Ein gutes Leben ist ein Gefühl
Es ist sieben Jahre her, als ich an einem Samstagmorgen am Frühstückstisch saß und im Deutschlandfunk die Sendung "Im Gespräch" gehört habe. Zu Gast war Petra Bock, Managementberaterin und Autorin. Es ging um ihr Buch Mindfuck (Öffnet in neuem Fenster). Ich hatte das Wort noch nie gehört und fand es erst befremdlich. Doch schon nach wenigen Sätzen merkte ich, dass das etwas mit mir zu tun hatte.
Das Gespräch handelte davon, wie uns ständige Selbstzweifel blockieren, warum wir uns nicht trauen zu tun, was wir eigentlich wollen und wie wir uns so davon abhalten zu tun, was wir eigentlich könnten. In jener Zeit, als die Sendung lief, bewarb ich mich um ein Volontariat. Ich wollte Journalist werden, seit Jahren. Doch ich zweifelte an meinen Chancen und vor allem an mir selbst. Nicht nur an meinen Fähigkeiten, sondern auch daran, wer ich war.
Die letzten Jahre hatte ich mit soziologischen Fachbüchern am Schreibtisch verbracht. Jetzt sollte ich, ein Kind aus einem Arbeiterhaushalt, in einer Branche erfolgreich sein, die nicht gerade von Rücksichtnahme und sozialen Aufstiegsgeschichten geprägt ist. Ich war unsicher, ich hatte Angst. Ich spürte einen ständigen Druck, besser werden zu müssen. In meinen Augen hielt ich dem Vergleich mit anderen nicht stand.
Mindfucks seien "die Gedanken, mit denen wir uns selber sabotieren. Gedanken, Gefühle, innere Dialoge, mit denen wir dafür sorgen, dass wir unsere Ziele nicht erreichen, dass wir uns kleiner machen, als wir eigentlich sind; dass wir uns anpassen, obwohl es uns eigentlich schadet", sagte Petra Bock im Radio. Manchmal gibt es Momente, in denen man ein Unbehagen wahrnimmt und sich gleichzeitig ganz unerwartet verstanden und aufgehoben fühlt. Das war so ein Moment, obwohl es nur eine Radiosendung war.
Ich kenne diese Zweifel heute noch. Berufliche Leistungen sind zu einem nicht unwesentlichen Teil das Ergebnis meiner Angst zu scheitern. Doch inzwischen weiß ich, dass der verbreitete Glaube, dass wir als Menschen immer weiter wachsen können, ein Irrglaube ist. Der Soziologe Andreas Reckwitz, der mir mit seinen Texten oft die Augen öffnet, schreibt in dem Aufsatz Erschöpfte Selbstverwirklichung (Öffnet in neuem Fenster), dass die Selbstverwirklichungskultur ein Generator negativer Emotionen sei. "Nicht nur auf gesamtgesellschaftlicher Ebene stößt das Modell des Wachstums mittlerweile an ökologische Grenzen, auch für das Subjekt kann man 'Grenzen des Wachstums' konstatieren", schreibt er.
Wann können wir aufhören, nach Wachstum zu streben?
Der Ausdruck "Grenzen des Wachstums" geht zurück auf den berühmten, vor wenigen Wochen 50 Jahre alt gewordenen Bericht des Club of Rome. Die Kernaussagen: Die Erde ist begrenzt, das Wirtschaftssystem beruht auf ungebremstem Wachstum. Wenn aber dieses auf der schonungslosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen basierende System nicht gebremst werde, dann "werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht", heißt es im Bericht. Es drohe der overshoot. Deshalb suche der Club of Rome nach einem Modell, das in der Lage ist, die Grundansprüche aller Menschen zu befriedigen, aber gleichzeitig auch nachhaltig ist, ohne unkontrollierbaren Niedergang der gewohnten Lebensbedingungen.
Diese Überlegungen lassen sich ohne Weiteres auf die Grenzen des individuellen Wachstums von Menschen übertragen. Wir sind es gewohnt, das Bestmögliche aus der begrenzten Zeit herauszuholen, die uns zur Verfügung steht. Das beste aller Leben zu leben. Dafür müssen wir die bestmögliche Version unserer selbst werden – und damit läuft der Generator negativer Emotionen, denn natürlich führt dieser Wachstumszwang unweigerlich zu Erschöpfung. Jede*r von uns hat eigene Grenzen des Wachstums, der Belastbarkeit, der eigenen Fähigkeiten. Wir können diese Grenzen nicht einfach verschieben, indem wir sie immer wieder überschreiten.
Unsere Zeit, unsere Aufmerksamkeit, unsere biologischen Ressourcen sind endlich. Diese Tatsache ist nicht leicht zu akzeptieren. Unser Gesellschaftssystem basiert auf Steigerung. Doch als Mensch immer weiter zu wachsen ist nicht möglich. Petra Bock, die heute eine der einflussreichsten Coaches in Deutschland ist und Menschen und Unternehmen bei tiefgreifenden Veränderungsprozessen begleitet, spricht lieber von Entfaltung: "Entfaltung ist das, was nach dem Wachstum kommt. Man kann nicht ewig wachsen, irgendwann ist man ausgewachsen, erwachsen." (Öffnet in neuem Fenster)
Wie können wir nun aber mit dem Mindfuck aufhören, erkennen, wo unsere Grenzen liegen und anfangen, sie zu verteidigen? Wie entfalten wir uns, ohne uns von Angst lähmen zu lassen? Ich habe mit Petra Bock genau darüber gesprochen.
Frau Bock, Sie haben als Historikerin die großen Systemumbrüche des 20. Jahrhunderts erforscht. Heute befinden wir uns wieder in einer Phase großer Veränderungen. Wie reagieren Menschen auf Krisensituationen, wie wir sie gerade erleben?
Viele wollen einfach schnell zurückkehren zur Tagesordnung. Andere denken nach und nutzen die Krise als Katalysator für Themen, die schon länger im Hintergrund schwelten und nun geklärt werden sollen.
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