“Ich suche nach Veränderung, weil es mir hilft zu bemerken, dass ich am Leben bin.”
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn ich in den Kalender und aus dem Fenster sehe, vor allem aber in mich hinein, stelle ich fest, dass mein Energieniveau gerade nicht besonders hoch ist und ich mich nach anderen Dingen sehne als meinem Schreibtisch. Für mich ist es bald Zeit, um eine Pause einzulegen. Mein bevorstehender Sommerurlaub kommt mir dieses Jahr wie eine dringend notwendige Zäsur vor, nachdem ich jetzt monatelang vor mich hingearbeitet habe, weil immer mehr als genug zu tun war. Anfang Juli ist ein guter Zeitpunkt, um dem Jahr eine neue Wendung zu geben. Sechs Monate sind vergangen und sechs neue Monate kommen. Was wird danach sein, was soll dann sein?
Wenn ich zurückblicke auf die ersten sechs Monate des Jahres, dann habe ich in dieser Zeit einen Haufen Studien und Bücher gelesen, viele Gespräche mit Wissenschaftler*innen und Unternehmer*innen geführt, meine Ergebnisse und Einsichten immer wieder in Artikeln, Social-Media-Beiträgen und hier im Newsletter geteilt. Nebenbei habe ich an einem inzwischen mehr als 120 Seiten langen Konzept für ein zeitkompetentes Arbeitsmodell und eine gesunde, zukunftsfähige Organisationskultur gearbeitet. Das alles hat manchmal für Stress gesorgt, mir aber insgesamt Freude bereitet, weshalb ich auch wenig Notwendigkeit sah, etwas anders zu machen.
Ständig beschäftigt zu sein und auf ein Ziel hinzuarbeiten, oft sogar mit einer Deadline im Blick, kann auf Dauer aber dazu führen, dass man in eine Art Starrsinn verfällt. In den letzten Tagen habe ich bemerkt, dass ich mir nicht genügend Möglichkeiten gegeben habe, um meinen Tunnel zu verlassen, in dem ich mich befinde, um stattdessen einen Raum zu öffnen, in dem ich neue Inspiration finden kann, kreativ werde, improvisiere, neue Ideen entwickle und unerwartete Wendungen zulassen kann. Sich von Aufgabe zu Aufgabe, von Termin zu Termin, von Deadline zu Deadline zu bewegen, sieht von außen und lange auch von innen nach Bewegung aus, bis irgendwann etwas einsetzt, das man vielleicht am besten mit der Formulierung beschreiben kann, die der französische Philosoph Paul Virilio geprägt hat: rasender Stillstand.
Irgendwie gefallen wir uns so gut in unserer dauernden Geschäftigkeit und der äußeren Sichtbarkeit der unentwegten Tätigkeit. Beschäftigt zu sein entlastet von der Aufgabe, zu hinterfragen und neu zu justieren, was man da eigentlich die ganze Zeit macht, welche Zufriedenheit das tatsächlich stiftet und welchem langfristigen Zweck damit gedient ist. Ich merke gerade stärker als in den vergangenen Jahren, dass ich diesen Sommer brauche, um mich zurückzuziehen, für eine Weile unsichtbar zu sein und mich für etwas zu öffnen, das bisher nicht auf meiner Agenda dieses Jahres stand. Wenn ich einfach immer weitermache mit dem, was ich bisher schon gemacht habe, stellt sich bei mir immer irgendwann eine Ermüdung ein und der Wunsch nach Veränderung.
Für mich ist das kein Ausdruck mangelnder Entschlossenheit, Kontinuität oder Zufriedenheit, sondern der einzige Modus, der dem Leben gerecht wird. Denn Zeit ist Veränderung. Das Festhalten an Gewohntem ist der Versuch auszublenden, dass das Leben ständigem Wandel unterworfen ist. Immer wieder die Terminkalender zu füllen und Aufgaben und Ziele abzuarbeiten, die wir uns einmal gesetzt haben, ändert nichts daran, dass sich die Zeiten ändern und im Fluss sind, und dass in diesem Fluss auch unsere Lebenszeit beständig verrinnt.
Deshalb versuche ich gar nicht, mich der Illusion hinzugeben, dass alles so bleiben kann, wie es ist. Ich suche nach Veränderung und Entwicklung und neuem Aufbruch, weil es mir hilft zu bemerken, dass ich am Leben bin. Das heißt nicht, dass ich besonders gut darin bin, mich an Veränderungen anzupassen. Sie fordern mich sehr heraus. Aber ich bin einfach noch viel schlechter darin, zu lange an Gewohntem festzuhalten und in eingefahrenen Abläufen zu verharren.
Ich habe diesen Newsletter vor mittlerweile mehr als zwei Jahren ins Leben gerufen, treffenderweise mit einer Ausgabe, in der es um Veränderungsprozesse, persönliche Entfaltung und die Begrenztheit unserer körperlichen und geistigen Ressourcen geht. (Opens in a new window) Seitdem habe ich hier gelegentlich über meine Arbeit berichtet, meine Erkenntnisse und neue Entwicklungen rund um die Themen Zeitforschung und Zeitpolitik vorgestellt. Irgendwann habe ich aber bemerkt, dass der Newsletter ein Eigenleben entwickelt. Sobald ich anfange, eine neue Ausgabe zu schreiben, lege ich die Themen, über die ich berichten wollte, zur Seite, finde und schreibe dann, was sich bei meinen alltäglichen Recherche- und Schreibprojekten tiefer in mir abgelagert hat und was bisher nicht zur Geltung gekommen ist. Die inseln der zeit sind, wenn man so will, der abgetragene Sand aus meiner täglichen Arbeit, der hier neues Land bildet.
Ich möchte mich auch heute nicht allzu lange damit aufhalten, woran ich in den vergangenen Wochen konkret gearbeitet habe. Weil mir diese Themen aber grundsätzlich sehr wichtig sind, möchte ich kurz darauf verweisen, dass ich für das Redaktionsnetzwerk Deutschland den Zwischenbericht des deutschen Pilotprojekts zur Vier-Tage-Woche analysiert habe und auch noch einmal einen vertieften Blick auf die aktuelle Arbeitszeitdebatte gerichtet habe. Dieser Text ist eine Argumentationshilfe für alle, die sich gegen die Ansicht und Forderung wehren wollen, dass wir wieder mehr arbeiten müssten. Und der Zwischenbericht zum Pilotversuch der Vier-Tage-Woche zeigt, dass wir uns in Deutschland in kleinen Schritten in Richtung Arbeitszeitreduzierung bewegen, was aber keine schlechte Nachricht sein muss.
Beide Artikel sind unter den folgenden Links frei verfügbar:
https://www.rnd.de/beruf-und-bildung/4-oder-6-tage-woche-warum-beides-nicht-die-loesung-fuer-deutschland-ist-DAGCCT4MTJDS5IYBELPUTLOVOU.html?utm_source=e421975b8fcd1efad644efc0d0bcacd7&utm_campaign=692f455f-c23e-4629-bb24-7580b5ce6149&aid=c4307f10c0ffb5db8119800954e2eb69642e221d7cf5b95a9c6819ca93f7b2cd (Opens in a new window)https://www.rnd.de/beruf-und-bildung/pilotstudie-zur-viertagewoche-firmen-haben-schwierigkeiten-mit-deutlich-kuerzeren-arbeitszeiten-DRVEEAO4W5HRVK5KTBLQO3TPRU.html (Opens in a new window)Außerdem habe ich für die neue Ausgabe des Zeitpolitischen Magazins einen langen Essay über zeitpolitische Konflikte geschrieben, in denen sich der Klimaaktivismus befindet. Es geht um die Frage, wie sich der notwendige soziale Wandel zur Bewältigung der Klimakrise beschleunigen lässt und wie eine Gesellschaft unter dem vorhandenen Zeitdruck dennoch demokratische und zukunftsfähige Entscheidungen treffen kann.
Dem Text liegt der Aufsatz “Revolte gegen die Langsamkeit” von Stefan Zweig zugrunde, auf dem ich vor einem Jahr bereits eine Newsletterausgabe aufgebaut habe. (Opens in a new window) Alle, die ein inseln der zeit-Mitgliederabo abgeschlossen haben und sich mit aus meiner Sicht aktuell stark vernachlässigten Fragen der Bekämpfung des Klimawandels aus einer Zeit-Perspektive beschäftigen möchten, finden in ihrem Postfach demnächst eine Sonderausgabe, in der ich den Text veröffentliche und auch noch einmal auf die neue Ausgabe des Zeitpolitischen Magazins hinweise. Leider musste ich mit dieser Ausgabe die Redaktionsleitung des Magazins abgeben – auch dies eine Frage persönlicher Ressourcen.
Zuletzt habe ich heute noch eine exklusive Einladung für alle Leser*innen der inseln der zeit. Am Donnerstag, 25. Juli, werde ich in einer kleinen Zoom-Session Einblicke in meine Idee eines Arbeitszeitmodells geben, das auf den wissenschaftlichen Kriterien von Zeitwohlstand basiert und den Faktor Zeit so umfassend wie möglich mitdenkt und in Form konkreter Strategien, Strukturen und Werkzeuge in der täglichen Arbeitsorganisation etabliert.
Wie gesagt, habe ich in den vergangenen Monaten auf Grundlage zahlreicher Gespräche und Recherchen intensiv an meiner Vorstellung einer zeitbewussten Organisation gearbeitet. Erste Konturen dieses Projekts habe ich schon vor rund einem Jahr in meinem Workshop Zeitwohlstand und Zeitkompetenz (Opens in a new window) auf dem New Pay Campus vorgestellt.
Nun gebe ich einen Einblick in die weitere Entwicklung meiner Ideen und freue mich sehr darüber, mit den Leser*innen meines Newsletters in den Austausch darüber zu gehen. Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 25. Juli, 10–11.30 Uhr bei Zoom statt und ist kostenlos für alle inseln der zeit-Abonnent*innen. Wenn du dabei sein möchtest, antworte einfach auf diese Mail und schreibe mir, dass du teilnimmst – gern mit deinen Fragen und Interessen. Damit genügend Raum für einen echten Austausch vorhanden ist, ist die Zahl der Teilnehmenden stark begrenzt. Falls der Termin nicht passt und du Interesse an einem Austausch zu einem anderen Zeitpunkt hast, schreibe mir ebenfalls gern.
Ich freue mich auf alle, die dabei sind. Allen anderen wünsche ich eine schöne, erholsame Sommerzeit!
Bis zum nächsten Mal,
Stefan
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