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Über das Geld und gegen das Vergessen

Niemals hätte ich gedacht, dass ich Militär und Romantik zusammendenken werde, aber anscheinend habe ich mich getäuscht, und bin doch wenig überrascht. Wenn man sich Debatten und Talkshows anschaut, ist eines ziemlich deutlich geworden: Wie groß in Deutschland die Sehnsucht nach dem Vergessen ist. Es zeichnet sich ein Bild einer Gesellschaft ab, die kein Problem darin sieht, sich zu militarisieren und dafür extrem viel Geld dafür auszugeben, und gleichzeit seine Augen davor verschließt, dass damit auch ein problematisches Männlichkeitsverständnis mitfinanziert wird - genauso wie Strukturen, die Nährboden für Rassismus und Antifeminismus schaffen.

CN: Rassismus

Ich habe echt viele Filme gesehen, die einen sehr einfachen Plot kennen. Die Welt geht unter, weil sie angegriffen wird und - boom- wie aus dem Nichts taucht, wer auch sonst, ein Mann auf, um mit (Waffen)Gewalt das Gleichgewicht zugunsten der imaginierten (westlichen) Welt herzustellen, das eigentlich keines ist. Unsere Lebensrealität steht dem mittlerweile in wenig nach. Undenkbares wird manifestiert und mit Worten geschmückt, die das Vergessen verdient hätten.

Ich gehe aber erstmal einen Schritt zurück: Mit meinem Vater habe ich früher oft und gerne Box-Kämpfe geschaut. Wir aßen Sonnenblumenkerne, tranken Cay und brüllten den Fernseher an, wenn ein rechter Haken mit voller Wucht sein Ziel traf. Wir staunten über Muskeln, die wir nie haben würden. Meinem Vater deutete ich ein paar rechte und linke Haken auf seinen Oberarm an, und manchmal tat er sogar so, als ob es ihm ernsthaft weh tun würde, aber mit 10 Jahren ging es nicht darum: Die Klytschko-Brüder wurden bejubelt, angefeuert und für das was sie verkörperten nie in Frage gestellt: Eine Männlichkeit, die sich durch Kampf legitimiert - und gleichzeitig uneingeschränkt bewundert wird. Jetzt könnte man natürlich behaupten, das ist ein Sport, dort geht es nicht um Leben und Tod, auch wenn das nicht richtig stimmt. (Opens in a new window) Aber zu behaupten, es ginge um Europa und seine Werte, so weit würde niemand gehen.

Durch den Krieg in der Ukraine beobacheten wir eine, nicht unbedingt neue, Bewunderung für Kampf und Verteidigen, manche würden von Widerstand sprechen. Durch den Kampf soll etwas Imaginiertes wie Europa mit Körperlichkeit geschützt werden. Und das diese Bewunderung scheint  Anziehungskraft zu besitzen:  Über 20.000 Freiwillige haben sich in der Ukraine zum Kampf gemeldet (Opens in a new window), darunter auch mehrere Hundert Personen aus Deutschland. Es gibt Hinweise, dass vereinzelt auch ehemalige Soldaten und Rechtsextremisten, mit Verbindung zu rechtsextremen Parteien wie der NPD oder "Freie Sachsen" sowie "Der dritte Weg", auf beiden Seiten des Krieges (Opens in a new window)kämpfen.

Als ich der Rede von Olaf Scholz zuhörte, war ich nicht der einzige, der sich  dem Unglauben hingab: 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr (Opens in a new window), künftig sogar zwei Prozent des BIP.  Dabei wurden seit dem Jahr 2000 die Militärausgaben bereits verdoppelt. Für die "Sicherung des Friedens" brauche es,  "{...} eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt. […]" (Opens in a new window)

Dem will ich widersprechen. Mit einer Vehemenz, die wehtut, weil sie schon von vielen anderen, viele Male davor kritisiert wurde, und die ständige Erinnerung daran eine Warnung ist, weil diese Bundeswehr von Rassismus betroffene Menschen nicht zuverlässig schützt, und es niemals getan hat. Und Männlichkeitsvorstellungen Vorschub leistet, die wir längst hinter uns lassen sollten.

Zur Erinnerung: Rechtsextreme Vorfälle und Personal sind eine historische Kontinuität in deutschen Ministerien und Behörden, und besonders in der Bundeswehr. Im Jahr 1959 befanden sich im Offizierskorps unter 14.900 Berufssoldaten 12.360 ehemalige Wehrmachtsoffiziere, 300 stammten aus dem Führerkorps der SS.Nach einer Statistik des Bundesverteidigungsministeriums gab es von 1998 bis 2013 in der Bundeswehr 2087 Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund. Und das sind nur die offiziellien Zahlen. Darin seien 2085 Personen verwickelt gewesen — vom einfachen Soldat bis zum Offizier. (Opens in a new window)

Die aktuellen Ereignisse überraschen daher nicht:  Vom Fall des ehemaligen Bundeswehrsoldaten Franco A., zu rechtsextremen Fällen im Kommando Spezialkräfte (KSK), im Militärischen Abschirmdienst (MAD (Opens in a new window)), über ehemalige und aktuelle Soldaten, die  Wehrsportübungen organisieren (Opens in a new window), um gezielt "Migranten" zu töten. Über eine Bundeswehr, die bei Uwe Mundlos, einem der vielen, die mit und für und im Namen des NSU rassifizierte Menschen töteten,  keine Anzeichen für rechtsradikale Gedanken fand und in seiner Beförderung auch kein Problem sah. (Opens in a new window) Das Vergessen hat auch in Zeiten von Corona Hochkonjunktur und ist Deutschland eine stabile Währung.

Rassismus und Antifemismus verstehen sich leider gut, das ist keine Neuheit. Eine Bundeswehr, die noch mehr finanzielle Möglichkeiten und logistische Professionalierung erhält, ohne seine internen rechten und rassistischen Strukturen aufzulösen, kann sich zwar selbst unterhalten, aber einen Schutz für alle Menschen, die in Deutschland leben, nicht bieten. 

Es geht weniger um die Ausgaben und Ausstattung für die Bundeswehr. Das Problem ist die damit verbundene gesellschaftliche Akzeptanz, Anerkennung und Normalisierung für Strukturen, die durch mehr Geld nicht ihrer antifeministischen und rassistischen Tendenzen entzogen werden können - im Gegenteil.

Sie legen mit ihrer Existenz einen weiteren Grundstein für die Verfestigung von Geschlechterstereotypen. Zum Beispiel von Waffen(gewalt) nicht abzusehen, sondern sie zu fördern, überwiegend Männer in der Öffentlichkeit in Uniform und Waffen zu sehen und sie als integralen, und wie die öffentliche Debatte es zeigt, als notwendige Erzählung für eine sichere und gerechte Gesellschaft zu verstehen. Doch damit wächst nur die Ungerechtigkeit. Denn mit der Bundeswehr reproduziert sich das Verständnis einer Männlichkeit, die Männer als Führungspersonen stilisiert, körperliche Stärke, Dominanz und das Recht des Stärkeren als Notwendigkeit für unsere Gesellschaftsordnung legitimiert. Denn wie in den plakativen Filmen verstehen sich Männer an der Spitze einer Gesellschaft, die Militarismus romantisiert und vergisst, zu was sie führen kann. Und wen sie am Ende zu schützen bereit sind und welches Leben weiter in Gefahr steht.

Vergangene Woche erschien ein Artikel bei Spiegel Online (Opens in a new window), der sich dem Thema der Männlichkeit in Zeiten des Krieges zu annehmen versuchte und Szenarien in die Luft malte, die auf dem Boden der Tatsachen zu landen versuchen. Es wurde auf Twitter viel dazu gesagt, aber im Kern war der Autor der Meinung, man dürfe auf eine Männlichkeit und "männliche Energie", die sich in Krisenzeiten verteidigen könne, nicht verzichten. Ex-Generäle fordern nun in Talkshows eine Abkehr vom "Radikalpazifismus" (Opens in a new window), die üblichen Verdächtigen konservativer Medien strengen historische Vergleiche an, in dem das aktuelle Männerbild als "feiges Appeasements gegenüber dem Zeitgeist" (Opens in a new window) verstanden werden will. Die Wehrpflicht ist wieder Thema. Die Gesellschaft wähnt sich in einem Fortschritt, der nie einer sein kann, wenn Aufrüstung und Militarisierung die Grundlage sind.

Wenn Klytschko sagt:

"Wenn ich sterben muss, dann sterbe ich. Das ist eine Ehre, für sein Land zu sterben." (Opens in a new window)

Dann mag das für deutsche Verhältnisse abwegig klingen, aber wenn wir ehrlich sind, ist es das nicht. Laut einer YouGov-Umfrage befürworten 63 % (!) der Menschen in Deutschland das Vorhaben der Bundesregierung, die "Verteidigungsfähigkeit" der Bundeswehr zu stärken. (Opens in a new window)

Eine Mehrheit befürwortet demnach das Vergessen und eine Militärromantik, die Männlichkeitsbilder aus der fiktiven Welt in die Realität holt. Statt eine neue Ära des destruktiven Militarismus und der Verhamlosung, brauchen wir einen Zeitgeist, der sich radikal und unmissverständlich gegen Aufrüstung und Militarisierung stellt, auf dessen Boden Antifeminismus und Rassismus wächst. Und eine Abkehr von Männlichkeit, die körperliche Stärke und Dominanz als rechtmäßig betrachtet.
(Opens in a new window)

Und wer weiß, vielleicht lernen Männer irgendwann auch, Konflikte nicht immer mit Gewalt zu lösen. Ich würde es mir sehr wünschen.

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