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Ghostrunner 2 ist eine böse Überraschung! (Review)

Ghostrunner 1 überzeugte mich vor einigen Jahren auf ganzer Linie. Nun präsentiert One More Level mit Ghostrunner 2 den großen Nachfolger - und schießt leider mit vielen neuen Ideen mächtig übers Ziel hinaus.

https://youtu.be/g-VD2ZRF5xk (Opens in a new window)

Review in Textform:

Ein bisschen Hotline Miami, ein bisschen Titanfall, ganz viel treibende Elektro-Bässe und dann auch noch eine ziemlich solide Geschichte: Ghostrunner war 2020 eine der besten Überraschungen des Jahres und gemeinsam mit den starken Verkaufszahlen war schnell klar, dass ein Sequel nicht lange auf sich warten lassen würde. Ghostrunner 2 scheint auf den ersten Blick ein sehr konsequenter Nachfolger zu sein: Ein paar neue Fähigkeiten, neue Gegner, neue Level und zack, fertig ist der nächste Hit. Die polnischen Entwickler*innen von One More Level wollten aber offensichtlich mehr: Und haben Ghostrunner 2 nur so vollgepackt mit neuen Gameplay-Ideen, Charakteren, Dialogbäumen und sogar einer Heimatbasis, in die wir regelmäßig zurückkehren.

Ich habe sehr viel Respekt für den Mut, den One More Level mit dieser Entscheidung beweist. Ghostrunner machte eine Sache und machte sie fast perfekt: Dich als Cyber-Ninja abwechselnd immer herausfordernder werdende Platforming- und Kampf-Szenarien absolvieren lassen. Dank Dashes, Teleports und einer extrem hohen Grundgeschwindigkeit kombiniert mit 1-Hit-Toden und sofortigen Respawns ging die Gameplay-Fantasie völlig auf und ich fühlte mich tatsächlich vom Soundtrack angetrieben wie ein unaufhaltsamer Supersoldat, der sich mit seiner Klinge durch panisch schreiende Soldatenhorden metzelte. Auch Ghostrunner 2 erzeugt diese Erfahrung - anstatt sich komplett auf sie zu konzentrieren, ist sie jedoch nur eine von diversen tragenden Gameplay-Säulen. Das ist mutig und spannend - aber ob es Ghostrunner 2 auch zu einem besseren Spiel macht? Da bin ich mir leider nicht so sicher. 

Im Kern bleibt erstmal alles beim Alten: Als Ghostrunner Jack wallrunnen und dashen wir wild durch die Gegend und erledigen in Sekundenbruchteilen altbekannte Gegner, bevor wir in angenehm herausfordernden Platforming-Passagen die nächste Kampfarena zu erreichen versuchen. Ein verändertes Upgrade-System versucht dabei, uns mehr Möglichkeiten zu geben, die Spielerfahrung den eigenen Wünschen anzupassen, und es so auch den Leuten zugänglicher zu machen, die am ordentlichen Schwierigkeitsgrad des ersten Teils nicht so viel Spaß hatten. Skills können etwa dafür sorgen, dass das Parier-Fenster deutlich erhöht wird oder abgewehrte Schüsse automatisch zu den verantwortlichen Gegnern zurückgeschickt werden. Auch die neue Block-Funktion hilft dabei: Anstatt nur kurzzeitig parieren zu dürfen, ist Jack nun in der Lage, mit gehaltener Block-Taste auch dauerhaft Schüsse und Schläge abzuwehren. Eine sich dabei leerende Ausdaueranzeige sorgt dafür, dass wir diese neue Hilfestellung nicht zu sehr überstrapazieren dürfen. Und wer will, darf die Blockierfunktion mit dem Upgrade-System auch gleich komplett deaktivieren, um als Belohnung für das aggressive Spielverhalten sein Kombo-Meter zu verdoppeln. Jede erlangte Fähigkeit lässt sich auf ganz unterschiedliche Art modifizieren, und die unterschiedlichen Skills offenbaren sich als eine der größten und motivierendsten Stärken von Ghostrunner 2 - zwei unterschiedliche Spieler*Innen könnten die Kämpfe hier jeweils auf ebenso unterschiedliche Arten lösen.

Sie beide werden aber nicht umhinkommen, regelmäßig in die Anfangs erwähnte Heimatbasis zurückzukehren. Viele der Level in der etwa 7 bis 10 stündigen Kampagne enden damit, dass Jack zu seinen Freunden und Kameraden der “Climbers”-Gang zurückkehrt, um sie dann in mal mehr, mal weniger optionalen Bethesda-Dialogen zur aktuellen Situation auszufragen. Ich weiß nicht, ob es irgendeinen Ghostrunner-Fan da draußen gibt, der sich dachte: “Hm, das macht ja alles schon ganz schön viel Spaß hier, aber ich würde mir wünschen, die frenetische Action würde regelmäßig für 10 Minuten angehalten werden, damit ich kurz alle Nebencharaktere einmal fragen kann, wie es ihnen eigentlich geht.” Tatsächlich erzählte Ghostrunner 1 eine sehr ordentliche Sci-Fi-Story, in der mir die Charaktere teils richtig ans Herz wuchsen - und das, obwohl ich sie zu 90% nur über Anrufe als Stimme kennenlernte, während ich durch die Level hetzte. Doch genau das war das Tolle: Die Dialoge standen nie zwischen mir und dem großartigen Gameplay. Sie begleiteten es - und dass sie zusätzlich auch noch gut geschrieben waren und eine spannende Geschichte erzählten, war natürlich auch recht hilfreich.

In Ghostrunner 2 ist nun beides nicht mehr der Fall. Im Hub gibt es nichts zu tun, außer die NPCs abzulaufen und ihre Dialoge abzuarbeiten. Das allein wäre schon frustrierend genug. Was dieser Idee jedoch so richtig den Rücken bricht, ist die desaströse Qualität des Writings. Anstelle des angesichts des Settings angemessen ernsten, nüchternen Tons des ersten Teils reden nun die meisten Charaktere, als wären sie einem miesen Marvel-Film entsprungen - inklusive Jack selbst. Jeder zweite Satz muss mit einem offensichtlichen, unlustigen Witz aufgelockert werden, alle 5 Minuten wird eine völlig unpassende Referenz gedroppt, die aktiv im Widerspruch mit dem Worldbuilding des Rest des Spiels steht. In der Welt von Ghostrunner wurde die Planetenoberfläche nahezu vollständig unbewohnbar gemacht und der Hunderte Meter hohe Turm, in dem wir herum hüpfen ist das letzte Refugium der Menschheit - Zufluchtsort und Gefängnis zugleich. In dieser Postapokalypse sind die Annehmlichkeiten und Unterhaltungsprodukte unserer Zeit schon lange vergessene Relikte - und doch werden die Figuren nicht müde, Referenzen aus unserer Zeit zu droppen. Da wird der Cyber-Ninja dann gefragt, ob er denn Cosplayer sei, gerne auf LARPs geht oder ob er gerne Anime gucken würde. Alles Dinge und Begriffe, die ordentlich an der Glaubwürdigkeit von Ghostrunners Dystopie kratzen - und die Charaktere dank der mies geschriebenen, nervigen Dialoge schon bald unausstehlich werden lassen. Selten habe ich einen so katastrophalen Rückschritt vom Vorgänger zum Sequel erlebt. Die neuen Bösewichte sind eindimensional und langweilig und gefühlt jede ausgesprochene Dialogzeile sägt an dem im ersten Teil so sorgsam umsorgen Story-Baum. Ghostrunner 2 zwingt mich, mehr Zeit mit mehr Charakteren zu verbringen, die mir in schlechter geschriebenen Dialogen eine langweiligere Geschichte näher zu bringen versuchen.

Diese konzentriert sich ab der Mitte des Spiels zu wesentlichen Teilen auf die erwähnte, unbewohnbare Erdoberfläche, die in der Zwischenzeit, wie könnte es anders sein, von Mutanten-Zombies überrannt wurde. Erneut muss ich mich fragen, welche Ghostrunner-Fans sich von diesem Spiel gewünscht haben, dass sie weniger Zeit in den neonfarbenen Fluren des Sci-Fi-Turms verbringen würden und mehr im äußerst passend benannten…Ödland, wo der unglaubliche Soundtrack aus dem Turm ersetzt wird durch…naja, nichts so wirklich.

Es macht ein bisschen den Anschein, als habe One More Level eine ganze Wagenladung Ideen aber niemanden gehabt, der sie aussortiert und bewertet, bevor sie alle ins Spiel implementiert wurden. In einem Level suche ich orange leuchtende Bälle, die in der Umgebung versteckt sind, bevor ein Portal aktiviert wird. Statt also mit hoher Geschwindigkeit Parkour-Passagen zu absolvieren, stehe ich dumm in der Gegend rum und scanne meine Umgebung nach orangenen Leuchten ab. Ein gigantisches, leeres Level, das eine halboffene Spielwelt simuliert, in dem ich drei unterschiedliche Missionsziele in beliebiger Reihenfolge absolvieren darf? Klar, warum nicht! Passt das in irgendeiner Art und Weise zum perfekt gepaceten Gameplay, dass den Vorgänger so erfolgreich machte? Egal! Wir haben ja jetzt ein Motorrad!

Und das ist dann auch eine der wenigen positiven Neuerungen in Ghostrunner 2 - auch wenn es nicht ohne Probleme auskommt. In einer hervorragenden Verfolgungsjagd entkommen wir zunächst dem Turm, indem ich an Wänden entlangrase, Sprünge absolviere und mit meinem Schwert Gegner niederstrecke. Hier gelingt tatsächlich genau das, worin der Rest des Spiels so häufig versagt: Die Stärken des Vorgängers auf neue Art zu kontextualisieren und frisch erscheinen zu lassen. Zwar steuere ich das Motorrad komplett selbstständig, im Gern ist das Level aber völlig linear: Ich fahre eine vorgegebene Strecke ab, weiche Hindernisse aus und labe mich am hervorragenden Geschwindigkeitsgefühl.

Bis ich dann im Ödland ankomme. Und das Motorrad stattdessen nutze, um Kilometerlange, leere Wüstengebiete zu durchkreuzen, indem ich nichts tue, als…geradeaus zu fahren. Und an allerhand Levelgeometrie hängen zu bleiben. Und mich zu verfahren. Und wenn ich mal ohne mein Motorrad irgendwo runterfalle oder sogar sterbe und an einem anderen Punkt respawne? Tja, dann ist das Cyberbike auch gerne einfach mal weg. Ich muss hoffen, dass ich einfach irgendetwas übersehen habe und es eine mir versteckte Option gibt, das Motorrad zu sich hin zu teleportieren. Denn nachdem ich einmal in einen Abgrund sprang, der auch genauso gut ein befahrbarer Teil des Levels hätte sein können, re-spawnte ich einfach irgendwo in der Map…aber ohne mein Motorrad. Meine einzige Möglichkeit, um es wiederzufinden? Einen alten Checkpoint neu zu laden. 

Das ist alles so wahnsinnig frustrierend, weil Ghostrunner 2 nie durchgehend schlecht wird. Auch während ich das Ödland durchstreife, gilt es regelmäßige, spannende Kämpfe zu schlagen oder mit Parkour und Motorrad nicht minder spaßige Kletter-Rätsel zu lösen. Doch für alle 10 Minuten, in denen ich Spaß habe, muss ich an anderer Stelle 10 Minuten Langeweile oder Frustration durchstehen. Während ich verloren durch die Wüste fuhr um mein nächstes Missionsziel zu finden, hörte ich mir irgendwann im Hintergrund einen Podcast an- in Ghostrunner 1 wäre es für mich noch völlig undenkbar gewesen, nicht jederzeit 100% meiner Aufmerksamkeit auf das Spiel zu lenken- weil es diese auch von mir gefordert hat, sei es mit anspruchsvollen Level- und Gegnerdesigns oder spannenden Twists in der Geschichte.

Immer dann, wenn Ghostrunner 2 intelligent auf den Stärken des Vorgängers aufbaut, ist das Sequel ein echter Erfolg und macht immer wieder richtig, richtig viel Spaß. Fast jede komplett neue Idee offenbart sich aber als Fehlschuss und lenkt aktiv von genau diesen Stärken ab. Wer mehr Ghostrunner will, der bekommt es hier - muss sich dafür aber auch durch mindestens genauso viel abwechselnd frustrierende und langweilige Ablenkungen kämpfen.

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