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Eine sozial-nationalistische, links-konservative Partei neuen Typs.(SNLKP aka. "Liste Wagenknecht")

Seit etlichen Monaten wird in den Medien aber auch im Politikbetrieb die sich abzeichnende Möglichkeit einer neuen Parteigründung als Abspaltung von der Linken, unter Führung von Sahra Wagenknecht, debattiert. Ich habe mich ein wenig umgehört und versuche mich im folgenden an gänzlich unjournalistischem extrapolierendem Kaffeesatzlesen zum Zwecke der Unterhaltung, weil wirklich niemand der irgendwas weiß zitiert werden will.

Die Ausgangslage

Das politische, soziale und ökonomische Fahrgefühl in Deutschland ist schlecht. Die Multikrise schlägt in den Alltag durch. Inflation, Krieg, Covid-Folgen, einbrechende Industrie-Auftragsbücher, lähmende Bürokratie, die Unfähigkeit, Flucht und Migration sinnvoll zu handhaben, Fachkräftemangel, die absehbaren Belastungen durch die Energiewende, bröselnde Infrastruktur, kaputtes Gesundheitssystem, Bildungsmisere: die Liste nimmt kein Ende.

Viele Menschen haben das Gefühl, dass die Probleme vom aktuell oder potentiell regierenden politischen Personal nicht adäquat angegangen werden. Partikularinteressen, persönliche Vorteilsnahme und strategische Korruption, folgenlose Skandale, polit-handwerkliche Unfähigkeit, Ahnungslosigkeit, elitäre Abgehobenheit, Priorisierung von Nischenthemen zur persönlichen Profilierung in einer kleinen Blase  – die Wahrnehmung der derzeitigen Parteienlandschaft und ihres Personals ist nicht gänzlich zu Unrecht eher negativ.

Dazu kommt eine mentale Situation bei vielen Menschen, die sich freundlich als "grundsätzliches Mißtrauen" beschreiben lässt und die durch das empfundene Mißmanagement der Covid-Krise massiv zugenommen hat. In den Umfragen zum Wahlverhalten drückt sich das in einem deutlich gestiegenen Anteil in der Rubrik "Sonstige", hohen Umfrage- und Wahlzahlen für die AfD und einer stabil hohen Nichtwähler-Quote aus.

Insbesondere das weitere Erstarken der AfD ist hier interessant. Sie bewegt sich inzwischen deutlich über das ihr "natürlich zufallende" Potential von Menschen mit einem relativ gefestigten rechtsextremen Weltbild hinaus und ist zunehmend erfolgreich darin, sich als "wir sind doch nur liberal-konservativ" darzustellen. Die Stilisierung von praktisch allen relevanten und irrelevanten Themen zu Kulturkampf-Schlachtfeldern zwischen Linksliberal und Rechtskonservativ hilft ihr dabei deutlich.

Wo die AfD außerhalb ihres Stamm-Milieus andocken kann, ist das gefühlte und reale Missmanagement von Migration und Fluchtbewegungen nach Deutschland, das Herausstellen des Versagens der aktuellen Regierung bei ungefähr allen relevanten Themen und das Gefühl, dass "die Politik" sich "nicht mehr um die tatsächlichen Probleme der Menschen kümmert".

Allerdings ist vielen potentiellen und tatsächlichen AfD-Wählern nicht so ganz wohl mit ihrer Protestwahl. Diverse Figuren mit doch eher offensichtlichen rechtsextremen, ultranationalistischen, antisemitischen und diktatorischen Ansichten in der Meinungsführung der Partei sind auf Dauer schwer zu ignorieren. Und die deutliche Unterbeleuchtung bei sozio-ökonomischen Konzepten, die zu einer echten Verbesserung der Lage für viele Menschen führen würden, fällt dann doch irgendwann auf.

Daher zeigen die Umfragen auch eine deutliche Wanderung von der AfD zu einer potentiellen Wagenknecht-Partei, selbst in Thüringen 10 Prozentpunkte. Der Rest der potentiellen 25% Stimmanteile käme primär von Linker, CDU, Sonstigen und Nichtwählern.

Die politische Deckungslücke

Und genau hier liegt die Chance für eine sozial-nationalistische, links-konservative Partei (nennen wir sie gerade mal der Einfachheit halber SNLKP).

Schaut man sich die Interviews mit Sahra Wagenknecht an und redet mit Leuten, die mit der Programmentwicklung vertraut sind, wird deutlich, wie das Programm einer SNLKP aussehen wird:

  • Starker Fokus auf sozio-ökonomische Gerechtigkeit mit Betonung "für Deutsche",

  • deutliche Ablehnung einer permissiven Asyl- und Migrationspolitik und akzeptierendes Aufnehmen von xenophoben Grundstimmungen,

  • Versprechen einer generell geringeren Rate an alltagswirksamen Veränderungen, insbesondere bei Kulturkampf-Themen wie geschlechtergerechte Sprache,

  • Positives Aufnehmen der bereits de facto geschehenen, weithin akzeptierten kulturellen Veränderungen wie Ehe für Alle und Akzeptanz nicht-traditioneller Lebensgemeinschaften,

  • Stärkere Betonung nationaler Interessen mit dem Idealbild einer kulturellen Kohärenz statt einer multikulturellen Gesellschaft,

  • Ablehnung von Antisemitismus und Rassismus,

  • Außenpolitik die die West/NATO-Verankerung Deutschlands eher als disponibel ansieht,

  • Freundlich-nachgiebige Russland-Politik ("Verhandlungsfrieden"), die ökonomisch mit der Notwendigkeit billiger Gaslieferungen und der Vermeidung weiterer Sanktionsschäden bei der deutschen Wirtschaft begründet wird.

Diese Kombination von Ansichten erscheint aus dem angestammten politischen Koordinatensystem heraus ungewohnt, ist jedoch, wie die Umfragen zeigen, bei 15-30% der Bevölkerung anschlussfähig. Es wäre ein Fehler anzunehmen, dass latente Fremdenfeindlichkeit (die meist primär eine Angst vor schnellen Veränderungen im Alltag ist) mit verfestigtem Rassismus einhergehen muss oder das die Ablehnung von Sprachveränderungen automatisch Queer-Feindlichkeit impliziert. Die Ideenwelt vieler Menschen ist aus ihrer Innensicht komplexer und nuancierter – aus der Aussensicht oft unlogisch – und findet sich in den aktuellen Parteiprogrammatiken nicht oder nur ungenügend wieder.

Generell lässt sich das Programm der SNLKP zusammenfassen als "wir wollen wenig kulturelle Alltags-Veränderung, soziale Sicherheit, niedrigere Preise, höhere Löhne und eine industrielle Zukunft in einem Land, das sich stärker auf seine nationalen Interessen besinnt und gute Beziehungen mit Russland hat".

Das Gründungsproblem

Eine neue Partei zu gründen ist keine ganz triviale Angelegenheit. In der Rubrik "Sonstige" finden sich reichlich Versuche, eine Bewegung in der Breite ehrenamtlich zu organisieren, die Dinge "anders" machen will und daraus eine Partei zu formen. Keine davon war bisher sonderlich erfolgreich. Sahra Wagenknechts "Aufstehen" folgte dem gleichen Muster und scheiterte. Das Vorbild dieser "Sonstigen" ist die Piraten-Partei, die es durch ein bemerkenswertes Zusammentreffen von Umständen, Personen und der Möglichkeit existierende Infrastrukturen zu nutzen, kurz schaffte, ein erhebliches Unzufriedenen-Potential zu mobilisieren (in diesem Fall eher im links-liberalen Spektrum).

Die Gründe für den schnellen Wieder-Abstieg der Piratenpartei sind die gleichen, aus denen Neugründungsversuche egal welcher Programmatik es schwer haben. Einerseits ziehen Neugründungen zwangsläufig allerhand Menschen an, die nach einer Möglichkeit suchen, sich zu profilieren und Aufmerksamkeit zu erhalten und diese Motivation über alle anderen Abwägungen stellen. Andererseits ist das Spektrum an Ideen, wie man es denn "anders" und "richtig" machen könne, so groß, dass eine basisdemokratische Programmatik-Erarbeitung unglaublich erschöpfend, langwierig und wenig ergiebig ist. Am Ende stehen oft nichtssagende Kompromisse, die sich kaum von den Programmen der größeren Parteien des gleichen Spektrums unterscheiden – mit Ausnahme von spezifischen Sonderthemen wie Gesundheit, Tierschutz etc.

Ein weiteres gewichtiges Problem ist das Geld. Eine Parteistruktur in der Fläche zu etablieren erfordert Präsenz vor Ort, fortwährende Kontakte mit der Bevölkerung, Ansprechbarkeit, Erreichbarkeit. Präsenz vor Ort erfordert Räumlichkeiten und Personal. Beides kostet dauerhaft viel Geld. Sichtbarkeit erfordert Wahlkampfmaterial, fortlaufende Propaganda, kontinuierliche Presse-Bearbeitung und Veranstaltungen. All das kostet signifikante Geldbeträge, die erst mit einem ersten Wahlerfolg durch die Wahlkampfkostenrückerstattung wieder (zum Teil) hereinkommen können. Die Idee hinter der Transition von Bewegung zu Partei ist, dass dieses Geld durch viele Spenden zusammenkommt. Hier beisst sich jedoch die Katze etwas in den Schwanz, weil Spenden ein Ergebnis von Sichtbarkeit und programmatischer und personeller Attraktivität sind. Alleine mit ehrenamtlichem Engagement ist diese Hürde nicht trivial zu nehmen.

Ein möglicher Gründungs-Pfad

Schaut man in die Parteistrukturen der Linken sieht man außerhalb der Großstadt-Innenstädte eine große Gruppe eher älterer, eher männlicher, eher ärmerer, eher leicht fremdenfeindlicher, eher Gerechtigkeits-fokussierter, eher engagierter und strukturell unzufriedener Menschen, die für das praktische Funktionieren der Partei unerlässlich waren. Sie machen Strassenwahlkampf, hängen Plakate, kümmern sich um die Logistik der Basisarbeit. Intern wird diese Gruppe von einigen Linken "die Hausmeister-Fraktion" genannt, was ein relativ akkurates mentales Bild ist. Zumindest im Osten sind viele davon seit SED/PDS-Zeiten dabei, im Westen hat sich aber eine ähnliche Demographie aus Gewerkschafts-Zirkeln gebildet.

Und viele davon haben sich inzwischen frustriert abgewandt und wählen mehr oder minder heimlich AfD. Sie fühlen sich bei einer Linken, die versucht, ihr Themenspektrum außerhalb der angestammten Bereiche zu erweitern, nicht mehr zu Hause. Insbesondere bei Migrations- und Flucht-Themen und bei soziokulturellen Veränderungen ist ein klarer Spalt zwischen Parteiführung und diesem Teil der ehemaligen Basis offensichtlich.

Hier offenbart sich dann auch der Grund für die derzeitige Panik in der Linken. Eine SNLKP würde diese Basisarbeiter in großer Zahl assimilieren können und auch deren Freunde und Bekannte anziehen, die aus ähnlichen sozio-ökonomischen Schichten kommen aber schon lange nichts mehr mit Parteien am Hut haben. Die neue Partei hätte damit praktisch aus dem Stand die personellen Keimzellen einer Partei-Infrastruktur in der Fläche.

Nach allem was ich so höre hängt die Entscheidung über die Gründung einer SNLKP derzeit primär an zwei Fragen: Personal und Geld.

Findet sich genug vorzeigbares politisches Personal, das eine SNLKP neben Sahra Wagenknecht in der medialen und parlamentarischen Öffentlichkeit tragen und präsentieren könnte, aber hinreichend auf Linie ist um ein kohärentes, geschlossenes Auftreten ohne sichtbare Streitereien und Abweichlertum zu realisieren? Diese Frage wird, meinen Gesprächspartnern zufolge, durch eine Rückbesinnung auf das organisatorische Handwerk einer leninistischen Kaderpartei angegangen (natürlich ohne es offen beim Namen zu nennen). Potentielle Kader werden ausführlich interviewed, um Spinner und Profilanten auszusieben. Programm- und Entscheidungsfindung werden über eine modernisierte, sanftere Form des Prinzips des "demokratischen Zentralismus (Opens in a new window)" realisiert, das wenig Raum für Abweichler lässt.

Das Problem mit dem Geld ist, nach allem was mir erzählt wird, der Dreh- und Angelpunkt der Go/NoGo-Entscheidung für die Gründung, wobei es gerade so aussieht, als wenn die Entscheidung eher für eine Gründung ausfällt. Das soziale Programm erfordert erhebliche Umverteilungen und Belastungen von Oberschicht und Unternehmen. Damit fallen etliche der reichen Mittelstands-Patriarchen, die sonst mit den nationalen, energiepolitischen, sozio-kulturellen und migrationspolitischen Teilen des Programms eher einverstanden wären, als potentielle Geldgeber aus. Meine Gesprächspartner waren jedoch sehr optimistisch, dass sich noch Mäzene finden (oder schon gefunden haben).

Bleibt noch Russland. Die verdeckte Finanzierung einer SNLKP wäre nur eine logische Fortsetzung der Tradition der Finanzierung lokaler kommunistischer Parteien im Westen zu Zeiten des Kalten Krieges durch die Sowjetunion. Die Etablierung einer zweiten Partei relevanter Größe (neben der AfD), die eine Russland-freundliche Politik in Deutschland propagiert, wäre ein signifikanter Erfolg.

Das Problem ist jedoch offenbar, dass die Finanz-Sanktionen gegen russische staatliche Stellen, Firmen und Oligarchen und das damit einhergehende Monitoring der Finanzflüsse eine zuverlässige Verschleierung einer verdeckten Parteien-Finanzierung schwierig machen. Die medialen und auch rechtlichen Auswirkungen einer unabstreitbaren Finanzierung einer SNLKP aus klar Russland zuzuordnenden Quellen sind schwer abzusehen. Daher dürfte wohl viel Arbeit in die Abtarnung solcher Finanzflüsse gesteckt werden, falls sie denn geschehen. Ob das ausreichend ist und wie eigentlich die tatsächlichen Auswirkungen wären, wenn eine Russland-Finanzierung aufgedeckt und nicht nur plausibel vermutet wird, ist schwer abzuschätzen. Im Falle diverser rechter Parteien in der EU, wo die Russland-Verbindungen klar berichtet wurden, waren die Auswirkungen im Wesentlichen: Keine.

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