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Berlusconis Auferstehung und andere Wunder

"Berlusconi will immer die Hauptperson sein: In der Kirche der Papst, bei der Hochzeit die Braut und auf der Beerdigung der Tote", hat Roberto Benigni mal gesagt. Gotteslästerlich wie ich veranlagt bin, war mir klar, dass Silvios Versuchung groß war, so kurz vor Karfreitag, als Italien zitterte und qua Corriere, Republik, La Stampa und Gazzettino, bangend an Berlusconis Bett saß. Der Corriere titelte: "Angst um Berlusconi", Untertitel: "Zweiter Aufenthalt in der San Raffaele-Klinik. Sein Bruder Paolo: 'Er ist ein Fels'"

Gazzettino: "'Es geht ihm schlecht'. Große Sorge um Berlusconi"

Aus der Nuova Venezia erfuhren wir, dass der "Anführer" zwar noch auf der Intensivstation liege, aber ansprechbar sei und seine Krankheit behandelbar. Die Familie sei 'erleichtert' und die Nierenprobleme jetzt unter Kontrolle. Man habe Maßnahmen zur Reduzierung der weißen Blutkörperchen ergriffen. Seine Kinder machten Druck: "Er ist ein Löwe", habe sein Sohn Pier Silvio gesagt. Der 31-jährige Marco Macrì aus Lecce habe sogar eine Pilgerfahrt nach Mailand unternommen: Er sei mit dem Zug (allein das für viele Italiener ein Opfergang) quer durch das Land gereist, um persönlich seine Solidarität mit Berlusconi zu bekunden, indem er sich im Hof des San Raffaele mit einem großen Transparent aufstellte: "Auf geht's Silvio, das Salento steht zu dir".

Auf die endlosen Krankenhausbulletins folgten italostrategische Überlegungen, also, ob Silvios Tochter Marina nun die Zügel von Forza Italia übernähme (eher nicht) und welche Rolle dabei Berlusconis 53 Jahre jüngere Lebensgefährtin Marta Fascina (Opens in a new window) spiele.

Man kann das Ganze Heuchelei nennen, andere sehen dahinter das ungeschriebene Gesetz des katholischen Italien, auch dem schlimmsten Feind gegenüber christliche Nachsicht zu üben. Folglich haben alle Politiker, von rechts bis links (!) Berlusconi gute Besserung gewünscht, so weit kommt's noch, dass unser guter Silvio uns mit seinen 86 Jahren abhanden kommt! Marcello Dell'Utri, Berlusconis wegen Unterstützung der Mafia vorbestrafte rechte Hand, war einer der ersten an Berlusconis Krankenbett.

Und ich bin ja auch dafür, dass Silvio Berlusconi mindestens 103 Jahre alt wird. Auch damit er rechtmäßig verurteilt werden kann, wenn die - noch laufenden - Ermittlungen zu seiner Beteiligung an den Attentaten an Giovanni Falcone und Paolo Borsellino (das sind zwei 1992 ermordete Antimafia-Staatsanwälte, weiß heute auch keiner mehr) zu einem Ende kommen.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2014 war es die Generalstaatsanwaltschaft Palermo, die dafür gesorgt hat, dass Marcello Dell’Utri aus dem Libanon (wohin er geflüchtet war) nach Italien ausgeliefert wurde und seine Gefängnisstrafe antreten musste, zu der er wegen Beihilfe zur Mafia verurteilt wurde.

Der Kronzeuge Gaspare Spatuzza hat im Prozess gegen Marcello Dell’Utri beschrieben, wie euphorisch die Bosse Filippo und Giuseppe Graviano gewesen seien, nachdem sie über Marcello Dell’Utri die Verbindung zu Silvio Berlusconi geknüpft hätten. Beglückt habe der Boss Giuseppe Graviano in Rom in der Via Veneto erzählt, dass die Verhandlungen nun endlich zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen seien: Man habe das Land in der Hand, dank des sizilianischen Landsmannes und »dem von Canale 5« (eben Berlusconi). »Wir haben alles erreicht, was wir erreichen wollten, dank der Vertrauenswürdigkeit der Leute, mit denen wir jetzt zu tun haben«, habe Graviano gejubelt und betont, dass diese Leute keine kastrierten Ziegenböcke seien wie die Sozialisten, ihre bisherigen Geschäftspartner, die erst die Stimmen von Cosa Nostra einkassiert und ihr dann den Krieg erklärt hätten. Diese Personen seien die Versicherung für die Zukunft, habe Graviano gesagt, man müsse nur etwas Geduld haben und die guten Beziehungen zu ihnen pflegen.

Graviano verweigerte im Prozess gegen Marcello Dell’Utri natürlich die Aussage. Stattdessen beschwerte er sich über die Bedingungen der Hochsicherheitshaft und kündigte sibyllinisch an, dann auszusagen, »wenn es mir meine Gesundheit erlaubt«. Die Drohung wirkte. Eine Woche später wurde seine Haft erleichtert – und ihm eine »Hofdame« zugeteilt, wie man die Mafiosi niederer Ränge nennt, die die Mafiabosse beim Hofgang begleiten, damit sie täglich zwei Stunden lang am Sozialleben teilnehmen können.

Immer wieder meldet sich Giuseppe Graviano aus der Haft mit Anspielungen zu Wort. Im Jahr 2017 hörten ihn Staatsanwälte beim Hofgang ab. »Ich bin der einzige, der alles über das Attentat gegen Borsellino weiß«, sagte Graviano und: »1993 wollten sie keine Attentate mehr, der Berg hat mir gesagt: Nein, es reicht.« Wer der Berg ist, bleibt sein Geheimnis. Auf jeden Fall seien ihm für seine Dienste 50 Millionen Lire (damals umgerechnet 50 000 Mark) und ein falscher Pass angeboten worden. Die Brüder Graviano schlugen das Angebot aus. Und wurden 1994 in Mailand verhaftet. Zwei Monate vor Berlusconis Wahlsieg.

Es sei Berlusconi gewesen, der ihn 1992 um einen Gefallen, una bella cosa, gebeten habe, um in die Politik eintreten zu können, teilte Giuseppe Graviano später seiner »Hofdame« mit – und beauftragte ihn, nach seiner Entlassung Berlusconi eine Botschaft zukommen zu lassen: »Deinen Nutten gibst du jeden Monat Geld, ich habe auf dich jeden Monat gewartet und mich lässt du im Gefängnis verrotten.«

Nach Gravianos Anspielungen wurden die Ermittlungen gegen Berlusconi und Marcello Dell’Utri wieder aufgenommen. Es ist nicht das erste Mal, das gegen Berlusconi als Mittäter der Attentate von 1992 ermittelt wird, stets in Tateinheit mit Marcello Dell’Utri. Drei Staatsanwaltschaften haben sich bereits die Zähne an ihm ausgebissen und mussten ihre Ermittlungen archivieren: Zum ersten Mal war es 1994 die Staatsanwaltschaft Palermo, die Berlusconi unter der Abkürzung »M« führte, seinen Freund und Vertrauensmann Dell’Utri unter »MM« und den Mafiaboss Vittorio Mangano, als »MMM«.

Und so gesehen, ja, wünsche ich Berlusconi ein langes Leben. Immerhin wissen wir, seitdem ihn sein Vertrauter und Weggefährte Gianni Letta (Opens in a new window) gestern Morgen besucht hat, dass Berlusconi wieder auferstanden ist:

Berlusconis Auferstehung an Ostern

"Ich habe ihn auf der Intensivstation besucht, wir haben uns unterhalten und ich habe festgestellt, dass es ihm besser geht, als ich dachte", sagte Letta: "Wir können ihm ein frohes Osterfest wünschen, denn der Weg zur Wiedergeburt, wenn nicht gar zur Auferstehung, ist eingeschlagen".

Hier in Venedig ist der Weg zur Auferstehung noch weit. Aber immerhin sind wir nicht mehr weit entfernt vom Titel der "Welthauptstadt des Greenwashings" - dies vor allem dank der Stiftung "Venedig, Welthauptstadt der Nachhaltigkeit", die der Ex-Forza-Italia-Politiker Renato Brunetta zusammen mit dem Lega-Politiker Luca Zaia und dem venezianischen Bürgermeister-Unternehmer Luigi Brugnaro gegründet hat - und die ungefähr so glaubwürdig ist wie Putin, Lukaschenko und Erdogan, die eine Vereinigung der Pazifisten gründen. Zu der Stiftung gehören private Unternehmen, Erdgasnetzbetreiber, Mineralölkonzerne, Energiekonzerne und amerikanische Unternehmensberatungsgruppen, die ein Auge auf die Milliarden des Europäischen Wiederaufbaufonds geworfen haben. Und jetzt gehören zu den Unterstützern auch noch Amazon, Autobahnbetreiber "Autostrade per l'Italia" (Opens in a new window) (remember: Genua (Opens in a new window)?), das bürgermeistereigene Zeitarbeitunternehmen Umana, und viele andere Umweltfreunde, die an den Milliarden des EU-Aufbaufonds interessiert sind.

Und dass der Bürgermeister mit genau diesen Milliarden ein Stadion für den Basketballklub bauen will, der ihm gehört, ist jetzt auch der FAZ aufgefallen (Opens in a new window), die schreibt: "Die EU soll das mitfinanzieren – so wie auch ein Fußballstadion in Florenz. Tritt Brüssel in letzter Minute auf die Bremse?"

Und weil die Hoffnung ein so österliches Gefühl ist, hier noch etwas zu Eiern in Venedig. Die einzigen, die man hier isst, sind nämlich Tintenfischeier, die wie in Meerwasser getauchtes Eiweiß schmecken.

Mein Ruf nach mehr Ehrenvenezianern (Opens in a new window) ist übrigens nicht ungehört verhallt! Ich kann jetzt auf die Unterstützung von 104 Ehrenvenezianern zählen - und hoffe natürlich, dass es noch mehr werden!

Frohe Ostern wünscht Ihnen aus Venedig, Ihre Petra Reski

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