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Ein Rezept für die Zukunft!

Wer den Teufel an die Wand malt, wird kaum Zuversicht ernten.

Von Manuel Benjamin Lehmann

Diesen Beitrag habe ich eine Woche vor den Wahlen geschrieben. Ich könnte jetzt den Untertitel zum Titel machen und den Titel streichen. Und ich denke, was ich hier beschreibe, ist auch nicht alleinige Grund für das Scheitern der Demokraten. Dass nach der Finanzkrise 2008 der Wallstreet nicht mehr Grenzen gesetzt wurden, die Fehleinschätzung, dass durch die Zuwanderung die Demokraten sowieso immer gewinnen und die fehlende Auseinandersetzung mit dem Gefühl, in Regionen abseits der grossen Zentren abgehängt zu werden. All dies dürfte einen Einfluss gehabt haben. Und trotzdem lasse ich den Artikel so, da er von einer verpassten Chance nach der Wahl von Obama handelt, die vieles hätte zum Positiven verändern können.

Der amerikanische Wahlkampf 2024 besteht hauptsächlich aus Warnungen mit fetten Ausrufezeichen! Was droht Amerika bei einem Gewinn des politischen Gegners? Die Hölle!!! Die Wirkung: Egal, wie die Wahlen ausgehen, haben immer fünfzig Prozent der Menschen das Gefühl, Amerika sei auf direktem Weg in den Untergang.

Wer den Teufel an die Wand malt, wird kaum Zuversicht ernten. Und damit will ich nicht sagen, dass gewisse dieser Warnungen nicht ihre Berechtigung haben. Politik-Wissenschaftler:innen sagen aber voraus, dass es nach diesen Wahlen noch schwieriger werden wird, in den USA die aktuellen Herausforderungen anzugehen. Negativer Wahlkampf, der auf den Gegner zielt, macht auch das eigene Regieren bei einem Sieg schwieriger.

Es gab einen Lichtblick im amerikanischen Wahlkampf. Dies war als Joe Biden aufgab und Kamala Harris übernahm. Kurz herrschte eine euphorische Stimmung, die an den Wahlkampf von Barack Obama erinnerte. Dahinter steckte vermutlich die grosse Sehnsucht, die damals durch den Slogan «Yes We Can» ausgedrückt wurde. Damit elektrisierte Obama die Massen. Daraus hätte ein Narrativ werden können, das für Ermächtigung und einen Wandel steht.  

«Change» hätte ein Narrativ des demokratischen Wahlkampfes 2024 sein können. Nach der Übernahme von Kamala Harris, zeigte sich, was möglich ist. Ich habe eine Vermutung, wieso die Demokraten auf diesem Momentum nicht aufbauten. Dazu später mehr.

Ungenutztes Potential

Erstmal noch zu Obama und zu seinem ersten Wahlkampf: Ich sehe ein bis heute nicht genutztes Potential. Obama, der gelernte Community Organizer, - eine wichtige Rolle in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, begründet von Saul Alinsky, zur Profession der Sozialen Arbeit geworden und bis heute wichtig in zivilgesellschaftlichen Organisationen - mobilisierte in seinem Wahlkampf Millionen.

Man stelle sich vor, was geworden wäre, wenn diese Bürgerbewegung im Laufe seiner Regierungszeit, hätte verstetigt werden können und sich für die Lösung vieler kleiner und grosser Probleme engagiert hätte. Dies hätte Obama als ein Ziel seiner Amtszeit herausgeben können. Entsprechende Impulse seitens der Regierung blieben aber weitgehend aus. Soziale Bewegungen wie Occupy, MeToo und Black Lives Matter profitierten zwar vermutlich von dieser Erfahrung vieler, die sich für Obama engagierten. Es blieb bei der demokratischen Wählerschaft vermutlich auch viel Enttäuschung zurück, dass auf diese hoffnungsvolle Zeit nicht mit Obama ein Wandel folgte, der die Dinge tatsächlich zum Guten wendete. Wie einfach sich diese Energie aber wieder wecken lässt, zeigten die ersten Wochen der Kandidatur von Kamala Harris. 

Mit linksprogressiven Themen, wie sie MeToo, Fridays for Future und Black Lives Matter propagieren, können rund dreissig Prozent der Gesellschaft angesprochen werden. Ich vermute, dass die Demokraten Angst haben vor zu viel Nähe vor diesen sozialen Bewegungen, weil sich allein damit noch keine Mehrheiten gewinnen lassen.

Zudem gibt es sehr heftige Gegenreflexe. Stichwort: Woke!!! Die Medien räumen diesen Gegenstimmen sehr viel Platz ein, wie verschiedene Politbeobachter:innen und Wissenschaftler:innen bemerken. Und meist den extremen und lautesten! Dies generiert für die Medien Aufmerksamkeit und Klicks. Es entsteht dann aber der subjektive Eindruck, dass diese Stimmen mindestens die Hälfte der Bevölkerung repräsentieren. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Studie zur Akzeptanz von Klimamassnahmen verweisen, auf die ich in einem Beitrag (Opens in a new window) bereits eingegangen bin.

«Change» als neues Narrativ

Es gibt einen möglichen Ausweg für diese Schwierigkeit in der Kampagnenarbeit der demokratischen Partei und linker Politik im Allgemeinen: Eine Bürgerbewegung, die auch Probleme der Mitte der Gesellschaft adressiert. Mittels partizipativer Prozesse, als Teil von Community Organizing, werden die Themen evaluiert, die den Leuten am meisten unter den Nägeln brennen. Im weiteren Prozess wird nach Lösungen gesucht. Bürgerräte machen genau dies. Dann gehen die staatlichen Institutionen auf dieser Grundlage und mit der Zustimmung der Politik, die Problemlösung an und können dabei erst noch die Menschen einbinden, die sich gerne engagieren. Damit gibt es viel Erfahrung, zum Beispiel aus der Quartier- und Stadtteilentwicklung. Einziger Nachteil für die etablierte Politik: Sie macht sich damit ein Stück weit überflüssig. Damit einhergeht ein Bedeutungs- und Machtverlust. Allerdings passiert dieser auch, wenn die Politik es über Jahrzehnte nicht schafft, gewisse Dinge anzugehen und Probleme zu lösen.

Ausserdem müssen sich die Demokraten in meinem Empfinden an das Thema Migration und Integration heran getrauen, ohne einfach rechte Rezepte zu übernehmen. Durch mehr Härte können zwar Menschen für die eigene Politik gewonnen werden. Zugleich verliert man aber auch welche. Da es links von den amerikanischen Demokraten bis heute keine relevante Alternative gibt, wenden sie sich häufig von der Politik ab. Damit einher geht Resignation, was auch negative soziale Folgen haben kann, wie erhöhte Gesundheitskosten wegen psychischen Leiden. Oder sie wählen nicht relevante Alternativen, was die Demokraten in einem Zwei-Parteien-System entscheidende Stimmen kosten kann. Ein Ausweg hier: Koalitionen ermöglichen und damit das System sprengen. Dies wird das Problem auch nicht komplett lösen, wie die Wahlen in vielen anderen Ländern zeigen, aber es würde gewisse Problematiken vermutlich teilweise entschärfen.

Wie könnte eine solche andere Migrationspolitik aussehen? Über eine «Willkommenskultur» können Freiwillige eingebunden werden. Diese begleiten Neuankömmlinge. Kanada und Australien haben zudem vorgemacht, wie sich Migration mit Punktesystemen steuern lässt. Dies schreibe ich im Wissen, dass sich damit auch nicht alle Probleme lösen lassen und es daran auch Kritik gibt. Aber um die breite Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu reduzieren, braucht es in meinem Empfinden einen starken Staat, der in der Migrationspolitik mehr steuert. Verheerend ist, wenn der Eindruck entsteht, man habe die Situation nicht mehr im Griff. Der Staat allein ist aber vermutlich tatsächlich überfordert von den aktuellen und kommenden Migrationsbewegungen. Es braucht den Einbezug der Bevölkerung und damit Freiwilligen.

Ich habe es bereits angesprochen: «Change» hätte das Narrativ der demokratischen Wahlkampagne sein können. Und diese Möglichkeit besteht weiterhin. Ausser die USA versinkt tatsächlich im Chaos. Vermutlich gibt es schon einen Kipppunkt, wo mein hier skizziertes Rezept nicht mehr greift.

Was die Menschen sich aber von der Politik wünschen, sind pragmatische Problemlöser:innen, die aber lernen müssen den Bürger:innen, die Grenzen der Macht und des Einflusses der Politik aufzuzeigen und einzugestehen. Dies wäre lange nicht möglich gewesen ohne den Verlust relevanter Wählerstimmen. Ich vermute aber, dass die letzten Jahre so schwierig waren, dass sich hier etwas verändert. Und dieses Eingestehen würde dazu führen, dass sich mehr Menschen bewusst werden, dass es uns alle braucht. Demokratie ist nicht wie Fernsehen, wo man einfach das Programm wechseln kann, wenn einem etwas nicht gefällt. Demokratie muss von den Menschen getragen werden. Wie die Forschung herausgefunden hat, winkt den Menschen Hoffnung, Zuversicht, der Erfahrung von Wirksamkeit im Handeln und ein Miteinander, wenn sie sich engagieren.

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Foto: Vlad Tchompalov (unsplash)

 

 

 

Topic Neue Narrative

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