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Leipziger Fragmente VII

Leipzig, Alfred-Kästner-Straße, 04.09. 2023

"Komm in den Garten" sangen einst Foyer Des Arts ... Sie aber waren es nicht, die mich lockten, einen (inneren) Garten zu erschaffen ...

08.13 Uhr

Im Garten, zwischen zwei Welten ...

Golden fällt der Tag in den Wochenbeginn. Als mein Wecker vor einer Stunde zum ersten Mal klingelte, öffnete ich die zum Schlafzimmerfenster gewandten Augen und entschied mich dagegen, ihn in zehn Minuten erneut klingeln zu lassen, denn die Morgensonne beschien so herrlich die Linde, dass jede weitere Minute Unbwusstheit wie ein Druck auf’s Gewissen war. Das Gold und die Morgenstund’ … Der Schlaf versteckt das Wirkliche Sein da draußen. Im Schlaf nimmt man das Wahre nicht wirklich wahr. Zwar liebe ich es, noch einmal einzuschlafen, wenn der Wecker klingelt, die Snooze-Taste zu betätigen und den Schlaf damit anders wahrzunehmen, als für gewöhnlich. Du erwachst gegen deine Natur, meist gegen deinen Willen und weißt: ich kann ja nochmal … zehn Minuten kann ich noch, oder zwanzig … ich könnte auch, bis ich von allein erwache, aber das Gewissen … da Schreiben … der Morgen mit seinem Allmählich ..

Dem Wecker den Befehl „Snooze“ gegeben, drehe ich mich gern noch einmal rum, ziehe mir gern noch einmal die Decke über den Kopf, rücke das Kissen noch einmal zurecht und schließe gern noch einmal die Augen, die noch nicht gänzlich geöffnet waren. Auf dem Geist liegt noch ein Schleier, dieses Weich des Schlafes, dieses angenehm wattige Gefühl, von Morpheus Armen umschmiegt zu sein … eine Wahrnehmung, die ich nur kenne, wenn der Wecker klingelt, ich ihn ausstelle und noch einmal einschlafe … wie ein sanftes Pendeln, zwischen hier und da, zwischen Schlaf und Wachheit, zwischen Muss und Kann, zwischen den zwei Welten der Existenz …

Ein Grauen reißt mich aus meinen Gedanken … irgendwo da draußen, in der Nähe des Balkons, erwacht jemand und nimmt die Nachbarschaft gleich mit in seinen Tag, ob sie will oder nicht. Es ist 08.33 Uhr und Los del Rio’s „Eh Macarena“ schiebt sich über die zugewuchterte Brachfläche wie ein Fluch aus den Neunzigern, der uns nacheilt und immer nacheilen wird, uns von der Leichtigkeit der Ignoranz zu berichten. 1993 zum ersten mal veröffentlicht, wurde der Song und damit das spanische Duo Los del Rio, erst zwei Jahre wirklich bekannt, als die Bayside Boys „Macarena“ als Remix erneut herausbrachten. Ein Zeugnis für die frühen Neunziger. Ein Zeugnis für eine Atmosphäre der Erleichterung. Der kalte Krieg beendet, die Spannungen, die weltweite Angst vor einem dritten Weltkrieg verflogen, Aufbruch und Neubeginn überall, erschlugen uns die Plattenfirmen mit einer Leichtigkeit, die vielleicht eine Art After-The-Potential-Apocalypse-Party hat implizieren sollen. Alle feierten, die halbe Welt taumelte noch in der Euphorie des Zusammenbruchs böser Mächte, der Teufel schien besiegt und kroch doch nur getroffen über die Erde. Und er lächelte noch. Zerstörung hatte er dennoch dabei. Jugoslawien, Sierra Leone, Georgien, Tschetschenien, Bergkarabach, Tadschikistan, Eritrea, Sudan … die Liste der Kriege und militärischen Konflikte der Neunziger ist lang. Nur die zwei großen Mächte waren nun keine Feinde mehr. Von Abrüstung wurde gesprochen, während beide Mächte ihre blutrünstigen Belange fortsetzten. Nun eben auf anderen Gebieten. Kein Säbelrasseln mehr, keine Atomraketen mehr im Osten und Westen, die aufeinander gerichtet waren, bereit, Mann und Maus zu vernichten.

Aber Krieg kurbelt die Wirtschaft an und ganz lassen konnte und wollte man das nicht.

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