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Interview mit dem Insektenforscher Thomas Hörren

Hallo,

Schön, dass du wieder reinliest! Wie du weißt, liebe ich ja Insekten und bin deshalb auch auf Insekten spezialisierte Biologin. Und deshalb habe ich für die heutige Folge SCHREIBERS NATURARIUM mit dem Insektenforscher Thomas Hörren gesprochen.

Thomas ist Biologe, 32 Jahre alt und arbeitet schon seit über 15 Jahren in der Insektenforschung. Parallel zu seiner Schullaufbahn hatte er sich schon immer mit den kleinen Krabblern befasst, mit 16 bekam er auch die ersten Aufträge zu Kartierungen von Käfern und ähnlichem, unter anderem vom zoologischen Forschungsmuseum Alexander König in Bonn, oder vom Naturkundemuseum Münster. Nach der Schule machte er erst eine Ausbildung zum biologisch-technischen Assistenten, doch das war ihm zu viel Laborarbeit und zu wenig Freilandaction, weshalb er sich parallel zu seiner ehrenamtlichen Forschungs- und Naturschutzarbeit an die Uni eingeschrieben hatte und bis heute neben all seinen Projekten studiert, sofern er dazu überhaupt kommt.

Thomas, du hast ja eine für einen Biologen recht ungewöhnliche Laufbahn hingelegt, wenn man das mit den klassischen Ausbildungswegen vergleicht.

Ja, ich hatte einfach schon immer diese Passion für Insekten und bin im Prinzip von der Amateurforschung in die traditionelle Wissenschaft gekommen.

Ziemliches Aufsehen hatte ja die 2017 von dir und dem Entomologischen Verein Krefeld veröffentlichte Forschungsarbeit zum Insektensterben. Dort habt ihr durch das Aufstellen von Fallen und der Auswertung von Daten aus den letzten Jahrzehnten festgestellt, dass der Insektenbestand an den untersuchten Orten massiv eingebrochen ist.

Ja genau. Seit den 80er Jahren wurden Malaise-Fallen standardisiert eingesetzt, um Insektenbestände festzustellen. Diese Daten haben wir genommen und uns in zwei Meta-Studien angeschaut, sie verglichen und auch mit aktuellen Daten in Beziehung gesetzt.

Magst du uns vielleicht kurz erklären, wie diese Malaise-Fallen funktionieren?

Also Malaise-Fallen sind so zeltartige Gebilde, jedoch ohne Seitenwände links und rechts. Stattdessen gibt es eine Mittelwand, und wie beim Festival ist es eben so: Wenn das Zelt offen ist, fliegen Insekten rein. Richtung Süden haben diese Fallen ein helles Dach, und dort fliegen die Insekten hin. Da wartet jedoch eine große Alkoholflasche auf sie: Sie fliegen drüber, werden vom Alkoholnebel betäubt, fallen in die Flasche und werden konserviert. 

Diese Methode verwendet man, weil man nach aktuellem Kenntnissstand auf diese Art und Weise den besten Überblick über die Vielfalt der am Standort vorkommenden (Flug-)Insekten gewinnen kann.

Vor unserer Haustür finden wir unzählige unbeschriebene Arten

Wie viele Arten findet ihr in diesen Fallen?

Also im Laufe des Jahres kommen da zwischen 1500 und 3000 Arten an Insekten zusammen. Das sind Dimensionen, die den meisten Menschen ja gar nicht bewusst sind. Wenn man an einer Pflanze arbeitet und zum Beispiel Spezialistin für Schmetterlinge ist, da findet man dann vielleicht 15 oder 20 Tagfalter oder Widderchen. Oder man setzt sich an einen Standort und bearbeitet dort Heuschrecken und entdeckt, wenn es gut läuft, 10 oder 11 Arten. Doch wenn wir über Insektendiversität sprechen, reden wir hier über tausende Insektenarten, die in der Regel eine Körpergröße von zwei bis zweieinhalb Millimetern haben. Mit diesen Fallen erfassen wir also die Arten, die nicht auffallen, kaum entdeckt werden und sozusagen keine Stimme haben, weil sie immer unterm Radar fliegen.

Sind all diese Arten bekannt?

Nein. Vor unserer Haustür finden wir unzählige unbeschriebene Arten, auch das wissen die meisten Leute nicht. Dafür muss man gar nicht in die Tropen fahren.

Ihr habt nun diese Fallen voller Insekten – was passiert als nächstes?

Na ja, wir tropfen sie nach Laborprotokoll ab und wiegen sie, damit wir mal eine Zahl haben, die uns sagt, wie viel Biomasse an Insekten wir hier haben. So haben wir einen ersten Überblick darüber, wie viel Insekten es überhaupt gibt, bevor wir beginnen, einzelne Gruppen wie Wildbienen oder Käfer auszusortieren. Das ist übrigens der wichtigste Schritt, und auch der spannendste, denn: Vorher kam noch niemand auf die Idee, die Biomasse von Fluginsekten zu wiegen. Alle waren darauf fokussiert, wie viele Arten es an einem bestimmten Standort gibt und welche, doch niemanden schien bislang zu interessieren, wie viele Insektenmasse es überhaupt gab – da waren wir die Ersten.

Das bedeutet, ihr habt als erste Forschungsgruppe den Fokus auf das Gesamtbild des Insektenbestandes hier in Deutschland gelegt?

Auf so einer allgemeinen Ebene mit Fokus auf die Biomasse: Ja. Untersuchungen mit Malaise-Fallen sind für den Naturschutz wichtig. Das bedeutet, dass Naturschutzbehörden die Versuche mit Malaise-Fallen abgesegnet haben, um die Insektenfauna in einem Schutzgebiet zu erfassen, oder um einen Standort zu untersuchen, ob er sich als neues Schutzgebiet eignet. Und 2017 sagten wir uns: Jetzt werten wir diese Untersuchungen doch mal aus, weil wir ja in anderen Versuchen und auch im Alltag gesehen haben, dass die Insekten immer weniger werden. Und damit dieses „Bauchgefühl“ auch mal mit wissenschaftlichen Daten unterfüttert wird, haben wir diese Studie gemacht und uns auch ein Team aus Biostatistikern gesucht, die sich einerseits hierbei auf den Biodiversitätswandel, andererseits aber auch auf Klimawandelfragen fokussiert haben.

Was habt ihr herausgefunden?

Wir haben uns über sechzig verschiedene Standorte angeschaut und das Auffälligste und Wichtigste daran war, dass wir in einem ausgewerteten Zeitraum von 27 Jahren festgestellt haben, dass die Insekten im Schnitt um mehr als 75 % zurückgegangen sind, in den Sommermonaten sogar über 80 %. Und wir haben natürlich auch die Ursachen untersucht. 20 % des Verlusts konnten wir uns erklären: Klimawandel, Landschaftsnutzung, Verwaldung, dies das. Aber bei 80 % konnten wir uns den Insektenrückgang nicht erklären. Das alles war dann auch das, was medial diese Diskussion zum Insektensterben ausgelöst hat.

Das Auffälligste und Wichtigste daran war, dass wir in einem ausgewerteten Zeitraum von 27 Jahren festgestellt haben, dass die Insekten im Schnitt um mehr als 75 % zurückgegangen sind, in den Sommermonaten sogar über 80 %. 

Gibt es etwas für dich aus Forscherperspektive, das beim Thema Biodiversität gern übersehen wird?

Also standardmäßig übersehen wird in meinen Augen gerne der Gesamtblick. Das fängt schon beim Bundesnaturschutzgesetz an, da steht nirgends als Priorität: Wir möchten lokale Biodiversität schützen! Stattdessen gibt es im Gesetzeskontext eine Auswahl an schönen, bunten und auffälligen, gerne seltenen Arten, die im Idealfall alle erkennen können und die dann eben geschützt sind. Dabei sind die eigentlichen Treiber der Biodiversität die kleinen Organismen …

… die nicht so eine große Fanbase oder öffentliche Aufmerksamkeit haben.

Genau. Man schaut sich zu wenig das große Ganze an. Wenn man da ein Gebiet hat, hat man eine Liste mit mehreren hundert Arten und vielleicht noch eine pflanzenphysiologische Aufstellung, das ist einfach ein viel detailreicheres Bild, das jedoch gerne übersehen wird. Stattdessen wird gesagt: Hier in diesem Gelände kommt die Gelbbauchunke vor, jetzt baggern wir hier mal alles um, damit sie es schöner hat und wir was für die Unke getan haben. Was das für Auswirkungen für die ganzen anderen Lebewesen hat, interessiert dann kaum, man hat ja was für den Naturschutz getan. Es gibt keine Einigkeit in den Naturschutzmaßnahmen, hier wird was für diesen einen Vogel getan, dort macht man was für Wildbienen, hier wieder für Eidechsen. Das sind alles so punktuelle Maßnahmen, die den Gesamtkontext oft außer Acht lassen. Das ist schade. Gerade heutzutage müssen Lebensräume als Ganzes geschützt werden.

Was siehst du aktuell als größte Bedrohung für die Biodiversität?

Ganz klar den Menschen, und das gilt für die ganze Welt. Das größte Problem sind hier die verschiedenen Landnutzungsformen, also Siedlung, Landwirtschaft, all sowas. Das ist ja nicht nur in tropischen Regenwäldern relevant, wo wir heutzutage der Abholzung live im Internet zuschauen können. Viele Menschen vergessen, dass das alles hier in Deutschland schon passiert ist, nur eben ein paar Jahrzehnte und Jahrhhunderte vorher. Hier fand im Prinzip genau dasselbe statt. Unsere heutige Kulturlandschaft hat eine Situation geschaffen, in der die letzten Refugien für vom Aussterben bedrohte Organismen fast nur noch in Schutzgebieten existieren – von denen es viel zu wenig gibt.

Ich hatte in den letzten Jahren häufig das Gefühl, dass ich im Vergleich zu meiner Kindheit kaum noch Schmetterlinge sehe.

Ja, genau. Auf Biodiversitätsschäden bezogen ist das Schlimmste, das passieren kann, dass einzelne Arten mit ihrer lokalen genetischen Vielfalt aus der Landschaft verschwinden. Bei den Tagfaltern kann man das sehr gut beobachten. Es ist sehr einfach zu sehen, wie viele Schmetterlinge im Lauf der letzten 200 Jahre wirklich drastisch aus unserer Landschaft verschwunden sind. Die Flurbereinigungen der letzten 60 oder 70 Jahre haben bei vielen Tagfalterpopulationen zum kompletten Erlöschen geführt.

Spielt da auch unsere Landwirtschaft mit hinein?

Auf jeden Fall. Lebensmittelproduktion ist ein Aspekt, der natürlich ethisch gut abgewägt werden muss – wir haben berechtigte Interessen hierbei, aber die Natur eben auch. Aber der massive Einfluss von Landwirtschaft auf die umliegenden Bereiche ist extrem. Das gilt übrigens auch für Schutzgebiete.

Wie meinst du das?

Es gibt auch heute immer noch konventionell bewirtschaftete Äcker, die mitten im Schutzgebiet liegen. Ein Problem, das nicht angegangen wird, da sich die Politik hier auch von wirtschaftlichen und agrarpolitischen Positionen zu stark beeinflussen lässt.

Arbeitest du aktuell an neuen Naturschutzprojekten?

Ja, zum Beispiel das Projekt DINA (Diversität von Insekten in Naturschutzarealen). Das ist ein großes Verbundforschungsvorhaben, bei dem wir uns mit mehreren Instituten die Frage ansehen, wie der Konfliktbereich Landnutzung vs. Naturschutz in Schutzgebieten genau aussieht.

Hast du ein Beispiel für so einen Konflikt?

Ja, wir schauen uns 21 Flächen hier in Deutschland an, die diese Kombination Ackerfläche und Naturschutzgebiet beinhalten. Die sind überall in Deutschland verteilt, das ist also ganz gut für die Daten. Nun ist es so, dass zwischen landwirtschaftlicher Fläche und Schutzgebiet kein Puffer existiert. Pufferzonen sind dafür da, um schädliche Einflüsse von außen abzumildern, sind also sehr wichtig. In diesen Fällen ist es jedoch so, dass wir hier an dem einen Zentimeter den konventionell bewirtschafteten Acker, also auch mit Pestizideinsatz usw., haben, und einen Zentimeter weiter beginnt dann das Schutzgebiet, das von unseren Steuergeldern geschützt wird.

Das klingt nicht sehr sinnvoll.

Nein, gar nicht. Wir machen in diesem Projekt jetzt zum Beispiel eine Pestizidanalyse, da haben wir auch schon die ersten Ergebnisse publiziert. Wir schauen uns den Boden an, Baumrinden, die eine hohe Pestizidbelastung aufwiesen, wir schauen uns auch den Alkohol an, in dem die Insekten aus den Malaise-Fallen liegen um zu schauen, wie viele Pestizide die vielleicht mit sich herumtragen. Das sieht auch nicht so toll aus in den Ergebnissen.

Also das Erste und Wichtigste ist für mich, dass Forschung ernstgenommen wird und bei politischen Entscheidungen auch Einfluss hat. Insbesondere bei ökologischen Themen ist das aktuell ja nicht der Fall. 

Was erwartest du von der Politik an dieser Stelle?

Also das Erste und Wichtigste ist für mich, dass Forschung ernstgenommen wird und bei politischen Entscheidungen auch Einfluss hat. Insbesondere bei ökologischen Themen ist das aktuell ja nicht der Fall. Wenn wir über Umweltthematik sprechen, dann geht es eben viel um Klima und CO2, was alles dominiert, also menschengemachter Klimawandel, beschleunigte Klimaveränderungen, all das. Aktuell erscheinen rund 50 Publikationen täglich, die diesen Themenkomplex aufgreifen, wenn man Klima allgemein betrachtet, erscheinen sogar mehrere hundert Publikationen am Tag. Soll heißen: Der Forschungsforschritt ist riesig, nur hat es kaum Auswirkungen, es ändert sich nichts. Und wir reden hier von einem Thema, das in der Öffentlichkeit viel besprochen und sozusagen beliebt ist! 

Biodiversität als Thema geht komplett unter, oder?

Genau. Schauen wir in den Koalitionsvertrag, taucht dieser Begriff als ernstzunehmendes Ziel nicht auf, hier und da schaut man mal nach Greifvögeln im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien, nirgends geht es aber konkret und allgemein um die Bewahrung und Förderung der Biodiversität. Auch unsere Veröffentlichung 2017 war nur ein kurzer Rüttler, wir dachten, jetzt kommt etwas in Bewegung, und doch hat sich bis heute nicht wirklich etwas geändert. 

Die Wirtschaftslobby und das „weiter wie bisher“ haben viel Macht in Deutschland.

Ja, dabei ist das so kurz gedacht. Wenn wir uns die Ergebnisse des World Economic Forum anschauen, sehen wir, dass die schwindende Biodiversität als ökologische Katastrophe die größten negativen Einflüsse auf die Wirtschaft hat. Diese extremen Biodiversitätsschäden führen zu massiven ökonomischen Einbrüchen, dennoch wird dieser Faktor in allen möglichen Berechnungen nicht berücksichtigt, nicht einmal hier in Deutschland. So lange das Thema Biodiversitätsschutz nicht endlich auf die politische Agenda aufgenommen wird, und zwar wirklich und nicht nur, um hier und da ein paar kosmetische Änderungen für die PR zu machen, sehe ich schwarz.

Danke schonmal für diesen Einblick in deine Naturschutzprojekte und den Themenkomplex Biodiversität! Schließen will ich jetzt mit einer etwas schöneren Frage: Was sind deine Top 3 Lieblingsinsekten?

Puh, ich habe saisonal immer unterschiedliche Gattungen, die ich spannend finde und gerne bearbeite. Ganz vorn dabei sind grundsätzlich subterrane Blindkäfer, beziehungsweise augenlose Käfer. 

Die haben im Prinzip eine vollständige Rückbildung der Augen, weil sie sie nicht mehr benötigen. Sie leben unter der Erde, was sie so absurd spannend für mich macht. Die haben zwei Eiszeiten überlebt, es gibt diese Gattung seit mehreren Millionen Jahren und die leben einfach irgendwo in Südeuropa unter unseren Füßen, und wir kriegen gar nichts mit!

Dann mag ich total gerne Schilfkäfer, also die Gattung Donacia. Das sind absolute Edelsteine unter den Käfern für mich, die leben an Gewässern an unterschiedlichen Wasserpflanzen, und da gibt es eine ganze Reihe Arten zu entdecken, zum Beispiel in Stadtparks. Die reißen mich schon seit meiner Kindheit mit.

Und als drittes bin ich momentan sehr fasziniert von Netzflüglern, also zum Beispiel Florfliegen und sowas. 

Die haben einfach so schöne Augen, und weil ich ja so ein bisschen fotografiere, finde ich die super spannend. Dieses Jahr habe ich glaube ich schon neun Arten fotografiert!

Ihr könnt Thomas und seine Arbeit auf Twitter>> (Opens in a new window) und Instagram>> (Opens in a new window) verfolgen.

Fotos: 1,2 & 4: Maximilian Kamps/Agentur Blumberg // 3: Alexander Muchnik, Universität Duisburg-Essen // Insekten: Thomas Hörren

Und sonst so?

Und wieder einmal hat mich Adrian Bliss zum Lachen gebracht:

https://twitter.com/adrianbliss/status/1516854130840645636?s=21&t=l4AzyzKCpZQoO3ijC1dNzA (Opens in a new window)

So, das war's. Ich würde mich freuen, wenn ihr vielleicht Unterstützer:in bei Steady werdet, damit ich meine Ranger- und Naturschutzausbildungen bezahlen kann. Dafür erhaltet ihr 4 statt nur 2 Naturkolumnen in euer Postfach, und Elche bekommen auch noch Audiofolgen. Juhu!

Ich wünsche euch einen schönen Sonntag und freue mich auf nächste Woche!

Alles Liebe
Jasmin

PS: Hier trage ich eine meiner Lieblingsketten. Biodiversität schützen, yay!

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