The Substance (Coralie Fargeat)
Ozempic ist derzeit nicht nur Hollywood, sondern auch im Rest der USA in aller Munde - oder genauer gesagt, in aller subkutanes Fettgewebe. Ursprünglich als Diabetesmedikament gedacht, wird das Mittel hauptsächlich als Abnehm-Droge missbraucht. Durch die Insulinausschüttung erzeugt man ein Völlegefühl und hindert dadurch die Lust am Essen. Besonders beliebt ist das Medikament in Vorbereitung auf den Sommerurlaub - einfach ein paar Wochen vor dem Urlaub Ozempic spritzen und sich mit Appetitlosigkeit quälen, nur um das Wundermittel dann zum Urlaub wieder absetzen und sich mit dem Traumkörper der Völlerei hingeben zu können. Dieses Thema vermischt Fargeat in ihrem neuen Film The Substance mit der bisherigen Debatte um Botox, wo ein Nervengift unter die Haut gespritzt wird, um die Falten weg zu glätten.
In The Substance geht es um die alternde Schauspielerin Elisabeth Sparkle (Demi Moore), deren Glanzzeiten vorbei sind und die sich mit einer Aerobic Show im Morgenprogramm versucht, ihren Ruhm zu bewahren. Die Droge “Substance” verspricht ihr eine neue Jugend, die aber im Gleichgewicht zum Alter bleiben muss. Ähnlich wie bei Ozempic leidet man eine Woche mit dem alten Körper, um dann wieder für die nächste Woche der Jugend zu frönen.
Entfremdung
Im Grunde genommen ist The Substance eine Neu-Interpretation von Das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde. Es geht um das Verlangen, unseren Alterungsprozess auf etwas anderes zu übertragen. Im Falle Dorian Grays auf sein Bild, im Falle von Elisabeth auf ihren eigenen Körper, damit der junge Körper der Sue (Margaret Qualley) existieren kann. Ähnlich wie in dem Klassiker von Wilde kann die eine Hälfte in Sünde und Überfluss leben, während die andere Hälfte darunter zu leiden hat. Wenn Sue die vereinbarte Zeit von einer Woche überschreitet, um noch länger ihre Jugend zu genießen, altert und deformiert sich der Körper Elisabeths entsprechend.
Anders als bei Dorian Gray haben wir in The Substance zwei Individuen, die aber ein Ganzes ausmachen. “There is no “her” and “you”. You are one,” ermahnte sie der Mann am anderen Ende der Telefonleitung. Als am Ende des Romans Dorian Gray auf sein entstelltes Bildnis einsticht, tauschen beide die Plätze und er, jetzt gealtert und von seinen Taten gezeichnet, liegt erstochen vor dem makellosen Bild seiner Jugend. In The Substance aber irrt sich der mysteriöse Substance Vertreter spätestens dann, wenn Sue und Elisabeth sich tatsächlich gegenüberstehen. Das Ich ist untrennbar mit dem Körper verbunden, was darin resultiert, dass im Falle eines Auftrennen des Körpers auch ein Auftrennen des Ichs geschieht.
Entsprechend gibt es auch zwei Bilder in Elisabeth’s Wohnung: Ein Bild von ihr und ein übergroßes Werbeplakat von Sue, das geradezu bedrohlich durch die Fenster-Fassade schaut. Ihr Bild wird beschädigt, während das von Sue unerreichbar bleibt. So versucht Elisabeth verzweifelt, dem Werbeplakat nachzueifern, als sie sich für ihr Date mit dem Schulfreund fertig macht, nur um die Unmöglichkeit ihres Verlangens feststellen zu müssen. Im Finale werden beide dann tatsächlich Eins - Monstro Elisasue - zu einer entstellten Monstrosität aus beiden. Der Versuch, sich mit dem ausgeschnittenen Gesicht von dem Bild Elisabeth’s sich zu tarnen, scheitert selbstverständlich kläglich.
Patriarchat
The Substance versteht sich als feministischer Film, der das Patriarchat in Hollywood anprangert. So sehen wir als großen Antagonisten den Producer Harvey (Dennis Quaid), der alles verkörpert, was von der MeToo Bewegung zu Tage gefördert wurde. Seine Machtposition missbrauchend ist er zutiefst misogyn und betont immer wieder die Rolle der Frauen als Zierde oder Lustobjekt. “Pretty girls should always smile!”
Auch der Nachbar, Oliver (Gore Abrams) hämmert erst genervt an Elisabeth’s Tür, schäumend vor Wut, bis er feststellt, dass ihm die attraktive Sue aufmacht. Sein Hass schlägt blitzartig in ein ekliges Balzverhalten um, und wir als Zuschauer fragen uns natürlich, was für die betroffene Frau jetzt schlimmer ist?
Mit diesen Männerfiguren tut sich The Substance keinen Gefallen. Allzu plakativ wird hier der rüpelhafte Mann als die Wurzel allen Übels dargestellt. Sicherlich nicht falsch, stellt sich der Film damit allerdings in eine Ecke, die allzu leicht zu ignorieren ist. Wenn wir nur ein paar dieser faulen Äpfel tauschen, dann passt das schon wieder. Dabei sind es doch die internalisierten Ideale und Ansprüche viel destruktiver als das vulgäre Geschrei fremder Männer. Schon seit jeher lesen wir auf den Titelseiten eines jeden Frauenmagazins Anleitungen zur Traumfigur, Diätpläne und Tipps zum ewigen Jungbleiben. Heutzutage ist hinlänglich bekannt, wie gravierend die Folgen von Social Media für heranwachsende Frauen und Mädchen sein können, wenn sie immer und immer wieder denselben (Körper-)Idealen von Influencerinnen nacheifern. Dem misogynen Chef kann ich kündigen, dem übergriffigen Nachbarn die Tür zuschlagen, aber wenn ich meinen eigenen Ansprüchen an mich und meinem Körper nicht gerecht werden kann, kommt man da nur schwerlich wieder raus.
Hinzu kommt der zwangsläufige Schönheitswahn der Hollywood-Branche. Hier geht es gerade darum, schöne Körper abzubilden. Harvey hat am Ende recht, wenn er als Produzent der Aerobics-Show einen attraktiven Körper verlangt, der dort tanzt. Das ist das Konzept der Show. Natürlich hätte er es anständiger formulieren sollen, aber ein zu alter Körper in einer Show, die jugendliche Fitness verspricht, ist eben doch ähnlich nützlich wie ein blinder Optiker.
Zwischen Ekel und Porno
Coralie Fargeat nannte David Cronenberg als einen ihrer Einflüsse. Entsprechend steht The Substance auch ganz klar in der Tradition des Body Horror. Wir sehen Injektionen, Transformationen und Körper, wie wir sie niemals hätten sehen wollen. Eiter, Blut und andere Körperflüssigkeiten sieht man fast ebenso häufig wie das Wasser, um alles wieder abzuwaschen.
Die Transformationen, die der Metamorphose in The Fly von Cronenberg ähneln, suchen hauptsächlich Elisabeth heim. Sobald Sue ihre Zeit überschreitet, mutiert Elisabeth ein Stückchen weiter. Während Elisabeth mutiert, zerfällt Sue buchstäblich, nachdem sie Elisabeth tötet und nicht mehr an ihre Stabilisierungsflüssigkeit kommt. In der letzten Transformation zu Monstro Elisasue sind wir dann endgültig im Grotesken angelangt mit dem zu einem Schrei verzerrten Gesicht Elisabeths irgendwo an dem zur Unkenntlichkeit deformierten Körper Sues.
Auch schon bevor die Mutationen einsetzen, zeigt die Kamera schonungslos Elisabeth’s nackten Körper vor dem Spiegel. Wir sehen Bauch, Busen, Beine, Po wie sie vom Alter gezeichnet wurden. Es gibt Dellen und hängendes Gewebe, wo wir uns eine straffe Haut wünschen. Gepaart mit den Transformationen, die hauptsächlich Elisabeth betreffen, attestiert Film-Analyst Wolfgang M. Schmitt in seinem Podcast korrekterweise, dass dadurch ein Ekel bei uns vor dem Alter geschaffen wird. Schmitt lamentiert, dass es der Film und die Kamera nicht schaffen, einen Ausweg aus der Schönheitslogik Hollywoods aufzuzeigen, sondern im Gegenteil, dass The Substance zum Mittäter wird, indem eben jener alte Körper, den er zu verteidigen vorgibt, doch dem voyeuristischen Publikum zum Fraße vorwirft.
An dieser Stelle würde ich allerdings weitergehen und argumentieren, dass genau das zum Konzept von The Substance gehört. Die Kamera, als Teil des Systems Hollywood, weiß ganz genau, was sie abfilmen muss, um das Publikum zu begeistern. Wenn Sue ihre Aerobic-Show aufnimmt, kommt das einem Porno gleich. Die Kamera ist hauptsächlich auf ihren Busen und Hintern gerichtet, ihr Gesicht sehen wir eher selten, aber wenn dann, verführerisch lächelnd. Sue selbst nimmt ihren Körper ähnlich wahr, so fühlt sie begeistert nach ihrer “Geburt” ihren strammen Hintern und straffen Busen unter der Dusche und vor dem Spiegel. Im Badezimmer sind natürlich keine Kameras des Aerobic Studios dabei, allerdings ist die Kamera des Films an sich dabei, die eben jene Bilder aufnimmt, die wir - das Publikum - in diesem Moment im Kino anschauen. Getreu nach dem Motto der Boulevard-Presse lechzen wir geradezu danach, nackte Körper zu sehen, entweder makellos oder doch von Cellulite und Dehnungsstreifen zerfressen. Denn egal, ob Ekel oder Lust, am Ende verkauft sich beides.
Diese Logik wird eindrucksvoll in Szene gesetzt durch die beiden Essens-Szenen: Einmal im Restaurant, wo Harvey Shrimps isst und einmal, wo Elisabeth aus dem Kochbuch für gehobene französische Küche kocht. Beide Szenen werden von der Kamera so sehr verfremdet und so absurd inszeniert, dass sie den Body-Horror-Elementen in nichts nachstehen. Harvey veranstaltet ein Massaker mit den Shrimps und Elisabeth saut sich von oben bis unten in Ei und anderen Zutaten ein. Wenn wir an die französische Küche oder ein Sterne-Restaurant denken, läuft uns normalerweise das Wasser im Munde zusammen. In The Substance wollen wir uns am liebsten angewidert wegdrehen. Hier wird deutlich: Die Kamera ist eine wirkungsvolle Waffe, wenn wir uns als Publikum vor dem Alten Körper Elisabeths ekeln, dann nur, weil die Kamera das so wollte. So müssen wir uns am Ende dann doch eingestehen, dass wir selbst in dieser Logik verhaftet und eben doch nicht so aufgeklärt und tolerant sind, wie wir es uns gerne einreden.
Fazit
Coralie Fargeat hält mit The Substance dem Publikum den Spiegel vor. Die Einordnung zwischen Lust und Ekel oder zwischen Jugend und Alter treffen wir zu jeder Zeit unbewusst selbst und Hollywood als System dafür zu kritisieren ist heuchlerisch. Leider untergräbt der Film seine eigene Botschaft durch die plakativen Männerfiguren und durch die eigene Limitierung auf die Film- und Fernsehbranche. Dadurch wirkt The Substance viel zu banal und durch die Länge von 140 Minuten zieht sich das auch noch unnötig in die Länge.
Am Ende wird der Film dann fast noch versöhnlich. Auf Elisabeth Sparkles Walk-of-Fame Stern wird am Anfang Ketchup geschmiert und am Ende stirbt das Monster, das sie geworden ist, genau dort und bleibt als Blutlache zurück. Wir sehen eine Kehrmaschine, die den Stern wieder sauber putzt. Von Elisabeth ist nichts mehr übrig, aber ihr Stern bleibt. Er hat zwar über die Jahre ein paar Risse bekommen, aber eigentlich sieht er doch immer noch ganz hübsch aus.