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Russia Today

Die russische Investigativ-Journalistin Jelena Kostjutschenko schrieb seit ihrem 17. Lebensjahr für die regierungskritische und unabhängige Zeitung „Nowaja Gaseta“, die seit 2022 in Russland nicht mehr erscheinen darf und lebt nun in Berlin.Würde sie nach Russland zurückreisen, würde sie höchstwahrscheinlich - so wie andere kritische Journalisten - verhaftet werden.

Für ihre Arbeit und für ihre Homosexualität wurde sie in Russland beleidigt und verprügelt, später versuchte man sie offenbar sogar zu vergiften. Ihr Buch „Das Land, das ich liebe. Wie es wirklich ist, in Russland zu leben“ kombiniert Reportagen, die Jelena Kostjutschenko für die Nowaja Gazeta geschrieben hat, mit autobiographischen Geschichten.

Es sind bewegende Berichte, die zeigen wie es wirklich ist im heutigen Russland unter Putin zu leben. Die 1987 geborene Jelena schreibt über die politische Repression und die Korruption in ihrem Heimatland. Sie berichtete über Menschen, die von der russischen Regierung zunehmend brutal an den Rand gedrängt werden. Es ist ein bezeichnendes Bild ihres Heimatlandes, das sich zu einem autoritären, homophoben Staat entwickelte. Kostjutschenko berichtet über obdachlose Kinder, besucht zwölf Jahre nach der Geiselnahme die Stadt Beslan, begleitet eine 24-Stunden-Schicht in einem Moskauer Polizeirevier und verschafft sich Zutritt zu einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten geschlossenen Heim für psychisch Kranke. Sie berichtet von der Annexion der Krim, dem Krieg im Donbass und aus dem belagerten ukrainischen Mykolajiw.

Kostjutschenko schreibt in ihrem Buch aber auch über Kindheitserinnerungen und Gespräche mit ihrer Mutter. Putins Propaganda erschüttert das Verhältnis der beiden. Ihre Mutter glaubt fest daran was sie im russischen Fernsehen sieht. Das was ihre Tochter sagt und schreibt glaubt sie nicht, nennt sie gar Verräterin. Trotzdem haben sie weiterhin ein liebevolles Verhältnis und ihre Mutter besuchte sie in Berlin.

Jelena Kostjutschenko schreibt auch über ihre Bewunderung für die ermordete Kollegin Anna Politkowskaja. Sie ist nicht die einzige ermordete Journalistin der inzwischen verbotenen Nowaja Gazeta. In einem besonders erschütternden Kapitel beschreibt sie die toten Kollegen und Kolleginnen.

Die Artikel und persönlichen Geschichten habe sie deswegen ausgewählt, weil sie verstehen wollte wie Russland faschistisch werden konnte. Sie schreibt: „Meine Freundin sitzt mit dem Smartphone aufrecht im Bett. Ich kann ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. ‚Warum schläfst du nicht?‘ ‚Kyjiw wird bombardiert.‘ ‚Was?‘ ‚Kyjiw und andere ukrainische Großstädte werden bombardiert.“ ‚Von uns?‘ ‚Ja.‘ Ich schlafe noch zwei Stunden und fahre in die Redaktion. Sie fragen mich. Bist du bereit? Natürlich bin ich bereit. In Wirklichkeit kann man nicht darauf vorbereitet sein, das wir die Faschisten sind. Ich war kein bisschen darauf vorbereitet.“

 

 

Ernst Reuß

 

 

Jelena Kostjutschenko: Das Land, das ich liebe, Penguin Verlag, München 2023, Übersetzt von Maria Rajer, 416 Seiten, 26 Euro.

Topic Sonstiges

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