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Von der"Option Frau", dem Glauben an die Unfehlbarkeit und anderen Merkwürdigkeiten

Immer wieder muss ich an den mir im Traum erschienenen synchron schwimmenden Schimmel denken und an die Trainerin, die ihm die Kommandos (Opens in a new window) gibt: Jetzt hat sie mit der "Opzione donna" (allein der Titel!) verfügt, dass Frauen, die keine Kinder haben, später in Rente gehen sollen, als Frauen, die Kinder haben, besser zwei als eins. So nachzulesen im Haushaltsentwurf (Opens in a new window) der Regierung Meloni. Dass es Frauen gibt, die vielleicht ungewollt kinderlos geblieben sind oder die kinderlos blieben, weil sie nicht wussten, wie sie die Doppelbelastung hinkriegen sollen in einem Land, indem die Kinderbetreuung berufstätiger Eltern immer noch in der Hand der Großeltern liegt, kommt il presidente natürlich nicht in den Sinn. Dann schon lieber ein Mutterkreuz verleihen, das nichts kostet, aber Geld in die klammen Kassen spült.

Damit ist der Ton gesetzt und jetzt sagen Sie vielleicht: Ach, die Reski schon wieder. Kann sie nicht mal was Positives berichten? Jetzt wohnt sie schon in Venedig und ist immer noch nicht zufrieden? 

Okay. Venedig. An das Hochwasser von letzter Woche erinnert sich - außerhalb Venedigs - kaum noch jemand. Gilt ja als gelöst, das Problem. Der Bürgermeister twitterte (Opens in a new window): "Dank  Mose ist Venedig jetzt trocken. Ein Sieg der Technik und des menschlichen Handelns. Wir können den Auswirkungen des Klimawandels entgegenwirken. Es ist machbar. Ohne Angst, aber mit großem Mut. Ein Vorbild für die ganze Welt." Wenn ein Projekt, das gegen jede wissenschaftliche Logik verstößt, weil es darin besteht, ein System von Schleusen im Wasser zu installieren, das 365 Tage im Jahr Salz und Strömungen ausgesetzt ist und den größten italienischen Korruptionsskandal der Nachkriegszeit ausgelöst hat, ein Vorbild für die ganze Welt darstellen soll, dann gute Nacht. 

Für einen Bürgermeister, der noch 2019 zugab, von MOSE nichts zu wissen, aber daran zu glauben, ist MOSE kein absurdes Projekt, sondern etwas wie die päpstliche Unfehlbarkeit. Wer aber in wissenschaftlichen Fragen eher Atheist ist, weiß, dass ALLE alternativen Lösungen  boykottiert wurden und die Flutsperrtore bald auch nichts mehr ausrichten können, wenn der Meeresspiegel weiter steigt. Da kann der Bürgermeister so viel twittern wie er will. 

In den Tagen des Hochwassers wurde mit Zahlen gespielt (204 cm Tidenhub an der Küste gegenüber einem maximalen Wasserstand von 173 cm vor der Küste), was den Blick auf die wahren Probleme verstellt. Abgesehen vom Anstieg des Meeresspiegels, werden es auch die Kosten sein, die MOSE ins Grab bringen: Bei jedem Einsatz werden 200 Personen eingesetzt, das Hochziehen der Schleusen kostet 248.000 Euro für 2 Stunden, 323.000 für 12 Stunden - 100 Millionen im Jahr. Mindestens.

Und da wir schon bei den Katastrophen sind: Bei dem Erdrutsch in Casamicciola Terme kamen elf Menschen ums Leben, darunter eine ganze Familie. Wer jemals auf Ischia war, weiß, dass dort praktisch jeder Zentimeter bebaut wurde - und das meist schwarz. Ich erinnere mich noch an einen Taxifahrer, der während der ganzen halbstündigen Fahrt von Forio nach Ischia Porto über verweigerte Baugenehmigungen klagte, die ihn, als Opfer von Behördenwillkür, praktisch zwinge, schwarz zu bauen.

Es ist nicht das erste Mal, dass es auf Ischia zu Erdrutschen kommt, der erste 1910 kostete elf Menschenleben, es folgten Erdrutsche in den Jahren 1978, 1987,  2009 und 2015 - was die Bewohner von Ischia aber nicht abhielt, weiter zu bauen - oft schwarz und in der Hoffnung, dass bald ein condono erlassen würde, ein Straferlass für Schwarzbauten, der in Italien von jeder Regierung regelmäßig durchgesetzt wird. Auf die 27 010 Einwohner von Ischia kommen 62 000 Straferlässe. Mehr muss man eigentlich nicht sagen. Der Straferlass ist die politische Version des Klingelbeutels: "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.“ Dieser Ablasshandel ist ein wesentlicher Bestandteil italienischer Politik. Folglich kann nicht erstaunen, dass die Politiker jetzt sagen: Nein, nicht die Menschen mit ihren Schwarzbauten, sondern der Klimawandel sei schuld. Es sind Politiker, die, um gewählt zu werden, beide Augen zudrückten, als um das ging, was als hydrologische Instabilität schon lange bekannt ist, also das erhöhte Risiko für Erdrutsche und Bergstürze infolge von starken Regenfällen. Wobei die Kleinigkeit unter den Tisch fällt, dass auch der Klimawandel  menschengemacht ist.

Rücksicht auf die Umwelt wird in Italien oft als Option betrachtet: Kann man machen, muss man aber nicht. In Venedig wird die Lagune nicht als zu schützender ökologischer Raum betrachtet, sondern als zu nutzende Infrastruktur. Zu beobachten im Canal Grande, wenn man auf die extravagante Idee kommt, sich dort zwischen Lastkähnen, Vaporetti und Wassertaxis per Ruderboot fortzubewegen. Gemerkt habe ich das zuletzt, als ich mal wieder mit Nena Almansi unterwegs war, der Rennruderin, bei der auch Sie rudern auf venezianische Art lernen können (Opens in a new window)

Wir wurden fast umgefahren. Nena fährt mit ihren Anfängern auch nicht mehr auf die Lagune raus, weil da ein Wahnsinnsverkehr herrscht: Die Wassertaxis auf dem Weg zum Flughafen preschen rücksichtslos vorbei und lösen Bugwellen aus, die kleine Ruderboote wie Nenas batela, das typisch venezianische Ruderboot,  zum Kentern bringen könnten. Die batela heißt übrigens so, weil sie an einen Krabbenschwanz erinnere. Die Bilder des Venezianischen entsteigen dem Meer: Liegt ein kleines Mädchen im Kinderwagen, rufen Venezianerinnen ein begeistertes Xe nata una sepoina! aus, ein Tintenfischchen wurde geboren! Und wer geizig ist, hat wohl einen Krebs in der Tasche: Ti ga i granxi in scarsea?

Nena ist das, was man hier figlia d'arte nennt: Als Tochter eines Rennruderers und einer Rennruderin ist sie in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten. 

Hier an der Wand sind all die Siegestrophäen ihres Vaters zu sehen. Rot bedeutet erster Platz, weiß zweiter, grün dritter, blau vierter. Die Fahnen ihrer Mutter sind in einem Extra-Kasten unter Glas untergebracht - und alle rot. 

In dieser Woche ist in der FAZ meine Reportage über Ermland und  Masuren erschienen:

https://www.faz.net/aktuell/reise/ermland-und-masuren-eine-reise-durch-das-einstige-ostpreussen-18497748.html?GEPC=s3 (Opens in a new window)

Wer mehr über meine Spurensuche erfahren will, dem empfehle ich hier ganz ungeniert als Weihnachtsgeschenk mein Buch "Ein Land so weit" (Opens in a new window), das in diesem Jahr wieder neu aufgelegt wurde. Und ich empfehle, die unabhängige polnische Kulturstiftung "Borussia (Opens in a new window)" zu unterstützen (Opens in a new window), auch für ihre Arbeit, die Vergangenheit Ermland und Masurens nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. 

Und da wir schon bei den Weihnachtsgeschenken sind: Es gibt auch die Möglichkeit, die Mitgliedschaft in Reskis Republik unter den Christbaum zu legen - als Weihnachtsgeschenk der besonderen Art! (Opens in a new window) 

(Foto: Venedig-Info (Opens in a new window))

In diesem Sinne grüßt Sie herzlichst aus Venedig, Ihre Petra Reski

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