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Völkermord

Andrej Angrick hat in seinem bereits 2003 erschienen und jetzt wieder neu aufgelegten Buch „Besatzungspolitik und Massenmord" auf eindrucksvolle Weise den Weg der Einsatzgruppe D nachverfolgt und die Protagonisten porträtiert. Angrick ist damit ein grundlegendes Werk gelungen, das ein Muss für all diejenigen ist, die sich für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik in der damaligen Sowjetunion interessieren. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion nahmen auch die mobilen Mordverbände ihre Tätigkeit auf.

Die Einsatzgruppe D der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) war eine der „Sondereinheiten“ im Zweiten Weltkrieg, die an der  Vernichtungspolitik in der früheren Sowjetunion beteiligt war. Die Ukraine, die Krim und der Kaukasus waren zumeist ihre Einsatzgebiete. Mit einer Stärke von ungefähr 600 Mann war sie nach den eigenen Lageberichten an ungefähr 100 000 Morden beteiligt.

Der Völkermord war als Mittel der Politik gegen den Sowjetstaat angeordnet worden. Mit dem „Generalplan Ost“ sollte eines deutsch-germanischer „Garten Eden“, geschaffen worden. Insbesondere in der „Kornkammer Ukraine“, wo sie anfangs von vielen als „Befreier“ vom stalinistischen Joch empfangen wurden.

Obwohl einzelne Ukrainer, soweit sie als verlässlich galten, zum Aufbau der landeseigenen Verwaltung und für Hiwi-Einheiten herangezogen wurden, war eine unabhängige Ukraine nie ernsthaft angedacht. Die Zeit des Wohlwollens war allerdings spätestens beendet, als die Bandera-Bewegung Stellung gegen das Reich bezog.

Was im Buch berichtetet wird ist schwer zu verdauen, denn schonungslos werden detailliert die Pogrome der Einsatzgruppe D an der einheimischen Bevölkerung beschrieben. „Ganz normale deutsche Männer“ und ihre Helfershelfer begingen unfassbare Verbrechen. Nachdem man den größten Teil der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten ermordet hatte, begann man die Kriegsgefangenenlager nach Juden zu durchsuchen und verfolgte „Partisanen“. Man experimentierte dabei auch mit Vergasungen.

Die gesamte Einsatzgruppe setzte sich aus Personen mit sehr unterschiedlichen Biografien zusammen. Angrick stellt fest, dass die Einsatzgruppe „im Spannungsfeld ihrer kaltschnäuzigen Karrieresucht und persönlicher Wünsche, der sehr wohl ausgeprägten Struktur von Befehl und Gehorsam und der trotzdem vorhandenen Möglichkeit zur individuellen Entscheidung für oder gegen bestimmte Handlungsweisen.“ sicher kein homogener Verband war, aber trotzdem eine „erschreckend ‚homogene’, mörderische Wirkung“ hatte. Es gab sadistische Verrohungen durch das tägliche Morden, aber auch Angehörige, die die Nerven verloren und von ihren Aufgaben entbunden wurden.

Angrick resümmiert: „Bezüglich der Einsatzgruppen kann man (..) anführen, dass im Rahmen militärischer Operationen noch nie zuvor so wenige Menschen willkürlich über das Leben so vieler anderer entschieden, sie ermordet und gequält hatten.“ Die Mitglieder der Sondereinsatzkommandos seien „hauptsächlich und in erster Linie Mörder“ gewesen und verdrängten ihre möglicherweise vorhandenen Skrupel.

Nach dem Krieg begingen einzelne Mitglieder der Sondereinsatzkommandos Suizid, andere flohen ins Ausland, aber die meisten dieser „ganz normalen Männer“ führten ihr „ganz normales Leben“ in Deutschland fort. Nur wenige wurden zum Tode oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Den meisten gelang problemlos der Übergang in die bundesrepublikanische Gesellschaft, was laut Angrick „die spezifischen nationalen Erinnerungsformen und -diskurse der bundesdeutschen Gesellschaft maßgeblich prägen sollte.“

 

 

Ernst Reuß

 

 

Andrej Angrick, Besatzungspolitik und Massenmord, Die Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion 1941-1943, Hamburger Edition, Hamburg 2023, Gebunden, 798 Seiten, 35 €.

Topic Krieg/Nazis

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