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Alte, gefährliche Thesen

Die Fotos auf dem Buchtitel – »Kinder beim Schneeräumen « und »Verkündung neuer Verhaltensregeln durch einen Angehörigen der Wehrmacht« – zeigen keine Kriegsgräuel, sondern Wehrmachtssoldaten, die in den okkupierten Gebieten der Sowjetunion für Recht und Ordnung sorgen. Sie sollen wohl die These des Autors untermalen, dass die erbarmungslose Besatzungspolitik lediglich das Resultat einer »kontinuierlichen Radikalisierung« war.

Klaus Jochen Arnold behauptet, dass die brutale Okkupation nicht »das Ergebnis ideologischer oder systematischer Vernichtungspläne« gewesen sei. Da zitiert er zwar NS-Ernährungsminister Backe, der schon vor dem Überfall eine rigorose Ausplünderung gefordert und gemeint hatte, dass der Hungertod von »zig Millionen« Menschen in Kauf genommen werden müsse, behauptet jedoch, dass die Wehrmacht wahrscheinlich von solchen Gedankengängen nicht unterrichtet war und es sich dabei »lediglich« um radikale Konzepte, aber um keinen allgemein verbindlichen Hungerplan gehandelt habe. Für die »Radikalisierung« der NS-Besatzungspolitik seien »die unerwartete Entwicklung der militärischen Operationen, die sich verschlechternde Nachschub- und Transportlage, die sowjetische Politik der ›Verbrannten Erde‹, die Entfesselung eines Partisanenkrieges im Rücken der Front, die Härte der Kämpfe sowie die Verschärfung des Klimas durch Verbrechen und Propaganda wesentlich « gewesen.

Immerhin gesteht der Autor, dass die Wehrmacht durch ihre Unterstützung den Mord an den Juden möglich gemacht habe, spricht jedoch von einem »Sachzwang«, der der »kontinuierlichen Radikalisierung« geschuldet gewesen sei. Und es habe in diesem Krieg allein der »systematische Massenmord an der jüdischen Bevölkerung letztlich außerhalb ›konventioneller‹ Maßstäbe« gestanden.

Solche verharmlosenden Ansichten hat man schon gehört. Polemisch verkürzt lautet die Botschaft: Die Sowjets selbst sind schuld, dass sie so viele Opfer erlitten, da sie sich gegen den Einmarsch wehrten und der »Blitzkrieg« somit keinen Erfolg hatte. Ansonsten wäre es der Bevölkerung – bis auf die Juden – gut ergangen. Arnold datiert die beginnende Radikalisierung auf Oktober 1941. Gleichzeitig schreibt er von bereits Ende Juli 1941 stattfindenden Massakern an der jüdischen Bevölkerung, von Besprechungen der Wirtschaftsdienststellen, die darauf hinaus liefen, die einheimische Bevölkerung verhungern zu lassen, und von Plünderungen durch Wehrmachtssoldaten. Seine Thesen werden durch die von ihm selbst gebotenen reichen Fakten nicht gestützt. Und Fakt bleibt: Deutsche »Herrenmenschen «, in welcher Funktion und Uniform auch immer, haben vor mehr als 65 Jahren unermessliches Leid über die Menschen in der Sowjetunion gebracht.

 

Ernst Reuß

 

Klaus Jochen Arnold: Die Wehrmacht und die Besatzungspolitik in den besetzten Gebieten der Sowjetunion; Kriegführung und Radikalisierung im »Unternehmen Barbarossa «. Duncker & Humblot, Berlin 2004. 579 S., geb., 48,80 €.

Topic Krieg/Nazis

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