Skip to main content

Kellner, Kommunist, Interbrigadist, Funktionär

Der 1902 in Köln in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Kellner Willi Engels zog 1924 nach Berlin, wurde dort gewerkschaftlich aktiv und trat in die KPD ein. Als Kellner im Café des Westens organisierte er 1929 einen Streik der Angestellten im Gaststättengewerbe rund um den Bahnhof Zoo und wurde daraufhin wegen „kommunistischer Propaganda am Arbeitsplatz“ fristlos entlassen. Betriebsräten war es gesetzlich untersagt sich parteipolitisch zu betätigen. Hilde Benjamin, die spätere Justizministerin der DDR, vertrat ihn erfolglos beim folgenden Arbeitsgerichtsprozess. Engels fand später eine Stelle als Kellner im Karl-Liebknecht-Haus, kam nach der Machtergreifung der Nazis kurzzeitig ins KZ und emigrierte danach in die Tschechoslowakei, wo er als Flüchtling überaus herzlich aufgenommen wurde. 1937 wurde er Politischer Kommissar bei den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg.

Die Vorsitzende des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand in Berlin erhielt von den Angehörigen Engels erst jetzt eine Aktentasche mit dessen Lebenserinnerungen, die der Enkel von seinem Großvater kurz vor dessen Tod 1986 bekommen hatte. Die Aktentasche enthielt einen 314-seitigen handgeschriebenen Text, sowie Fotografien und Briefe.

Das Mitte der 80er Jahre verfasste Manuskript war nicht für eine Veröffentlichung gedacht, was wegen kritischer Passagen in der DDR wohl auch so nicht möglich gewesen wäre. Es sollte lediglich für seine Enkel sein, denen er oft von seinen Erlebnissen in Spanien und in den Konzentrationslagern erzählte.

Nun ist daraus trotzdem ein Buch geworden, welches die Herausgeberin mit eigenen Recherchen aus diversen Archiven ergänzt. Während sich das recherchierte Material über das Leben von Willi Engels etwas schwerfällig liest, sind seine zum Teil abgedruckten Erinnerungen und Anekdoten sehr gut lesbar und illustrieren eine wechselhaftes und spannendes Stück Zeitgeschichte.

40 Seiten der Erinnerungen beschäftigen sich mit dem spanischen Bürgerkrieg, der nicht so ganz dem heroischen Erinnerungskult der DDR entsprach. Engels war dort zuerst bei der Militär-Zensur, deren Aufgabe es war die Post der Interbrigadisten zu kontrollieren. Man suchte Hinweise für eine Kollaboration mit der „Fünften Kolonne“. Ein Begriff für die Anhänger Francos, der dann aber auch gegenüber antistalinistischen Interbrigadisten benutzt worden war, die als „trotzkistisch“ oder „anarchistisch“ etikettiert wurden. Einen Schuss musste Engels auch später als Schleuser an der Spanisch-Französischen Grenze nicht abgeben und wurde nach Ende des Bürgerkrieges in Frankreich interniert. Ein Angebot nach Mexiko zu emigrieren nahm er nicht ernst und folgte der Partei, die ihn 1941 zurück nach Deutschland schickte, wo er stante pede wegen Hochverrats verurteilt wurde und erneut im KZ landete. Diesmal in Sachsenhausen, wo ihm im April 1945 die Flucht gelang.

Nach Ende des Krieges wurde er zunächst Mitarbeiter der Polizei. Eine angedachte Beschäftigung bei der Staatssicherheit kam - wegen der Westverwandtschaft - nicht in Betracht. Später machte er in der Zentralen Parteikommission und als Vorsitzender der SED-Parteikontrollkommission der Nationalen Volksarmee Karriere, wo er auch an den Parteiausschlüssen von Wolfgang Harich und Walter Janka beteiligt war. Erst dort stellte er angeblich fest, dass viele frühere Freunde während der Stalin-Ära in Ungnade gefallen waren.

Danach musste er gegen seinen Wunsch als Militärattaché nach Polen. Er sah das als Herabstufung an und schrieb:

„Die Hauptaufgabe eines Militärattachés zur damaligen Zeit, das heißt 1961-63, war: Empfänge geben und zu Empfängen gehen, anstoßen auf Freundschaft und belanglose Unterhaltungen führen!“

Folgerichtig daher auch seine Frühpensionierung, die er mit 60 Jahren selbst betrieb. In den folgenden Jahren wurde ihm der Karl Marx Orden und der Vaterländische Verdienst Orden verliehen. Engels geht wenig selbstkritisch mit seiner eigenen Rolle um, war aber zum Schluss enttäuscht und desillusioniert von der Entwicklung in seiner Heimat, bei der viele Funktionäre von der Macht korrumpiert wurden.

„Es gibt nicht wenige Funktionäre in unserer Partei, die vergessen haben, dass sie aus der Arbeiterklasse stammen und weder Kontakt noch Gefühl mehr dafür haben, und die sich am wohlsten fühlen, wenn sie ewige Kopfnicker und »Jasager« um sich haben. Dabei hat mich die Partei gelehrt, dass Kritik und Selbstkritik das Entwicklungsgesetz für jeden Fortschritt ist.“,

schreibt er zum Schluss.

 

 

Ernst Reuß

 

 

Willi Engels, Kellner, Koch, Kommunist, Erinnerungen, Herausgegeben von Christine Fischer-Defoy, Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Reihe B: Quellen und Zeugnisse [8], 294 Seiten, 65 Abb., Preis 19,80 €

Topic Nachkrieg

0 comments

Would you like to be the first to write a comment?
Become a member of Historisches Sachbuch and start the conversation.
Become a member