Guten Tag, werte Lesende!
Diese Woche dreht sich alles um Blut, Demut, große Fresse, coole Anzüge, mangelnde Frauensolidarität und einen richtig heißen Anlagetipp.
Nur ein Thema habe ich nicht in Worte fassen können: Abbas Comeback nach 40 Jahren. Freudentränen verschmieren die Tinte. #istillhavefaithinyou
Viel Spaß!
Trendsport der Woche
Soeben komme ich vom Kickboxtraining, unter Insidern auch als "Krone der Erschöpfung" bekannt. MedienseniorInnen, die so schöne antike Worte wie "Gewinnbeteiligung" oder "Betriebsrente" noch kennen, treffen sich ja eher beim Golf, wie Angeln ein Synonym für Alkoholkonsum bei Tageslicht.
Wir Kickboxer trinken eher Blut, meist unser eigenes, mit Speichel vermischt, weil wir Mund- und Kopfschutz mal wieder vergessen haben und der Trainingspartner ein koordinativ mäßig talentierter Wüstling ist. Hier in Berlin hat Kickboxen eine hohe street credibility und ist praktisch obendrein, falls mal wieder Querdenker durch die Stadt irren und geifern.
Unter uns: Mit dem Kampfsport, den man so von Youtube kennt, hat mein Kickboxen nicht viel zu tun. Wir sind eine kleine Gruppe älterer Herren, die durch ihr erbärmliches Stöhnen bei der Aufwärmgymnastik den Jüngeren signalisiert, dass sie noch lebt, auch wenn scheinbar totes Holz herumliegt. Bei den praktischen Übungen dienen wir dem Nachwuchs dann als lebende Sandsäcke.
Egal. Erstens bekommt man bei Combat Berlin ein cooles T-Shirt (siehe street credibility). Zweitens hat die Gattin beim Yoga was zum Angeben, sollte das Gespräch ausnahmsweise auf den Partner kommen. Und drittens ist dieser Sport so sagenhaft komplex, dass immer wieder Demut gefordert ist. Demut, das ist die aktuelle Trendtugend, wie Popstar Olaf Scholz beim Triell demonstrierte. Nicht kloppen, sondern "Ihnen dienen", wie der SPD-Kandidat dichtete. Mein Motto, schon immer.
Großmaul der Woche
Tja, wer könnte das gewesen sein? Leider ich. Vor den Ferien war ich Gast auf dem VIP-Velo des großartigen Kollegen Patrick Hesse, der die klimaneutralste Talkshow der Welt moderiert, denn Frager und Opfer strampeln gemeinsam auf einem historischen Paralleltandem aus DDR-Produktion. Wir sind durch Schöneweide geradelt und haben geredet. Mit dem Gestus des Alleswissers erkläre ich bei Minute 36, warum der Wahlkampf ohne Wenn und Aber auf ein Duell Baerbock/Laschet hinausläuft und schließlich auf eine schwarzgrüne Koalition. Die SPD rutsche wie in BaWü zwischen den beiden Blöcken durch. Auf die Frage: "Wo siehst Du Olaf Scholz nach der Wahl?" antworte ich: "Im Ruhestand." Okay, das war Anfang Juni. Demütige Erkenntnis: Einfach mal einen relativierenden Zwischensatz einfügen und den Besserwisser im Schrank lassen. Zur Ehrenrettung: Ich habe Professor Karl-Rudolf Korte und Marina Weisband als KanzlerkandidatInnen ins Spiel gebracht.
Das ganze Video ist hier zu sehen, bitte liken, abonnieren, feiern. Patrick Hesse rackert viel, radelte schon mit Giffey, Klingbeil, Scholz, Kipping und freut sich über jeden Klick.
https://youtu.be/APWOhxZ8UYA (Opens in a new window)Spoiler: Bitte achten Sie auf den Anzug von Show-Praktikant Benny.
Anlagetipp der Woche (todsicher)
Neulich in Sardinien. Ein kriminelles Touristenpaar wurde bei einer Straftat beobachtet: Diskret versuchten die Urlauber, eine leere Flasche mit Sand zu füllen und in der Badetasche zu verstecken. Aufmerksame Mitbräuner alarmierten die Polizei. Das Bußgeld für Sandklau kann auf Sardinien bis zu 1000 Euro betragen. Früher gab's Sand am Meer, Nostalgiker haben Spuren von Howard Carpendale im Ohr. Heute lagern am Strand oder in der Badehose überwiegend Mikroplastikkügelchen. Deswegen bewachen die Sarden ihre letzten echten Sandkörner.
Sand gehört ab sofort in den Safe. Wenn Daten das neue Öl sind, das sind Dünen die neuen Daten, also noch kostbarer. Denn ohne Sand keine Daten. Computerchips bestehen aus Silizium, das wiederum aus Quarzsand gewonnen wird. Bestünden Chips aus Kartoffeln, würde das Tal der Milliardäre ja Potato Valley heißen. Längst quält Sandmangel die Welt. Schon schlürfen sich Küstenländer mit gigantischen Schnorcheln gegenseitig den Sand weg. Scheichs steigen auf Sandquellen um, die USA bereiten sich auf Desert Storm III vor. Kein Blut für Sand, ruft der Pazifist.
Sand ist das neue Statussymbol. Warren Buffet soll in Sandmännchen investieren. Während gestrige Angeber mit dem Verzehr blattvergoldeter Koteletts protzen, wischen Neureiche die Goldkrümel vom Tresen und lassen sich ihren Sex on the Beach mit Sandkörnern servieren, aus kontrolliertem Abbau. Die Schickeria zieht feinste sardische Körnung durch die Nase, illegal natürlich. Sardinien ist das neue Kolumbien. Sandkästen für Kinder? Nur für Oligarchen. Das sandgestrahlte Lastenrad wird den silberfolierten SUV verdrängen. Statt schicker Schotterhügel werden wir noch wüstenartigere Arrangements in Vorgärten bestaunen, gesichert mit vollautomatischen Wasserpistolen. Der Schotter wiederum wird bei der Bundesbank zu Sand gemahlen. Aufgeregt suchen wir in unserem Urlaubsgepäck nach letzten Krümeln, die wir hochverzinst auf der Sandbank anlegen. Da wächst ein Vermögen. Und endlich ist die Rente wirklich sicher.
Mit freundlicher Genehmigung der Berliner Morgenpost
Tweet der Woche
Twitter sei eine Empörungsvervielfältigungsmaschine für Hirnlose, heisst es ja in Boomer-Kreisen. Stimmt. Aber nicht immer. In drei Tweets läßt sich erklären, warum Olaf Scholz eine Koalition mit der Linkspartei nicht ausschließt.
Beklemmung der Woche
Wisst ihr noch, damals in Kabul? Als wir uns überschlugen mit totaler Betroffenheit? Ist eine gute Woche her seitdem und zeigt uns mal wieder, worum es im Medienbusiness viel zu oft geht: um die erste schnelle heftige folgenlose Emotion. Und dann? Die nächste Dosis. Irgendwas zum Aufregen, Hauptsache wieder Dopamin im Blut.
In unserem Mutmach-Podcast "Wir" haben Suse Schumacher und ich ausführlich mit der Afghanistan-Kennerin Andrea C. Hoffmann über die Zukunft der Frauen und Mädchen unter dem Terror der Taliban gesprochen.
Erkenntnis 1: Es sieht nicht gut aus für die Lehrerinnen, Polizistinnen, Richterinnen und Journalistinnen - die Todeslisten sind geschrieben.
Erkenntnis 2: Wo sind all die FeministInnen und FrauenrechtlerInnen? Wo bleibt der Aufschrei aus Hollywood? Aus Universitäten und Redaktionen? Hier geht es nicht um die in Berlin zuletzt heftig diskutierte Frage, ob es sich um "Ehrenmorde" oder "Femizide" handelt; es geht um planmäßiges, systematisches Töten.
Afghanistans vergessene Frauen und Mädchen (Opens in a new window)
Dichter der Woche
Oliver Wurm is back, einer der wenigen Kollegen, der ein Bundesverdienstkreuz (für "Das Grundgesetz als Magazin") bekommen und vor allem verdient hat. Sein neuester Streich "13 Gedichte+", garantiert ironiefrei, mag irgendwie zum Wahlkampfspot der Grünen passen, hat Wurm aber vor allem motiviert, jede Woche ein Gedicht auswendig zu lernen. 13 Klassiker sind im Heft, auch mein Favorit "Stufen" von Herrmann Hesse, dazu 13 neue Werke, behutsam interpretiert, fürs Netz vertont, einfach rund und liebevoll. Und aus jeder Zeile, jedem Ton, jeder Seite quillt diese wunderbare Energie, die nur entsteht, wenn einer Bock hat auf das, was er macht. Zu Recht prasselt wieder das ehrliche Lob.
Und wie steigert man Bundesverdienstkreuz? Richtig, mit einem Feuilleton-Aufmacher in der SZ , von Nils Minkmar obendrein (Opens in a new window), der sich bei seinem neuen Laden – meine kleine Meinung – viel angenehmer, befreiter, frischer liest als beim Hamburger Nachrichtenmagazin.
https://www.sueddeutsche.de/kultur/13-gedichte-magazin-1.5392882 (Opens in a new window)13+ bestellen (Opens in a new window)
Style der Woche
Auf dem Personalmanagementkongress plauderte ich mit FDP-MdB Thomas Sattelberger, Nicole Gerhardt (Telefonica) und Sascha Lobo über wichtige Dinge. Na, wo in diesem Newlettter tauchte der Anzug schon mal auf? Richtig. Beim Vipvelo-Praktikanten Benny. Hat mich an die Bay City Rollers erinnert. Musste ich haben, auch wenn ich gegen mein Gelübde verstoßen habe, dieses Jahr keine Klamotten zu kaufen.
Ach, noch was, eine ehrliche Frage: Ich finde keinen Bezug zu Instagram. Soll ich mich da reinschaffen, zum Beispiel, um diesen Newsletter noch reichweitiger zu machen? Oder Haken dran an dieses Netzwerk? Hat da wer Erfahrungen? Oder ist Instagram das nächste Facebook? Unter allen Antwortenden verlose ich die fangfrische Merkel-Biografie der geschätzten Kollegin Ursula Weidenfeld.
Schönes Wochenende allerseits.
Herzlich,
Hajo Schumacher
PS: Ich habe Wolf-Dieter "Poschi" Poschmann gemocht. Gute Reise, alter Recke.
PS: Spaß an Schumachers Woche? Für alle, die meine Arbeit unterstützen möchten und können, gibt's hier (Opens in a new window) die Möglichkeit. Diese Woche verlose ich unter allen Steady-Freunden ein auf Wunsch signiertes Exemplar von Kein Netz. (Opens in a new window)