Über Jan Marsalek, haufenweise Geheimdienste und über Parteispenden
Manchmal schließen sich die Kreise. Bis Ende Februar war ich Reporter beim Magazin „Stern“. Dort habe ich schon seit Jahren regelmäßig mit den Kollegen vom ARD-Magazin „Report München“ kooperiert – vor allem mit Philipp Grüll, vor allem bei Themen wie Rüstungsexporten. Gemeinsam haben wir zum Beispiel im vergangenen Jahr mehrfach Belege (Opens in a new window) für deutsches Kriegsgerät im Bürgerkriegsland Libyen aufgespürt. Also in einem Land, wo es nicht hingehört. UN-Embargo und so.
Jetzt bin ich nicht mehr beim „Stern“, aber arbeite wieder mit den Kollegen von „Report München“ zusammen. Mit Arne Meyer-Fünffinger und Josef Streule von „BR Recherche“ habe ich für die Sendung am heutigen Dienstag Abend (ARD 21.45 Uhr) erneut zum Thema Libyen recherchiert (Opens in a new window). Nun geht es auch um den heute flüchtigen ehemaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek.
Zu Erinnerung: Der Österreicher – der übrigens am Montag 41 Jahre alt wurde – konnte am 19. Juni über Österreich nach Minsk in Belarus fliehen, weil die Münchner Staatsanwaltschaft gegen ihn noch keinen Haftbefehl erlassen hatte. Von vielen wird er heute in Russland vermutet. Auch im BND (Opens in a new window) ging man bereits im vergangenen Sommer davon aus, vermutete ihn auf einem stark gesicherten Geheimdienstkomplex (Opens in a new window) in Balashikha östlich von Moskau.
Hier der Sitz der Militäreinheit 35690 des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in Balashikha auf einem Satellitenbild von Google Earth:
Dass Marsalek ein Fan des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist, verriet (Opens in a new window) er bereits einer Kollegin in internen Chats. Jetzt lassen sich auch mit Hilfe von Dokumenten Marsalek-Verbindungen belegen, über die die „Financial Times“ (Opens in a new window)im Juli schrieb – zu einer Zementfabrik in Libyen und zu der russischen Sicherheitsfirma RSB, die für die Zementfabrik gearbeitet hat. Alles übrigens im Ostteil des Landes. Der wird von dem von Russland unterstützten Warlord Chalifa Haftar kontrolliert.
„Die Jungs erschießen ja alle Gefangenen“
Es ist uns gelungen, erstmals Kilian Kleinschmidt zum Thema Marsalek vor die Kamera zu holen. Der bekannte Flüchtlingsexperte war im November im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages als Sachverständiger aufgetreten, aber hinter verschlossenen Türen. Seine teils brisanten Aussagen fielen weitgehend unter den Tisch – etwa über ein Treffen mit Marsalek und Aussagen des Wirecard-Managers über Söldner, die angeblich wehrlose Menschen töten. „Die Jungs erschießen ja alle Gefangenen“, soll er zu Videoaufnahmen einer Bodycam gesagt haben.
An mehreren Punkten passen Kleinschmidts Aussagen von November zu Unterlagen, die erst jetzt bekannt wurden, etwa zu einem Chat, über den ich dann im Februar für den „Stern“ (Opens in a new window) geschrieben hatte. Scheinbar ironisch sprach Marsalek da mit einer Wirecard-Mitarbeiterin über Menschen, die von „MEINEN Russen bei RSB erschossen werden“. War es vielleicht gar nicht so ironisch?
Auffällig ist auch, dass bei einem Treffen in Marsaleks damaliger Münchner Stadtvilla im Februar 2018 zwei weitere Ohrenzeugen bei der Aussage über die schießenden Söldner dabei gewesen sein sollen. Mit beiden waren wir im Kontakt, beide erinnern sich tatsächlich mit einiger Detailtiefe an das Treffen, aber ausgerechnet bei den schießenden Söldnern versagt ihr Gedächtnis. Einer der beiden wirkt bis heute als sogenannter Brigadier an herausgehobener Stelle im österreichischen Verteidigungsministerium.
Sicher reiner Zufall: Belarussische Medien (Opens in a new window) berichteten im August, dass die russische RSB Group - also die, mit der Marsalek zu tun hatte - die libysche Botschaft in Minsk (Opens in a new window) bewache. Also in der Hauptstadt von Belarus, in der Marsalek am 19. Juni mit einer Privatmaschine aus Österreich eintraf, auch dank der Hilfe eines Politikers der rechtspopulistischen FPÖ und eines österreichischen Ex-Geheimdienstlers vom dortigen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismussbekämpfung (BVT).
„Wir müssen respektiert werden! Wir sind Russen!!!“
In der RSB-Zentrale in Moskau wiederum will man - Stand heute - nie etwas mit Marsalek zu tun gehabt haben. In Libyen habe man nur Minen geräumt. Aber dann gibt es eben auch Twitter-Posts (Opens in a new window) zu Libyen-Aktivitäten, die offenbar von der russischen Firma stammen. Die Nachrichten auf Twitter erwähnen ihren angeblich raschen Ansturm (Opens in a new window) in Libyen und eigene Stützpunkte in Ost- und Westlibyen. In einem anderen Post (Opens in a new window) heißt es: „Wir müssen respektiert werden! Wir sind Russen!!!“
Der RSB-Chef Oleg Krinitsyn wiederum verkündet auf seiner LinkedIn (Opens in a new window)-Seite seine Haltung zu schwulen Männer (Überraschung: er ist dagegen) und seine Bewunderung für den amerikanischen Militärunternehmer und Trump-Unterstützer Erik Prince. Auch hier schließt sich ein Kreis: Prince, früher Gründer und Chef der berüchtigten Firma Blackwater, soll laut UN-Untersuchungen im Jahr 2019 dem aufständischen libyschen Warlord Haftar Söldner und Waffen geschickt haben. Das berichtete die New York Times im Februar. (Opens in a new window)
Und noch etwas ist auffällig: Im Juni 2020 veröffentlichten die UN einen Expertenbericht (Opens in a new window) über den Einsatz von Söldnern in Libyen. Sie erwähnten einen Vorfall im September 2019, bei dem illegale russische Kämpfer im Diensten von Haftar südlich von Tripolis fünf Zivilisten festgenommen und drei von ihnen erschossen hätten.
Ja, das war nach Marsaleks Treffen mit Kleinschmidt im Februar 2018. Es ist kein Beleg, dass Marsalek über Videos mit ähnlichen Vorfällen verfügte. Aber es ist ein Grund mehr sich zu wundern, warum sich deutsche Ermittler bisher nicht einen Deut für Kleinschmidts Informationen über Jan Marsalek interessieren. Weder die Münchner Staatsanwälte, noch BKA oder BND. Keiner, so sagt es Kleinschmidt.
Und jetzt noch ein bisschen Kollegenschelte. Die ansonsten geschätzte „Süddeutsche Zeitung“ hat sich am Samstag in einem Stück auf der Titelseite in erstaunlicher Weise verstolpert. Es ging um Masken, Provisionen und Parteispenden. Stichwort Spenden, die würden ja bei Beträgen zwischen 10 000 und 50 000 Euro erst „im Folgejahr“ publik gemacht, schrieb die SZ:
Auch bei der Parteienfinanzierung ist es bisher mit der Transparenz nicht weit her. Bei Spenden muss erst von 10 000 Euro an der Geldgeber genannt werden. Und öffentlich werden derlei Spenden immer erst im Folgejahr. Erst von 50 000 Euro an müssen Spenden sofort offengelegt werden.
(Quelle: SZ 13. März 2021)
Das war natürlich Unsinn. Und es war verharmlosend. Die Sache ist nämlich viel schlimmer. Parteispenden zwischen 10 000 und 50 000 Euro werden laut Gesetz und Praxis der Bundestagsverwaltung in Wahrheit fast immer (*siehe Anmerkung unten) erst im übernächsten Jahr publik – also mit wirklich abenteuerlicher Verspätung.
Nachdem ich das auf Twitter erwähnt hatte, änderte die SZ ihren Artikel (Opens in a new window). Öffentlich würden „derlei Spenden erst mit gut einem Jahr Verspätung“, schrieb die Zeitung nun. Und in einer Anmerkung fügte die Redaktion hinzu: "In einer früheren Version hieß es, Spenden zwischen 10 000 und 50 000 Euro würden erst im folgenden Jahr veröffentlicht. Da es manchmal allerdings noch einige Monate länger dauert, haben wir die Formulierung präzisiert.
Leider, leider war auch das wieder falsch, nur anders falsch.
Spenden über 10 000 und unter 50 000 Euro werden nicht „manchmal“ erst „einige Monate“ nach dem Folgejahr veröffentlicht. Sie werden auch nicht generell „mit gut einem Jahr Verspätung“ publik – sondern generell allerfrühestens nach über einem Jahr *. Und häufig nicht einmal nach zwei Jahren, sondern noch später. Bisher hat die Bundestagsverwaltung für 2019 jedenfalls nur die Angaben für die CDU, sowie für die Kleinparteien PARTEI, Volt und SSW bekanntgegeben. Alle Spenden zwischen 10 000 und 50 000 Euro, die im Jahr 2019 an SPD, AfD, CSU, FDP, Linke und Grüne geflossen sind, hat der Bundestag bis heute nicht veröffentlicht – also auch nicht die, die Anfang 2019 bei all diesen Parteien eingingen. Also vor über zwei Jahren.
Wer sagt das jetzt den geschätzten Kollegen der SZ?
"Deutschland fällt hinter europäische Standards zurück"
Spenden bis zu einem Betrag von 10 000 Euro werden hierzulande übrigens überhaupt nicht veröffentlicht. "Die meisten anderen europäischen Länder haben viel niedrigere Grenzwerte für die Offenlegung von Spendern festgelegt« kritisierten Prüfer des Europarats bereits im Dezember 2009 (Opens in a new window). Ja, vor über elf Jahren. Und sie fügten hinzu: Auch weil die Spenderdaten erst mit jahrelanger Verzögerung veröffentlicht würden, habe in Deutschland »die breite Öffentlichkeit keine wirkliche Möglichkeit, irgendeine Form sozialer Kontrolle auszuüben«. 2019 rügten (Opens in a new window) die Korruptionsexperten des Europarats Deutschland erneut. Unser System falle "hinter europäische Standards zurück".
Deutschland ist Substandard in Sachen Transparenz? Das kümmerte bisher fast keinen.
Haben die diversen Transparenzblockaden in der deutschen Politik vielleicht auch etwas damit zu tun, dass sich unter den Berliner Politikkorrespondenten nur wenige mit solchen schwarzbrotigen Themen beschäftigen? Statt mit dem alltäglichen Politgeschäft? Oft ist auch das wichtig, schon klar.
Ich habe aus aktuellen Anlass auch bei der Bundestagsverwaltung nachgefragt, wann denn mit all den Spendernamen und Spendensummen von SPD und Co. zu rechnen ist. Antwort eines Sprechers:
„Die Rechenschaftsberichte 2019 der Parteien, die im Bundestag vertreten sind, werden voraussichtlich vor Ostern veröffentlicht.
Die übrigen Rechenschaftsberichte nach Ostern.“
Also irgendwann Ende März kommen die Zahlen für SPD, CSU, AfD, Linke, FDP, Grüne. Und im April für die anderen, die noch fehlen. Wie gesagt, wir reden über Zahlungen, die 2019 geflossen sind.
Das ist so lange her, da war Jan Marsalek noch ein Star bei Wirecard.
* Der besonders geschätzte Kollege Martin Reyher von Abgeordnetenwatch hat mich zu Recht darauf hingewiesen, dass ich selbst Kollegenschelte verdient habe. Meine bisherige Aussage, dass "Parteispenden zwischen 10 000 und 50 000 Euro laut Gesetz und Praxis der Bundestagsverwaltung in Wahrheit immer erst im übernächsten Jahr publik" werden, ist in dieser Absolutheit falsch. Ich habe deshalb den Satz durch das Wort "fast" ergänzt. Im Jahr 2019 änderte die Bundestagsverwaltung nämlich kurzzeitig ihre Praxis und stellte die Rechenschaftsberichte für 2018 für zwei Parteien - SPD und Linke - bereits Ende 2019 online. Es dauerte also weniger als ein Jahr. Martin Reyher hat darüber Ende 2019 auch berichtet (Opens in a new window). Möglich ist das, weil die Parteien ihre Berichte bis zum 30. September des Folgejahres bei der Bundestagsverwaltung einreichen müssen, allerdings mit der Möglichkeit der Fristverlängerung. Im Jahr 2019 hatte die Verwaltung darauf verzichtet, die Reports mit den Spendenlisten vor einer Veröffentlichung erst ausführlich zu prüfen. Allerdings sieht es jetzt so aus, als sei man zur alten Praxis zurückgekehrt.