Coming out Nr. 6, oder: Hallo, mein Name ist Tadzio, und ich bin klima-depressiv
“Every (depressed climate realist) must come out. As difficult as it is, you must tell your immediate family. You must tell your relatives. You must tell your friends if indeed they are your friends. You must tell the people you work with. You must tell the people in the stores you shop in. Once they realize that we are indeed everywhere, every myth, every lie will be destroyed. And once you do, you will feel so much better.” - Frei nach Harvey Milk
Sara Schurmann, Klimajournalistin und Autorin des äußerst empfehlenswerten Buches Klartext Klima (Opens in a new window), twitterte kürzlich diese ehrlichen und traurigen Zeilen (Opens in a new window):
„Vor 2 Jahren wurde mir bewusst, was die Klimakatastrophe bedeutet, und wie nah wir am ökologischen Zusammenbruch sind. Seitdem fühle ich mich wie in einem Alptraum: Ich schreie, dass die Leute kommen und mir helfen sollen - aber sie verstehen nicht, was ich meine. Oder sie glauben mir nicht.“
Ihre Worte wurden von vielen reteweetet, kommentiert, aufgenommen, weil: so richtig ehrlich gehen wir nur selten damit um, was es eigentlich mit uns anstellt, mitten in der Realität der Klimakatastrophe zu leben, und sich – im Gegensatz zur Mehrheits- oder auch Verdrängungsgesellschaft (Opens in a new window) – dieser Tatsache vollständig und dauerhaft bewusst zu sein. Diese große Resonanz wiederum zeigt, dass wir alle, die wissen, wie tief wir in der Scheiße sind, es Ihr gleichtun sollten. So eine Art Klima-Realo (Opens in a new window)-Coming-Out: Hallo, mein Name ist Tadzio, und ich bin ziemlich sicher, dass ich tief in einer Klimadepression stecke.
Ich bin zwar schon seit 2007 Klimaaktivist, habe 2008 das Klima- und Antirassistische Camp in Hamburg mitorganisiert, und gleichzeitig an der Hochschule Kassel einen einjährigen Kurs zur Klimakrise unterrichtet. Auch wenn ich mich dem Klimathema zuerst mit dem strategischen Blick (Opens in a new window) eines an “Ökothemen” nicht wirklich interessierten Antikapitalisten näherte, wurde mir das reale Ausmaß der Bedrohung schrittweise immer klarer, weil ich viel mit globalen Klimagerechtigkeitsbewegungen zu tun hatte: wer mit Genoss*innen aus den Philippinen oder Bolivien zusammenarbeitet, dem wird schnell klar – das hier ist kein Zukunfts-, es ist ein Jetzt-Problem.
Aber: als Geschichtenerzähler, als “magischer Realis (Opens in a new window)t” der Klimabewegung war es ja meine Aufgabe, hoffnungsvolle Geschichten zu erzählen, in denen die dea ex machina "Bewegung" irgendwann in der Lage wäre, doch noch die fundamentale Wendung hin zu einer klimagerechten Welt ohne Klimakollaps zu schaffen. Dumm nur, dass auch meine Göttin, wie alle anderen Gottheiten auch, eine Einbildung war, eine Überhöhung der realen transformatorischen Kraft eines relativ versprengten Haufen radikaler Klimaaktivist*innen.
Wann wurde mir eigentlich klar, dass es doch schon viel zu spät war, um den Klimakollaps abzuwenden? Ich glaube, es war im Frühjahr 2018, als es Ende April in ganz Berlin nach Waldbrand roch. Waldbrände in Nordeuropa im Frühling? Da wurde mir klar, dass die Eskalation der Klimakriseneffekte derartig schnell verlief, dass wir uns schon im Klimakollaps befinden mussten, dass der Makrokipppunkt des Klimasystems schon überschritten war; dass wir uns mit Riesenschritten auf eine unlebbare Welt (Opens in a new window) zubewegten.
Seitdem wurde die anti-Kohle-Bewegung, der ich im Grunde mein gesamtes erwachsenes Leben gewidmet hatte, von Team Kohle in der “Kohlekommission” vernichtend geschlagen; wurde auch mein nächster Messias, Fridays For Future, durch eine Mischung aus Ignoranz, Umarmung und eigener Mutlosigkeit besiegt.
Seitdem habe ich meinen Job verloren, nicht nur, aber auch, weil meine Klimaagitation der linksparteinahen Rosa Luxemburg Stiftung einfach zu laut & insistent wurde (vor allem dem angeblich linken, aber in fact natürlich dem deutschen Autokapital dienenden Gewerkschaftsflügel). Seitdem hat mein 1. Freund, seitdem ich ein schwules Leben lebe eigentlich mein wichtigstes Familienmitglied, mit mir gebrochen, weil er die Radikalität meiner Kritiken an einer Normalität, in und von der er durchaus gut lebt, nicht mehr ertragen konnte. Seitdem habe ich immer weniger, mittlerweile de facto fast gar keine, Beziehung mehr zu meiner "Blutsfamilie", denn auch dort (in einer politisch mittigen Bürgers- und Großbürgersfamilie) kann man es kaum noch ertragen können, ständig meine Klimarants und Angriffe auf den “Normalwahnsinn” hören zu müssen, oder alternativ, weil ich deren blasierte Ignoranz der Realität, die mir so offensichtlich ist, einfach nicht mehr aushalten kann.
Seitdem bin ich eine politische Depression gestürzt, die mich wiederum in eine 2 Jahre andauernde missbräuchliche Beziehung geführt hat. Einerseits, damit ich in der verliebten Unterwerfung unter, und dem eine zeitlang fast permanenten Drogenrausch mit einem relativ unpolitischen Liberalen die Klimakrise vergessen konnte; andererseits, weil mein "Scheitern" im Kampf gegen die Kohle und den deutschen Autokapitalismus, weil meine Unfähigkeit, die Klimakrise abzuwenden ja bedeutete, dass ich es nicht mehr verdiente, geliebt und gut behandelt zu werden (in meiner leistungsfaschistischen Familie wird nur geliebt, wer maximale Höchstleistung erbringt - eine Stufe drunter wird schon mit Miss- oder gar Verachtung gestraft).
In other words, ich habe mich also beinahe zur drogen- und emotional abhängigen missbrauchten “mistress” degradieren lassen, weil sich das immer noch besser anfühlte, als sich mit dieser Scheißwelt auseinanderzusetzen, die nie mehr fundamental besser sein würde, sondern at best nur langsamer schlechter werden würde. I remember moments with my ex, the bad man, wo ich ihn anbettelte, mich so fertig zu machen, so auf Drogen zu setzen, dass ich nie mehr eine Zeitung lesen oder Nachrichten schauen würde - denn manchmal heule ich jeden morgen und jeden abend, wenn ich wieder lese, höre und sehe, wie schnell die Welt in den Abgrund rast.
Wenn ich zur Zeit Menschen treffe - ob ich sie schon kenne, oder nicht, ist egal - ist eine meiner ersten Fragen meistens "was glaubst Du, wie viele 'gute' Jahre haben wir noch?", und die Antworten variieren von "denk ich nich drüber nach", über 5-10, bis zu 10-15 Jahren. Der größte Cluster von Antworten liegt dabei in der Mitte, sprich, die meisten Menschen, die über das Problem nachdenken, und mit denen ich darüber rede, glauben also, dass wir noch maximal “10 gute Jahre” haben werden. Und trotzdem läuft jeden Tag das normale, sprich, normalwahnsinnige Leben einfach weiter.
Manchmal fühle ich mich wie ein Soldat mit PTSD, der nach einem Krieg nach hause kommt, und nicht verstehen kann, wie die Menschen um ihn herum einfach so weitermachen, als würde nichts passieren, als würde nicht die Welt um sie herum kollabieren. Also schreibe ich Texte für meinen Newsletter, in denen ich meine Verzweiflung herausschreie; schreie auf Twitter herum; rede mit der Presse, versuche, Bücher zu schreiben & aktivistische Gruppen zu supporten, neuerdings gehe ich sogar wieder auf Demos & Aktionen, nachdem die mich eine zeitlang echt zu sehr deprimiert haben.
Trotzdem wird die Welt jeden Tag ein Stück dunkler. Jeder vertrocknete Grashalm ist ein Menetekel, jeder Schweißtropfen, der mir schon morgens um halb 9 über die Stirn läuft eine Erinnerung an die Katastrophe, die nicht kommt, sondern schon da ist. Wenn ich mit meiner von Hollywoodliebesmythen kolonisierten Vorstellungswelt an eine Beziehung mit einem unmöglich perfekten Mann denke, denke ich nicht mehr an einen gemeinsamen Lebensabend,sondern daran, jetzt noch aus den nächsten 5-10 Jahren die maximale Lebensfreude herauszuziehen, & dann vielleicht einfach gemeinsam den Abgang zu machen. Why live to be 70 in a hellscape?
Climate anxiety is ruining my emotional life, my professional life, destroying my financial security, adding hugely to my drug consumption, changing the way i look at the sky, the sun, the rain, & wer all dies nicht versteht, mit dem oder der kann ich nicht wirklich reden.
Die Klimakatastrophe wird mein Leben nicht zerstören. In a very real sense, it already has, weil die Kapazität, unbändige Freude und Hoffnung zu empfinden, die mein Leben seit mindestens 2 Jahrzehnten ausgemacht hat, mittlerweile beinahe verschwunden ist.
Ist das Klimadepression? Oder bloß Klima-Realismus? Wie erlebt Ihr das? Und wenn Ihr es auch nur ein Bisschen so erlebt, wie ich das tue, wie es Sara Schurmann tut – dann kommt aus dem Closet. Gesellt Euch zu uns, Ihr werdet sehen: es tut weh, aber dann tut es gut.
Come out. Because we're right. Also, because we have cookies.
Euer Tadzio