Reski auf der Blacklist und andere Merkwürdigkeiten

Kaum bin ich wieder in Venedig, befinde ich mich schon auf der “Schwarzen Liste” des Bürgermeisters von Venedig. Kein Witz. Brugnaro, tatsächlich immer noch Bürgermeister von Venedig, führt eine Liste der - in seinen Augen - verdächtigen Personen. Verdächtig bin ich, weil ich ihn mal als "grebano" bezeichnet habe: Unter dem Ausdruck "grebano" versteht man in Venedig eine ungehobelte Person, ein Landei, einen Volltrottel.
Tatsächlich hatte Brugnaro bereits im Jahr 2020 per Facebook-Video damit gedroht, Listen mit den Namen seiner Kritiker zu führen (Opens in a new window): “„Wer grundlos Kritik übt, sollte wissen, dass die Zeit kommen wird, in der er für sein Handeln zur Rechenschaft gezogen wird. Wir haben Vor- und Nachnamen. Wir verfolgen Tag für Tag alles, was geschrieben wird, also schreibt ruhig weiter. Wir werden nicht antworten, wir werden ein anderes Mal darüber sprechen.“ Jetzt wurde die Liste tatsächlich gefunden - in Dokumenten, die im Rahmen gegen den Bürgermeister laufenden "Palude (Opens in a new window)", Sumpf, genannten Korruptionsermittlungen beschlagnahmt wurden.
Obwohl wir von Brugnaro einiges gewöhnt sind, überrascht - wie der Oppositions-Stadtrat Marco Gasparinetti richtig schreibt - doch die manische Aufmerksamkeit, die jedem gewidmet wird, der es gewagt hat, den amtierenden Bürgermeister zu kritisieren: Um auf die Liste gesetzt zu werden, reichte es aus, Wörter wie „unhöflich“, „arroganter Schwachkopf“ oder „herrschsüchtig“ zu schreiben. Dass der Bürgermeister allergisch gegen das Recht auf Kritik und Satire ist, war uns bekannt, aber die beschlagnahmten Unterlagen werfen in der Tat auch eine andere Frage auf: Welche und wie viele Ressourcen (Mitarbeiter der Stadt Venedig) wurden anderen Aufgaben entzogen, um Dossiers über „verdächtige Personen“ anzulegen? In der Liste steckt jede Menge Arbeit: Eingetragen wurden nicht nur die Vor- und Nachnamen der verdächtigen Personen, sondern auch Ort, Datum, eine kurze Zusammenfassung der vermeintlichen Attacken, samt einer Benotung der Schwere des Angriffs, auf einer Skala von 1 bis zur Bestnote 5.
Für mein "grebano" habe ich nur die Note 1 gekriegt, deshalb muss ich mir jetzt etwas Mühe geben: Da ist noch Luft nach oben!
Brugnaro, wie sollte es anders sein, beharrt darauf, diese Listen auch weiterhin zu führen: «Das ist Aufgabe der Techniker, sie werden das auch weiterhin tun, und das ist auch richtig so», sagte er gestern (Opens in a new window).
Ich danke auch dem Journalistenverband des Veneto für seine Solidaritätserklärung (Opens in a new window):
»Aus der aktuellen Presse geht hervor, dass eine Liste erstellt wurde, auf der unter anderem Journalisten stehen, die den Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnaro, oder die gesamte Verwaltung kritisiert oder beleidigt haben sollen. Laut der heutigen Ausgabe der Nuova Venezia werden darin die Journalisten der Sendung Report, der ehemalige Pressesprecher von Ca' Farsetti, Enzo Bon, und die Journalistin Petra Reski genannt.
„Es ist nicht das erste Mal“, erinnert Präsident Giuliano Gargano, “dass der Verband dieses Verhalten verurteilt: In den vergangenen Jahren gab es mehrere öffentliche Stellungnahmen und Schreiben des Verbands an die Stadtverwaltung. Artikel 1 des Journalistenkodex besagt, dass „die Informations- und Kritikfreiheit ein unveräußerliches Recht der Journalisten ist, das nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zum Schutz der Persönlichkeitsrechte anderer eingeschränkt werden kann, und dass sie die Wahrheit der Tatsachen unbedingt wahren müssen, wobei sie stets die durch Loyalität und guten Glauben auferlegten Pflichten einhalten müssen“. Und die Verfassung legt in Artikel 21 fest, dass „jeder das Recht hat, seine Meinung frei in Wort, Schrift und durch jedes andere Mittel der Verbreitung zu äußern“. Im Namen des Journalistenverbands Venetiens drücke ich den betroffenen Kollegen meine volle Solidarität aus und erinnere daran, dass Journalisten nicht einen Schritt von ihrer Pflicht zur Information und Kritik abrücken werden, die die Grundelemente unserer Demokratie sind. «
Auf Ytali können Sie eine Zusammenfassung von Brugnaros “Black List”-Projekt auch auf Englisch lesen (Opens in a new window).
By the way: Was die gegen ihn laufenden Ermittlungen wegen Korruption betrifft, hat Brugnaro es abgelehnt, der Staatsanwaltschaft auszusagen (Opens in a new window).
Ja, wir leben in irren Zeiten. Ich hoffe ja, dass wir hier, gestählt durch die Berlusconi-Jahrzehnte, etwas besser vorbereitet sind für den gegenwärtigen Irrsinn, aber vielleicht rede ich mir da auch nur etwas schön, denn tatsächlich hat Berlusconi ja vor allem Schule gemacht und seine Schüler (Trump, Bolsonaro, Milei, Netanyahu - Marine Le Pen, Viktor Orban, Geert Wilders, Alice Weidel, allesamt demokratisch abgesegnet, allesamt aggressive Hetzer, Verfolger eines Feindbildes - Migranten, Minderheiten, Klimaschützer -, allesamt allergisch gegen demokratische Kontrollmechanismen) haben den Meister schon lange übertroffen.
Diese Technik der Erosion von innen schildert eine gute 3sat-Dokumentation über Italien und Ungarn, wobei sie im Blick auf Meloni einen wichtigen Punkt deutlich macht, der bei den deutschen Italien-Korrespondenten wenig Beachtung bekam: “Meloni will die Verfassung ändern, damit sie bei den nächsten Wahlen direkt gewählt werden kann und dann mehr Macht bekommt. Und sie beginnt ebenfalls bereits die Presse zu attackieren. Unliebsame Journalisten verfolgt sie mit Strafprozessen, Interviews gibt sie kaum noch. Sie produziert lieber Videos, die sie komplett unter Kontrolle hat und verteilt diese dann zum Beispiel auch an das staatliche Fernsehen.”
https://www.3sat.de/gesellschaft/politik-und-gesellschaft/sterbende-demokratien-erosion-von-innen-100.html (Opens in a new window)Ich wundere mich seit geraumer Zeit über die doch sehr bequeme Position vieler (von mir einst geschätzten) Meinungsmacher in Italien, die einen kuriosen Pazifismus propagieren. Auf Micromega hat Pancho Pardi dies sehr gut analysiert (Opens in a new window): “Ihre Linie „Keine Waffen für die Ukraine!“ wird von Trump mit der präzisen Absicht angewandt, um das geplagte Land zu zwingen, die russischen Bedingungen zu akzeptieren. Dass sich Europa gegen Russland verteidigt, wird als völlig unnötig angesehen, weil die Bedrohung nicht existiere: Einem Russland, dem es nicht mal gelinge, die Ukraine zu besiegen, wie könne es Europa bedrohen? Im Gegenteil, wenn die unbequeme Ukraine beseitigt sei, könnten endlich fruchtbare Gespräche mit Russland wieder aufgenommen werden, das mit viel Pomp in den edlen europäischen Kreis zurückkehren würde. Die Befürworter des Friedens um jeden Preis halten die Niederschlagung der Ukraine für einen vernünftigerweise schmerzhaften, aber notwendigen Schritt zur Wiederherstellung friedlicher Verhältnisse in Europa und beschuldigen die Organisatoren der Demonstration vom 15. März und alle, die daran teilnehmen, die vorausschauende Intervention des Pazifisten Trump nicht zu verstehen, der mit einem Zaubertrick den Krieg aus der Welt geschafft hat. Die Anklage der Kriegshetzerei (die sie allerdings niemals gegen Putin erhoben haben) werfen sie der EU vor: von der Leyen, wolle die europäischen Staaten „bis an die Zähne bewaffnet“ haben. Und Kriegshetzer sind folglich alle, die an der Demonstration gestern in Rom teilgenommen haben.”
(Als ich Pancho Pardis Aufruf auf Facebook gepostet habe, wurde ich von den “Pazifisten”wieder geteert und gefedert - und ich kann nur von Glück reden, dass es sich um Pazifisten handelt und nicht um Bellizisten, sonst würden sie mich nicht einfach nur auf Facebook verunglimpfen, sondern mir vor der Haustür auflauern.)
An der gestrigen Demonstration für Europa in Rom auf der Piazza del Popolo (Opens in a new window), zu der der Repubblica-Journalist Michele Serra aufgerufen hat, haben zwischen 30 000 und 50 000 Menschen teilgenommen. Serra ist nicht wirklich mein Fall, freundlich ausgedrückt, ich habe ihn diverse Male vor allem wegen seiner Angriffe auf die Fünfsterne kritisiert - hier aber geht es um mehr. In seiner Rede, nachzulesen hier (Opens in a new window), sagte er: »Wir sind viele und wir sind verschieden. Denn ein europäischer Platz kann nur ein Ort sein, an dem Menschen sind, die in vielen Dingen nicht gleich denken. Jeder von euch könnte neben sich jemanden haben, der eine andere Partei wählt. Oder gar nicht wählt. Der an einen anderen Gott glaubt oder an keinen Gott. Die den Frieden lieben, aber glauben, ihn auf unterschiedliche Weise verteidigen zu müssen. In einer Welt, die zerbrochen zu sein scheint, ist ein Platz, der Menschen und unterschiedliche Ideen vereint, ein Skandal. Dieser Skandal hat einen Namen. Er heißt Demokratie. Demokratie ist in der Welt derzeit nicht sehr angesagt. Die Welt ist voll von Menschen, die im Gefängnis sitzen, weil sie nicht wie der Oberhäuptling denken. Sie ist voll von kleinen Mädchen, die nicht zur Schule gehen dürfen, weil sie Mädchen sind. Von ermordeten oder vergifteten Gegnern, von verbotenen Büchern, von unterdrückten Ideen. Von Homosexuellen und Transsexuellen, die gesetzlich verfolgt werden. Von Sklaverei bei der Arbeit und in Familien. Von Leben, die der Herrschaft des Herrn und der Willkür des Vaters unterworfen sind.«
Da Giuseppe Conte, der Fünfsterne-Präsident (allein bei dem Wort “Präsident” für den Anführer einer politischen Bewegung, die sich einst als basisdemokratisch verstanden hat, stehen mir die Haare zu Berge) den Fünfsternen jetzt seinen kuriosen Pazifismus verschrieben hat, um damit in den Umfragen zuzulegen, sind sie der Demonstration natürlich ferngeblieben. Der Fatto Quotidiano kanzelte die römische Pro-Europa-Demonstration folglich auch sofort ab - als Demonstration der Kriegstreiber und VIPs (Opens in a new window).
Und weil das allein noch nicht reicht, bebt in Neapel auch noch ständig die Erde (Opens in a new window). Ich habe vor Jahren eine Reportage über den Supervulkan gemacht, die vielleicht ganz hilfreich ist, um die Zusammenhänge zu verstehen. Nachzulesen hier (Opens in a new window).

Aus Venedig grüßt Sie herzlich Ihre Petra Reski
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