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#FreeVenicefromTicket und ein etwas längerer Selbstversuch

Vorab für Sie ein Blick auf das Cover meines neuen Buches, für das ich

einen sehr aufwendigen Selbstversuch unternommen habe, der viele Jahre gedauert hat. Vespa bin ich dabei tatsächlich auch gefahren, und zwar eine mit Kupplung, die mir mindestens so viel Schwierigkeiten bereitet hat wie das passato remoto.

Als ich 1989 nach Italien zog, wusste ich so gut nichts über das Land - außer dass die Kommunistische Partei jedes Jahr tolle Feste schmiss und es ständig neue Regierungschefs gab, deren Namen man sich nicht merken konnte. So gesehen ist mein Buch auch eine Entwicklungsgeschichte - nicht nur meiner eigenen, sondern auch der Italiens. Mein Buch erscheint am 2. September bei Droemer, hier die Vorankündigung (Opens in a new window).

Positiv überrascht hat mich die Reaktion einer Followerin auf Instagram, die das hier gepostet hat:

Und jetzt hoffe ich natürlich, Sie damit ausreichend neugierig gemacht zu haben!

Weil der bereits in Reskis Republik gepriesene (Opens in a new window) Film “C’è ancora domani” jetzt auch in Deutschland unter dem Titel “Morgen ist auch noch ein Tag” angelaufen ist, habe ich ihn in der ZEIT empfohlen (Opens in a new window). Und bei der Gelegenheit ein weiteres Mal festgestellt, dass Italien und Deutschland vielleicht sonst nicht viel gemein haben mögen, aber was den Femizid (Opens in a new window) betrifft, da sind sie sich einig: In Deutschland werden ungefähr genauso viele Frauen umgebracht, wie in Italien - jeden dritten Tag. Und so gesehen können wir uns schon glücklich schätzen, dass wir überhaupt noch am Leben sind.

Überhaupt Frauen, die tragen auch die Schuld an der schwindenden Einwohnerzahl Venedigs, hat der Bürgermeister festgestellt: Das Problem sind nicht die unerschwinglichen Preise des Wohnungsmarktes, nicht die fehlenden Arbeitsplätze außerhalb der touristischen Monokultur, nicht die fehlende Infrastruktur (Kindergärten, Schulen, Ärzte), sondern die “Frauen, die höchstens ein Kind kriegen wollen und das auch am liebsten per Kaiserschnitt, damit sie sich nicht anstrengen müssen”. Wer nicht glaubt, dass der Bürgermeister tatsächlich so einen, pardon, Scheiß von sich gibt, kann es hier nachlesen (Opens in a new window). Und weil das allein nicht reicht, verkündet Brugnaro auch noch, dass er schließlich niemanden zwingen könne, in Venedig zu leben, denn: “Venedig entvölkert sich, weil die Menschen sterben". (Opens in a new window)

Natürlich kommt ihm nicht in den Sinn, eine Verbindung herzustellen zwischen den verbliebenen 49 000 Venezianern, denen 50 000 Touristenbetten gegenüberstehen, von denen sich 22 000 in Ferienwohnungen befinden - in einer Stadt, der täglich drei Einwohner den Rücken kehren, weil das normale Leben in diesem Spaßpark nicht mehr vorgesehen ist.

Seit zwei Jahren verfügt Venedig - als einzige Stadt in Italien - über rechtliche Mittel, Ferienwohnungen einzuschränken: Wohnungen dürfen nicht länger als 120 Tage im Jahr vermietet werden (ansonsten gelten sie als touristischer Betrieb, der nicht steuerlich begünstigt wird wie die Vermietung von Ferienwohnungen, die bei einem Steuersatz von nur 23 Prozent liegt) und müssen über eine Klärgrube verfügen. Und dies alles müsste natürlich kontrolliert werden. Wenn man denn wollte. Will man aber nicht.

Gestern fuhr ich im (überfüllten) Vaporetto über den Canal Grande, neben mir ein Amerikaner, der, wie man es eben so macht im Spaßpark Venedig, sich über die Reling beugte und winkend heiiii, halloooo, hiiiii in Richtung jedes vorbeifahrenden Wassertaxis, jeder Gondel, jedes Bootes kreischte. Auf der Stelle wollte ich mich in Fran Lebowitz verwandeln und diesem Vollhorst ein “Tu einfach so, als wär das hier eine Stadt” in den Nacken zischen - wenn mich der Venezianer an meiner Seite nicht an meiner Jacke festgehalten hätte. Pretend it's a City - ist der Satz (Opens in a new window), den Fran Leibowitz für Touristen und desorientierte Smartphone-Zombies parat hat, wenn sie ihr in New York vor die Füße rollen. Auch in Venedig sehr nützlich.

Und damit komme ich zum Wesentlichen. Wie Sie als Leser von Reskis Republik bereits wissen (Opens in a new window), wird das Eintrittsgeld für Venedig nächsten Sonntag, dem 25. April, eingeführt. Wogegen wir Bewohner von Venedig uns natürlich längst ausgesprochen haben (dazu auch ein Podcast von Reskis Republik (Opens in a new window)). Der Bürgermeister hat seine Visionen (sorry, aber ich muss dabei immer zwanghaft an das Schmidt’sche “Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen” denken) in einer Pressekonferenz in Rom vor den ausländischen Korrespondenten vorgestellt - Visionen, die den Wirtschaftskorrespondenten der FAZ sogleich erleuchtet haben, der die unternehmerischen Fähigkeiten Brugnaros und das Eintrittsgeld als “Revolution wie bei Kopernikus” lobte (Opens in a new window) - ohne dabei allerdings durch eine wie auch immer geartete Recherche aufgefallen zu sein.

Wir Venezianer hingegen wollten das Wort nicht allein dem Bürgermeister überlassen und haben deshalb eine kleines, feines Manifest in fünf Sprachen erstellt, das die Hintergründe und Bedeutung des Eintrittsgeldes kurz und ohne Visionen erklärt - und dazu aufgerufen, dieses Manifest zu unterschreiben (Opens in a new window).

https://www.freevenicefromticket.net/ (Opens in a new window)

Unter den Unterzeichnern befinden sich viele namhafte Protagonisten des europäischen Kulturlebens: Schauspieler, Regisseure, Künstler, Museumsdirektoren. Wir freuen uns über jede Unterschrift, deshalb können Sie den Link auch gerne weiterleiten (Opens in a new window). Weil die Liste mit den Unterschriften händisch (!) aktualisiert wird, dauert das etwas länger, als beispielsweise bei Change.org (Opens in a new window), deshalb fehlen noch viele, die bereits unterschrieben haben - dahinter verbirgt sich die Absicht, keine multinationale Organisation einzubinden, von der man nicht weiß, wo die Mailadressen landen.

Inzwischen ist auch die venezianische Presse auf FreeVenicefromTicket (Opens in a new window) aufmerksam geworden: So die heutige Titelseite von La Nuova di Venezia: »Der No-Ticket-Protest von Dozenten und Schriftstellern”.

»No ticket"-Protest in den sozialen Medien/ "Der Qr-Code? Er ist ein Symbol der Überwachung”/Eine Facebook-Seite, eine Unterschriftensammlung/ "5 Euro lösen das Problem nicht, es sollte eine Höchstzahl von Touristen festgelegt werden"«

Remember: Wir Venezianer wollen wie die Partisanen mit der Fahne in der Hand sterben.

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich aus Venedig, Ihre Petra Reski und, nicht vergessen:

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