Game Studies: Über historische Spielewissenschaften
Was denken Soziologen, Philosophen und Kulturwissenschaftler über Spiele? Über was wird in den Game Studies diskutiert? Ich habe diese Reihe mit Auf Abwegen - Folk horror, Videospiel und das Problem der Natur (Opens in a new window) von Daniel Illger begonnen. Mittlerweile gibt es dazu unter Berichte eine eigene Kategorie (Opens in a new window), in der alle Erkundungen und Podcasts über Game Studies einsortiert werden.
Dazu gehört auch das aktuelle Gespräch mit Eugen Pfister (Opens in a new window) über Geschichte und Authentizität im Spiel wie etwa in Assassin's Creed oder Kingdom Come. Mit diesen Themen beschäftigen sich Spieler, Lehrer, Entwickler, Publisher sowie Historiker und Kulturwissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Falls euch das interessiert, empfehle ich auch den Podcast mit Christian Enseleit (Opens in a new window) über das Mittelalter.
Auf jeden Fall scheint die Anziehungskraft weiter zu steigen, was nicht nur der unfassbare Erfolg von Manor Lords, sondern auch die unleidige Diskussion um Assassin's Creed: Shadows zeigt. Lange Zeit haben Literatur und Film innerhalb der Populärkultur auf das kollektive Geschichtsbild eingewirkt, aber Videospiele gehören spätestens seit Anfang der 2000er und vor allem im Zuge simulativerer und fotorealistischer Ansätze dazu.
Innerhalb der Game Studies hat sich schon so etwas wie Historical Game Studies als eine Spezialdisziplin entwickelt. Damit beschäftigt sich der Aufsatz "Introduction: what is historical game studies? (Opens in a new window)" von Adam Chapman, Anna Foka und Jonathan Westin. Das ist ein schöner Überblick, der zunächst auf den (sehr lesenswerten) Handbuch-Artikel ‘Simulation, History and Computer Games (Opens in a new window)’ verweist, in dem William Uricchio im Jahr 2005 das erste Mal einen Ausblick auf diese mögliche Disziplin gab und sich dabei u.a. auf Sid Meier’s Civilization bezog.
Er konnte noch nicht ahnen, wie explosionsartig Spiele und Artikel im weiten Feld von "Geschichte und Spiel" in den folgenden zwanzig Jahren veröffentlicht werden würden. Mittlerweile, so fassen die Autoren zusammen, gibt es innerhalb der Game Studies nicht nur digitale Sammelstellen wie das Historical Games Network (Opens in a new window), Zeitschriften wie European Historical Game Studies (Opens in a new window), Magazine wie Mittelalter Digital (Opens in a new window), sondern fast schon Epochenspezialisten wie unter klassischen Historikern, die sich z.B. in erster Linie mit Spielen in der Antike, dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit, dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg beschäftigen.
Umso relevanter werden auch die unterschiedlichen Formen der Geschichtsdarstellung in Spielen, denn es gibt nicht nur in Literatur und Film, sondern natürlich auch in Videospielen - sei es erzählerisch gewollt oder nicht - genug Beispiele für so genanntes Reframing, also einer Umdeutung, und damit den Versuch, die historische Perspektive auf ein Ereignis, eine Gestalt, einen Krieg oder eine Epoche mindestens zu beeinflussen oder gar zu ändern; da geht es nicht nur um Call of Duty, sondern auch Spiele wie Valkyria Chronicles.
Die Autoren fassen zusammen, dass die jungen Historical Game Studies aber bisher nicht den Fehler machen, über den Eugen Pfister und ich im Podcast sprachen:
"Dank des akademischen Erbes, aus dem sie hervorgegangen ist, hat die historische Spielforschung vereinfachende und wenig hilfreiche Vergleiche zwischen Spielen und akademischer Geschichte, die gelegentlich einige andere Diskurse über die Populärgeschichte beeinträchtigt haben, weitgehend vermieden. Es gibt jedoch immer noch einige Abwägungen, die in Zukunft sorgfältig getroffen werden müssen. Insbesondere müssen wir uns davor hüten, den einfachen Meistererzählungen des technologischen Fortschritts zu erliegen und zu erwarten, dass Spiele einfach umfassendere Probleme, z. B. in Bezug auf historisches Engagement und Bildung, lösen oder als sauberer Ersatz für die historischen Formen dienen, die ihnen vorausgingen. Stattdessen müssen wir auch kritisch bleiben, wenn auch hoffnungsvoll."
PS (weil es nicht im Aufsatz thematisiert wird): Die digitale Inszenierung dessen, wie es damals angeblich "wirklich war" ist längst Teil von Marketingkampagnen und sogar Firmenidentitäten, wie etwa bei Rockstar Games. Das beschreibt Esther Wright in ihrer Doktorarbeit "Rockstar Games and American History (Opens in a new window)" aus dem Jahr 2019 anhand von Red Dead Redemption 1 & 2 sowie L.A. Noir. Vielleicht finde ich mal Zeit dafür, sie genauer vorzustellen.
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