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“DiE lOBbiEs SinD SCHu!d” vs. “Verdrängung”: Warum schützen wir das Klima nicht?

Source: ideogram.ai (Opens in a new window).

27.03.2025



Liebe Leute,

gestern, am Dienstag den 25.3.2025 hat die neue Blackrot-Koalition (h/t Ricarda Lang) ihre Diskussionen über ihre Klimaschutzpläne abgeschlossen, und was dabei rausgekommen ist, ist... naja: ich sag ja schon lange, Klimaschutz isch over, der Koalitionsvertrag ist da nur ein weiterer Datenpunkt, der die These bestätigt. Klar bekennen die sich “prinzipiell zu den Klimazielen (Opens in a new window)”, aber dass zwischen Klimazielen und tatsächlichem Klimaschutz kein empirischer Zusammenhang besteht, sollte spätestens seit dem Paris Agreement klar sein.

That headline again: mitten im Klimakollaps scheißt Deutschland auf den Klimaschutz, und zwar – mit Ausnahme ein paar sinnentleerter Aussagen über den Emissionshandel, dessen Preis natürlich nie so hoch sein darf, dass irgendjemand in Deutschland dadurch schlechter gestellt würde, also auch nie so hoch, dass er irgendeine ökologische Lenkungswirkung entfalten würde – wirklich vollständig. Was uns mal wieder zur Frage bringt, mit der ich vor drei Jahren zur These von der Verdrängungsgesellschaft (Opens in a new window) kam: warum verdammt nochmal macht Deutschland keinen Klimaschutz, warum baut es zwar durchaus erneuerbare Energien aus, aber gleichzeitig halt auch fossile Infrastrukturen, vor allem natürlich das neue Flüssiggasnetzwerk? Warum wenden wir uns vom Klimaschutz genau in dem Moment ab, wo die Klimakatastrophe sich mit einer Wucht aufdrängt, die sogar manche von uns doomers überrascht?

Gewagte Thesen

Ihr wisst vielleicht, was meine Erklärung dafür ist: wir machen keinen relevanten Klimaschutz, erstens, weil er viel zu teuer und anstrengend wäre, weshalb wir zwar seit über 40 Jahren darüber reden, aber trotzdem immer weiter fossile Brennstoffe verfeuern – unsere gesamte Produktions- und Lebensweise, unser relativer globaler Reichtum, all das basiert auf Aktivitäten, die das Klima zerstören; und zweitens, weil die Beschäftigung mit dem Klimathema allerlei negative Gefühle aufruft, die wir gerne vermeiden. Angst vor einer Zukunft im Klima- und Gesellschaftskollaps; Schuld ob unserer kollektiven Verantwortung für die Zerstörung der Welt (also irgendwie schon den größten Fuckup aller Zeiten); und Scham, weil wir ja seit Jahrzehnten versprechen, den Fuckup zu bearbeiten, es aber nie tun, sondern das Problem stattdessen immer weiter verschärfen. Deswegen gibt es keinen Klimaschutz: wir als Gesellschaft wollen den nicht (Opens in a new window), und dafür gibt es verdammt nochmal sehr gute (im Sinne von “nachvollziehbare”) Gründe.

Aber das ist nicht die Erklärung für den andauernden Nichtklimaschutz, die vom Mainstream des grünen/Klimafeldes gegeben wird, also von den Grünen über das PiK bis zu den Fridays, von Stöcker über Rahmstorf bis zu Göpel. Die Analysen dieser Akteure unterscheiden sich natürlich im Detail, aber ihren Kern fasste Stefan Rahmstorf (Opens in a new window) kürzlich gut zusammen: “Wir haben die Lösungen - aber was uns aufhält, sind die Desinformationskampagnen und die Lobbymacht der fossilen Brennstoffindustrie”.

Um das nochmal etwas genauer aufzudröseln: Rahmstorf stellt hier gleich mehrere sehr gewagte Thesen auf.

Erstens geht er davon aus, dass “wir”, das auch von mir in den Fokus der Analyse gestellte “Kollektivsubjekt Deutschland” (in spätimperialen Beutegemeinschaften wie der deutschen überwiegt in derartigen Fragen die räuberische Kollektivität den intragesellschaftlichen Klassenkampf), auf Klimaschutz Lust hat, diesen tatsächlich machen will, denn er schreibt “Wir haben die Lösungen”, was impliziert, dass wir gemeinsam ein Problem identifiziert haben, und dieses lösen wollen. Nungut, den gesteh ich ihm zu: die Menschen wollen mehrheitlich das Klima schützen, aber es wäre wohl wichtig, hinzuzufügen, “und zwar auf eine Art und Weise, die uns nichts kostet, die nichts grundlegendes verändert, und die uns vor allem auf keine Art und Weise überfordert, denn wir sind ja alle schon so wahnsinnig überfordert, da geht einfach nicht mehr.”

Haben wir wirklich “die Lösungen”?

Was uns zu seiner zweiten These bringt: dass “wir” sie haben, “die Lösungen”. Er unterstellt, dass es technisch und politisch machbare Lösungen für das Klimaproblem gibt, solche, die gleichzeitig die radikalen Emissionsreduktionen produzieren, die dafür notwendig sind, um eine katastrophale, selbstverstärkende und irreversible Erwärmungsdynamik zu verhindern, und die weltweit auch gesellschaftlich um- und durchsetzbar sind.

Und an diesem Punkt muss ich doch etwas schärfer widersprechen: nein, lieber Stefan, es gibt diese Lösungen nicht, wir haben sie nicht, nicht in dieser Timeline. Natürlich kann ich ein Szenario errechnen, in dem Emissionen sofort auf Null runtergefahren, wir dann noch einen erheblichen Anteil des jetzigen Emissionsmülls aus der Atmosphäre saugen, und in dem wir also irgendwie noch unter 2 Grad Erwärmung bleiben. Aber ein derartiges technisches Szenario wäre gesellschaftlich nirgendwo auf der Welt umsetzbar, würde es doch im Grunde ein sofortiges weitgehendes Herunterfahren der Weltwirtschaft bedeuten, und das würde vermutlich in jedem Land der Welt sofort massive gesellschaftliche Konflikte auslösen. Ich kann im Gegenzug auch ein politisches Szenario entwickeln, in dem die Weltgesellschaft in 30 – 50 Jahren tatsächlich den fossilen Wachstumskapitalismus überwunden hat (sure, it would be far-fetched, but hey), aber das wäre dann halt viel zu spät fürs Klima, also im o.g. “technischen” Sinne.

Rahmstorfs Statement “wir haben die Lösungen” macht nur dann Sinn, wenn man einerseits versteht, dass er damit rein und ausschließlich technologische Lösungen meint (in etwa: “wir können fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien ersetzen”), und völlig ignoriert, was im Fall ihrer Implementation gesellschaftlich geschehen würde; und andererseits, dass der Satz nunmal einfach Verdrängung ist, und als solches sein genaues Gegenteil bedeutet: er ist die verzweifelte Inversion des verdrängten Wissens, dass es eben keine Lösung mehr gibt. Deswegen muss das Gegenteil immer lauter herausgeschrien werden.

Nein, “wir” haben nicht “die Lösung”, vor allem dann nicht, wenn “die Lösung” etwas meint, das auch nur eine winzige Chance gesellschaftlicher Umsetzung und “Akzeptanz” haben sollte.

Und wer ist eigentlich Schuld?

Diese zwei Annahmen – wir wollen mehrheitlich Klimaschutz, sind dafür auch bereit, erhebliche Anstrengungen auf uns zu nehmen; und es gibt sowohl politisch wie technisch durchsetzbare “Lösungen”, die ein Vermeiden des Klimakollaps noch möglich machen – sind für die grüne Mitte (um jetzt mal weg zu kommen von Rahmstorf) extrem wichtig, denn wenn man sie mit einer dritten gewagten These kombiniert, ergeben sie das, was die Mitte derzeit mehr will, als alles andere: die Absolution für das Ende der Welt (Opens in a new window). Denn wenn es primär die Macht der fossilen Industrien ist, verstanden nicht als tatsächlicher wirtschaftlicher Sektor (mit Arbeiter*innen und Eigentümer*innen, mit Vorfeldorganisationen, mit gesellschaftlichem Standing, mit nem Steueraufkommen), sondern verstanden als “Lobby”, die dafür verantwortlich ist, dass es keinen Klimaschutz gibt, dann sind nicht “wir”, dann ist nicht “die Gesellschaft” schuld. Dann ist ein außerhalb der Gesellschaft stehender Akteur schuld, der mit seinen bösen Partikularinteressen die Entstehung und Umsetzung eines kollektiv-rationalen volonté générale verhindert, und gleichzeitig über dubiose Machenschaften (“Desinformationskampagnen”) dem ansonsten immer rational und ethisch handelnden Kollektivsubjekt Deutschland gleichsam “von außen” böse Gedanken und Ideen eintrichtert.

Andersrum: gäbe es keine Lobbies, und gäbe es nur “Qualitäts-” anstatt “sozialer Medien”, dann würde Deutschland, dann würden alle Gesellschaften überall auf der Welt richtig entscheiden, das Klima zu schützen. Das zumindest ist das, was Rahmstorf und all diejenigen unterstellen, die in ihren Erklärungen für unseren Nichtklimaschutz immer wieder auf “die Lobbies” verweisen.

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Viel mehr als nur Lobby

To be sure, ich will hier nicht die Macht “der Lobbies” kleinreden, schon gar nicht fossiler Lobbies. Aber es ist ein bisschen albern, zu glauben, man könne staatstragende Wirtschaftssektoren wie den deutschen Autosektor, oder den britischen Finanzsektor, oder auch die Energiewirtschaft in allen Ländern, mit denen ich mich ein bisschen auskenne, mit simplen Begriffen wie “Lobby” fassen.

Zum Beispiel der deutsche Autosektor: ist die IG Metall Teil der “fossilen Autolobby”, weil ihre Position ist (dies mit sehr aktiver Zustimmung der Mitglieder), soweit es geht jeden existierenden Arbeitsplatz so zu verteidigen, wie er ist? Sind die Millionen Arbeiter*innen in der Autoindustrie Teil der “Autolobby”? Sind die vielen Autofahrer*innen Teil der Autolobby, oder sind Kommunen Teil der Autolobby, die mit Parkplätzen Geld verdienen, oder am Steueraufkommen einer Autoteilzulieferfirma hängen? Sind all die Autofahrer*innen Teil der fossilen Lobby, die bei den Autobahnblockaden der Letzten Generation fast zu Mörder*innen wurden? Nein, ein großer wirtschaftlicher Sektor ist nicht, wie der Gedanke der “Lobby” impliziert, irgendwo über und neben der Gesellschaft, er ist ein organischer Teil von ihr (bei Marxist*innen gibt's diesen Denkfehler übrigens auch: wir schimpfen gerne auf's Kapital, und lassen dabei allzu oft außer acht, dass ohne Arbeit kein Kapital, dass es Kapital und Arbeit zusammen im Kapitalverhältnis sind, die die Erde zerstören, nicht das fossile Kapital alleine).

Deutschland hat so starke fossile Lobbies, weil Deutschland ein zutiefst fossilkapitalistisches Land ist, von oben bis unten, von links bis rechts. Die Lobbies stehen nicht außerhalb der fossilkapitalistischen Gesellschaft, sie sind organischer Teil derselben. Es ist also nicht (nur oder auch nur primär) die “Macht der Lobbies”, die dem Klimaschutzprojekt gegenübersteht, es ist die Macht des fossilen Kapitalismus, und die durchfließt und strukturiert auch unsere Leben, ist Teil dessen, was es uns ermöglicht, einfach mal den schnell in einen Urlaub nach Kanada, Thailand oder Teneriffa zu fliegen. Auch wir sind der fossile Kapitalismus, egal, wie wenig die Mitte/die Gesellschaft das wahrhaben will, denn sie hat ja verstanden, dass der fossile Kapitalismus irgendwie nicht so richtig gut ist.

Und wie war das mit der “Desinformation”?

Was mich zum letzten Punkt bringt, den mit der “Desinformation”. Klar gibt es Desinformation, genau so, wie es fossile Lobbies gibt. Aber die trägt nicht den Hauptanteil der kausalen Verantwortung dafür, dass Menschen sich gegen Klimaschutz entscheiden: wie oben schon beschrieben entscheiden sich Menschen im globalen Norden aus offensichtlichen ökonomischen und weniger offensichtlichen psychologischen Gründen gegen effektiven Klimaschutz, egal, wie oft sie gefragt werden. Aber das darf ja nicht sein, denkt sich der linksgrüne Mensch, “die Massen” wollen ja im Grunde gutes, sonst bräuchten wir ja mehr als nur “Demokratie”, um sie zu ökologisch rationalen Entscheidungen zu bringen, sonst bräuchten wir tatsächlich eine “Ökodiktatur”, um das Klima zu schützen. Wenn die Menschen im globalen Norden sich nämlich aus eigenem Antrieb immer wieder gegen den Klimaschutz entscheiden, dann ist das Projekt Klimaschutz gescheitert, und Scheitern eingestehen ist äh-bäh.

Also stellen viele Linksgrünen und Grünmittige sich derzeit in die schlechte Tradition derjenigen Linken, die in totaler Verkennung der realen Situation der von ihnen angerufenen “Massen” nicht verstehen konnten, wieso, weshalb, warum diese sich immer wieder mehrheitlich gegen die Revolution, und für den Klassenkompromiss entschieden. Die Massen entschieden sich in den angehenden “Sozialstaaten” des globalen Nordens immer wieder gegen die Revolution, weil sie schlussendlich immer zunehmend mehr zu verlieren hatten, als nur ihre Ketten. Die Massen entschieden sich gegen die Revolution, weil der fossile Massenproduktionskapitalismus der Nachkriegszeit die effektivste Maschine zur Produktion von Massenloyalität (Opens in a new window) ist, die die Welt je gesehen hat.

Manche vulgären (und manche weniger vulgären) Marxist*innen sprechen da gerne vom “falschen Bewusstsein”, eine These, die in der Sozialwissenschaft mittlerweile ausgelacht wird, die aber im linken Bewusstsein dafür um so mehr staying power hat: sie erlaubt es nämlich den arbeiteristischen Linken, ihren Messias nicht in frage zu stellen. Klar, die Arbeiter*innen werden, wie die Gesellschaft von den Linksgrünen, in dieser Analyse vollkommen infantilisiert, sind sie doch nicht in der Lage, ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen wahrzunehmen, lassen sich einfach so von (lebens)feindlicher Propaganda verblöden. Aber so fühlt sich's halt besser an.

Das ist der Grund für die These von der extremen kausalen Wirkmächtigkeit der “Lobbies” und ihrer “Desinformation”: sie erlaubt es denjenigen Linksgrünen und Mittökos, die noch nicht unser Scheitern akzeptiert haben, weiterhin zu glauben, dass es einen magischen Hebel gibt, den sie umlegen müssen, damit doch noch alles gut wird: nur die Lobbies stoppen. Nur Musk X wegnehmen, nur Tiktok regulieren. Nur “echte Demokratie” (whatever that means) einführen, dann entscheiden alle richtig. Das ist natürlich Quatsch, fühlt sich aber netter an, als zu akzeptieren, dass sich unsere Gesellschaft mehrheitlich dafür entschieden hat, weiter Arschloch zu sein, anstatt die Versprechen einzuhalten, mit denen wir uns aus dem Schuldmorast der Nazizeit befreien wollten.

Schlussgedanken

Am Ende ist dieses “die fossilen Lobbies sind dran schuld!” auch nur eine Variante der fetistischen Psychologie, die alle möglichen Probleme nimmt, und sie auf einen dem Volk (oder halt “der Klasse”, oder “der Zivilgesellschaft”, oder, oder, oder) außenstehenden Akteur projiziert. Klar, bei den Rechten heißt's dann “auf sie mit Gebrüll”, während wir lieber erst nochmal nen kritischen Tweet schreiben, aber die Funktion ist die selbe: nicht WIR sind schuld, sondern DIE, wer auch immer DIE sein mögen, sie sind schlecht, und sie sind nicht wir. Und weil DIE schuld sind und nicht WIR, können wir irgendwie doch auch wieder hinchillen, und unser Leben genießen.

Mit ökofreudomarxistischen Grüßen,

Euer Tadzio

p.s.: ein kleiner Hinweis: in den letzten Tagen und Wochen sind mehrere Jahresmitgliedschaften ausgelaufen. Das war vermutlich der Plan, aber für den Fall, dass es Euch nicht aufgefallen ist, und Ihr mich weiter unterstützen wollt, checkt doch nochmal nach. Danke :)

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