetaka Miyazaki, inspiriert und zu Lobeshymnen animiert haben, mag er das Rampenlicht nicht. Er mag hinsichtlich des Erfolges sowie der spielkulturellen Wirkung an viele der japanischen Meister wie Miyamoto oder Kojima nicht herankommen.

Aber für mich hat dieser kurze Blick auf Trico mal wieder bestätigt, dass er die künstlerisch größte Leistung von allen vollbracht hat.

Vielen Dank an alle Steady-Unterstützer (Opens in a new window), die dieses kleine Spiele-Magazin mit ihrem Abo möglich machen. Es würde mich freuen, wenn ihr auch an Bord (Opens in a new window) kommt!

Topic Erkundung

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