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Leipziger Fragmente V

Leipzig, Alfred-Kästner-Straße, 11.09. 2023

10.02 Uhr

Ob ich wirklich etwas zusammen kriege heute, weiß ich noch gar nicht. Die Tage versacken einmal mehr im Chaos. Zu viel Arbeit, die nichts mit dem Schreiben zu tun hat. Verwendungsnachweise für die Kulturstiftung Thüringen, die wir wohl offensichtlich vergessen haben zu erbringen, führen mich in die Jahre 2018 und 2019, als es noch unseren Kulturverein „Corvus e.V.“ gab. Wir, das waren maßgeblich mein Verleger und ich. Mehr oder weniger erfolglos versuchten wir, in der Geraer Theaterfabrik eine Lesebühne zu etablieren und beantragten Förderungen in vierstelliger Höhe, die wir auch bekamen. Wir luden unter anderem Luci van Org ein, aber auch Bachmann-Preisträger Peter Wawerzinek, Clemens Meyer, Dirk Bernemann und viele, viele andere, die vor meist karg besetzten Rängen der Theaterfabrik Gera lasen. Peinlich für einen Veranstalter. Und aufgewogen gegen den Arbeitsaufwand eine fast beispiellose Sinnlosigkeit.

Ich weiß nicht, was Gera zu dem Gera macht, das ich oft als „Stadt gewordene Strafe“ bezeichne. Es ist nicht nur die Architektur, die auch im Jahr 2023 noch an tiefste DDR Zeiten erinnert. Es ist nicht nur die Atmosphäre, die sich mir immer wieder aufs Neue wie ein dunkelgrauer Schleier offenbart, als läge die Stadt bewegungslos in einer Zelle der Vergangenheit, als komme die Zeit nicht durch die Stadt, nicht an ihr vorbei, nicht über sie, nicht unter sie, als habe die Zeit vor langer Zeit vor Gera resigniert und mache seither einen großen Bogen um die Stadt. Auch wenn es kaum solche, für ostdeutsche Kleinstädte so typischen Dreckecken gibt, zeigt sich mir Gera seltsam schmutzig. Dreck in einer aufgeräumten Stadt … Dreck, der unter der Oberfläche liegt, nur für manche Menschen sichtbar, als durchbräche er, der Dreck, den Boden einer Parallelwelt, in die einige von uns, zumindest durch das geistige Auge einen Blick haben.

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