Inkulinati: Von der bemalten Schriftrolle zum animierten Spiel
Als stabile Tierhäute das fragile Papyrus in der Antike ablösen, beginnt die Geschichte der Buchmalerei. Zwar wurden auch schon die Schriftrollen der Ägypter illustriert, aber erst das Pergament war im wahrsten Sinne des Wortes ein idealer Bild-Schirm: denn es bot eine viel größere Fläche zum Bemalen und Betrachten.
Das konnte bis ins Extrem des Codex Gigas führen: Fast einen Meter (!) hoch , exakt eine halben Meter breit und satte 75 Kilo schwer ist dieser Buchkoloss, der im 13. Jahrhundert in Böhmen entstanden ist.
Er wird auch "Teufelsbibel" genannt, weil Satan dort zum ersten Mal in XXL seine Hörner zeigt. Aber in der Fantasie der Menschen ging es nicht nur um das Böse oder Dämonen.
Ansonsten hat man Fabelwesen und Tiere in so genannten Bestiarien beschrieben, meist nach dem griechischen Vorbild des Physiologus, aber im Mittelalter auch fantasievoll ausgeschmückt und gezeichnet. Heutzutage gibt es sie in fast jedem Pen&Paper-Rollenspiel, meist in Form eines Monster-Kompendiums. Und das Coole ist: Bald wird diese uralte Tradition der Buchmalerei in einem rundenbasierten Strategiespiel namens Inkulinati (Opens in a new window) lebendig:
https://youtu.be/Hlx330vg0Dc (Opens in a new window)Das fünfköpfige Team von Yaza Games nutzt den grafischen Stil bekannter Werke des Mittelalters, vor allem das Bréviaire de Renaud de Bar aus dem 13. Jahrhundert, um innerhalb der vergilbten Seiten Füchse, Esel, Drachen und Ritter zu animieren, die sich quasi auf Plattformen duellieren. Und zwar mir einer reichlichen Prise Humor, die übrigens schon die damaligen Werke kennzeichnete.
Denn auch im ach so "finsteren" Mittelalter hat man gerne gelacht: Der Kampfhase des Spiels ist z.B. keine Erfindung der Entwickler, denn Tiere in Rüstung und Schwert wurden damals häufig gezeichnet, egal ob Hunde oder Schwäne - selbst Trompeten in Ärschen samt Furzangriff oder Terrorkaninchen, die Ritter jagen, finden sich zur Erheiterung in alten Manuskripten. Dementsprechend lustig geht es auch im Spiel der Polen zu; Monty-Python-Fans dürften also auf ihre Kosten kommen.
Laut Story befehligt man eine Gruppe "Inkulinati", die mit magischer Tinte belebt werden. Dabei kann man sich als "Meister" dieser Tintenkreaturen entscheiden, ob man als Ritter Godfrey eher eine kämpferische Truppe befehligt oder als Nonne Hildegard (nach der berühmten Benediktinerin) mit Gebeten und Heilungen agiert. Im Laufe des Spiels schaltet man immer mehr Kreaturen vom Hundespeerträger bis zum Katzenbischof frei.
Inhaltlich geht es darum, seine tierischen Kämpfer auf dem 2D-Schlachtfeld clever zu positionieren, Hindernisse zu überwinden und das Duell letztlich zu gewinnen - als Rittermeister hat man z.B. 20 Lebenspunkte, die es ähnlich wie in Magic zu sichern gilt. Also schießt der Hasenbogenschütze auf feurige Schalen, die wiederum explodieren und die dortigen Feinde vernichten. Oder Schnecken fressen einfach ihre Widersacher.
Jedes Tier hat eigene Fähigkeiten, es gibt Nah- und Fernkämpfer sowie einige "historische" Wechselwirkungen - greift man einen Bischof an, wird man zum Ketzer. Aber man kann auch physikalisch in die Welt eingreifen, indem man z.B. Barrieren, Fallen, Leitern oder Feuer einsetzt. Sobald man diese Aktionen auswählt, werden sie quasi ins Bild gezeichnet. Ach so: Auch der Teufel höchstselbst ist als Boss dabei.
Zwar liegt der Fokus auf einer Kampagne für Solisten, aber es soll auch PvP und Hotseat geben. Klingt bizarr? Ist es auch auch! Aber es sieht verdammt charmant aus und als Rundentaktiker sowie Mittelalterfreund bin ich schon gespannt. Zumal die Entstehung dieses Spiels mal wieder zeigt, dass aus jeder noch so verrückten Idee etwas werden kann.
Was mal als Studienprojekt für eine Game-Design-Schule begann, wurde im Mai 2020 auf Kickstarter (Opens in a new window) gestartet und sollte mit 20.000 Dollar finanziert werden. Mittlerweile hat man 2.349 Unterstützer gefunden, die schon über 70.000 Dollar beigetragen haben. Vielleicht habt ihr es ja in Köln auf der Indie Arena (Opens in a new window) gesehen? Es freut mich jedenfalls für Yaza Games, dass Inkulinati auf der Gamescom als "Best Indie Game" ausgezeichnet wurde. Es soll in diesem Winter in den Early Access gehen und dann für PC, XBS und später auch für Switch über Daedalic erscheinen.
(Bilder: Codex Gigas, 13. Jh., Kungl. biblioteket (Opens in a new window), Schweden; Inkulinati, offizielle Webseite (Opens in a new window))