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Der weibliche Makel

Frauen und Schönheit: Es ist kompliziert (und scheiße)

Ich war dreizehn, als ich meine ersten Schwangerschaftsstreifen bekam. Eines schönen Sommertages stand ich auf dem Balkon, meine Mutter betrachtete mich von der Seite und sagte: "Sag mal, sind das Schwangerschaftsstreifen? Du bist doch erst dreizehn!"

Etwas später, Sportunterricht, ich trug Hotpants: Einige Mädchen saßen nach den Übungen auf dem Sportplatz im Gras und plötzlich zeigte eine direkt zwischen meine Beine und sagte: "Iih, man sieht ja deine Schamhaare!" Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nie über meine Körperbehaarung nachgedacht und mich auch nicht rasiert – nirgendwo.

(Natürlich war es ungünstig, dass meine Mutter mich auf etwas aufmerksam machte, das mir selbst vorher noch gar nicht aufgefallen war. Aber generell hat meine Mutter meinen Körper nicht ständig kommentiert, das ist mir wichtig zu betonen.)

Mit diese beiden Äußerungen begann dennoch der Weg meiner kritischen Selbstwahrnehmung.

Die kritische Selbstwahrnehmung

Gewicht war für mich weniger ein Thema; ich war lange ein ziemlicher Spargel, meine weiblichen Rundungen waren anfangs sehr schüchtern, so dass ich – auch dank meiner kurzen Haare - bis deutlich in meine Pubertät hinein immer wieder für einen Jungen gehalten wurde. Später vermuteten Mitschülerinnen, ich sei magersüchtig, und bis Mitte 30 wurde ich immer wieder von Ärztinnen als untergewichtig gescholten. Bei ausgewachsenen 1,73m wog ich selten mehr als 58 Kilo. Ich war nie essgestört, lediglich ein schlechter Futterverwerter. Was ich aß, sauste grußlos durch meinen Körper und war selten länger als 24 Stunden an meinem Gewicht erkennbar. Unnötig zu erwähnen, dass ungefähr alle Frauen in meinem Umfeld neidisch darauf waren, dass ich essen konnte, was ich wollte, ohne zuzunehmen.

Aber nur weil ich dünn war, heißt das nicht, dass ich nicht zig Dinge an mir fand, die ich nicht mochte. Mit den Schwangerschaftsstreifen fing es an, ging über Cellulite und einer problematischen Neurodermitikerhaut bis hin zu tiefen Rillen auf meinen abgekauten Fingernägeln und besagter Körperbehaarung. Nicht alles konnte man auf den ersten Blick sehen – die Pubertätsakne etwa ließ mein Gesicht zwar einigermaßen unbehelligt, blühte dafür aber auf meinem Rücken und Dekolletee. Die Narben trage ich bis heute. Mein eher übersichtlicher Busen war außerdem die Schattenseite meiner "Zierlichkeit".

Bei jedem Blick in den Spiegel blieben meine Augen immer wieder an meinen Schandmalen hängen. Bei jedem Blick auf einen makellosen Modelkörper in einer Zeitschrift verglich ich. Sind meine Brüste größer oder kleiner? Wie stark ist meine Cellulite? Wie sehen ihre Fingernägel aus? Der kritische Blick machte mich zwar nicht psychisch krank, wie es unzähligen anderen jungen Mädchen (Opens in a new window) passiert, aber sie waren ein ständiges Ärgernis. Mein eigentlich gutes Körpergefühl wurde immer wieder von einem "Wenn doch nur dieser oder jener Makel nicht wäre" gestört.

Konsum als Heilsversprechen

Nachdem ich den Weg beschritten hatte, tat ich das, was fast alle Frauen und Mädchen an dem Punkt tun: Ich ließ mir von Medien und Werbung einreden, dass bestimmte Produkte mir helfen können (Opens in a new window). Ich kaufte mir Cellulite-Roller, Enthaarungsprodukte, Hautcremes, Rillenfüller und andere "Pflegeprodukte" für meine Nägel in dem tiefen Vertrauen, dass Werbung und Frauenzeitschriften doch nicht über die Wirkung eines Produktes lügen würden.

Frauen wird damals wie heute eingeredet, dass Konsum ihre optischen Unzulänglichkeiten beseitigen kann. Damals hat man uns Cellulite-Roller eingeredet, heute sind es Powerdrinks mit Chinoa, Spa-Wochenenden und nutzloser Kosmetik- und Esoterikquatsch, die uns den tollen Glow versprechen. Die große Frauenverarsche funktioniert heute genauso wie damals, auch wenn sich die Art der Produkte leicht gewandelt hat. Multiplikatoren wie Gwyneth Paltrow oder Alicia Keys, die jahrelang einen natürlichen Look propagiert haben (Keys trat jahrelang nur ohne Make-up auf), vertreiben heute nutzlose Produkte und beteiligen sich damit an Schönheits- und Selbstoptimierungsdruck auf Frauen. Der patriarchale Schönheitsbullshit ist tot, es lebe der feministische Schönheitsbullshit.

Zahlen dazu sind erstaunlich schwer zu finden. Es gibt zwar reichlich Statistiken über die Ausgaben von Frauen für Kosmetik und Körperpflege. Da bei der Körperpflege aber nicht zwischen Beautyprodukten und alltäglichen Hygienemitteln wie Shampoo unterschieden wird, nützen die Statistiken nichts. Shampoo zu benutzen, ist nach meinem Empfinden doch etwas sehr anderes als besagte Cellulite-Roller, Nagelpflege oder Enthaarungsprodukte. Unter Kosmetik werden hingegen oft nur Make-up-Produkte zusammengefasst, die ich nie übermäßig gekauft oder benutzt habe.

Erkenntnis-Dämmerung

Natürlich merkte ich schnell, dass die Produkte überhaupt nicht wirkten. Die Riefen in meinen Nägeln wurden trotz aller Pflege nicht weniger, sondern mit fortschreitendem Alter sogar immer tiefer, kein Cellulite-Roller jemals hat bewirkt, dass meine Oberschenkel nicht nur dünn, sondern straff wurden. Es ging damals (wir sprechen von den späten 80ern und frühen 90ern) die Mär, dass Körperhaar, wenn man es regelmäßig entfernt, spärlicher und heller wieder nachwächst. Aber auch nach jahrelangem Rasieren und Epilieren wuchsen meine Haare stets in alter Stärke nach. Und mehr noch: Wegen meiner problematischen Haut wuchsen Haare nicht einfach so nach, sondern viel öfter ein, so dass ich regelmäßig Pickel, Abszesse und in der Folge Narben bekam.

Mir dämmerte, dass der weibliche Makel, der mir vermittelt wurde, kein lösbares Problem ist. Dass man nicht XY tun oder kaufen kann, und dann ist das Problem an der Ursache beseitigt. Der Kampf mit meinem Körper, in den ich mit 13, 14 Jahren ohne eigenes Zutun geworfen wurde, würde niemals aufhören. Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat muss die Selbstsanierung wiederholt werden. Der Vergleich mit Sisyphos, der den gleichen Stein tagsein tagaus immer wieder den gleichen Scheißberg hochrollen muss, springt einem hier natürlich mit dem nackten Arsch in die Fresse, wenn ich das mal so blumig formulieren darf. Im Grunde muss eine Frau in einen Krieg ziehen, den sie niemals gewinnen kann. Ein Problem lösen, das unlösbar ist.

Das böse V-Wort

Denn auch das wurde mir irgendwann klar: Viel öfter als eigene Versäumnisse ist die Veranlagung verantwortlich für die Ausprägung gewisser kosmetischer Zumutungen. Natürlich spielen Ernährung, Sport und eine gewisse Selbstfürsorge eine Rolle bei der eigenen optischen Beschaffenheit.

Aber ob jemand bereits mit 13 und trotz eher androgyner Figur Schwangerschaftsstreifen entwickelt, ist eine Frage der Veranlagung. Ob jemand Cellulite bekommt, hängt mit der Beschaffenheit des Bindegewebes zusammen. Körperbehaarung ist Genetik. Dicke, Farbe und Anzahl meiner Körperhaare sind hart in meiner DNA kodiert. Ein Blick in die mütterliche Vererbungslinie zeigt eine Häufung von Neurodermitis und Allergien, ich trage die Gene für problematische Haut in mir. Danke für nichts, Gregor Mendel.

Ich versuchte, nachdem ich hunderte von Geld (wechselnde Währungen) für Nagelpflege ausgegeben hatte, erstmals, herauszufinden, warum meine Fingernägel die reinsten Buckelpisten waren. Ergebnis: Nichts Genaues weiß man nicht. Die Medizin kennt die genaue Ursache nicht. Und wenn man die Ursache nicht kennt, konnten auch alle Nagelpflegeprodukte nur Schmu sein.

Das war der Punkt, an dem ich mich entschieden habe, bei diesem Krieg nicht mitzumachen. Mir war klar, dass er einen Gutteil Zeit und Energie fressen würde. Zeit und Energie, die ich in weit angenehmere Dinge stecken kann. Es war natürlich nicht wirklich ein "Moment" im Sinne eines singulären, zeitlich begrenzten Ereignisses, sondern vielmehr ein jahrelanger Prozess, in dem die Selbstablehnung langsam abnahm und die Entscheidung, da nicht mitzumachen, ebenso langsam reifte.

Der lange Weg zur Selbstakzeptanz

Ich habe bis heute nicht geschafft, alles an meinem Körper zu akzeptieren. Bis heute gibt es Dinge an mir, die ich so sehr ablehne, die mich so unsicher machen, dass ich sie auch in diesem Artikel nicht erwähne.

Aber bei vielen Dingen bin ich zumindest nach einer Aufwandseinschätzung zu dem Schluss gekommen, dass sich der Kampf – will sagen: der Selbsthass - nicht lohnt, weil er niemals zu etwas führen kann.

Schwangerschaftsstreifen etwa sind Narben im Gewebe und bei Narben machste nichts. Oh, ich bin sicher, dass es irgendwelche teuren chirurgischen Lasermethoden gibt, den Makel zu beseitigen, aber mit Bordmitteln machste eben nichts. Ich sehe die Streifen heute nicht mehr. Meine Fingernägel sind eben meine bucklige Verwandtschaft und daran ändert auch der teuerste Ridgefiller nichts. Da ich meine Nägel ohnehin 99,9% der Zeit lackiert trage, fällt es nach der 2. Lackschicht nicht auf, so what. Cellulite? Haben fast alle Frauen und erst recht solche, die wie ich nie nennenswerten Sport betrieben haben. Und jetzt noch damit anfangen? Ach nein, das dann doch nicht.

An diesen Dingen bleibt mein Blick heute nicht mehr im Spiegel hängen.

Bei der Körperbehaarung habe ich mich der gesellschaftlichen Ablehnung weiblicher Körperhaare unterworfen. Ich rasiere meine diversen Körperstellen zwar nicht so akribisch und regelmäßig wie andere Frauen, aber ich tue es. Ich lebe allein, kein Mann sieht meinen Körper regelmäßig nackt und was soll ich sagen: Wenn es nur nach meinem eigenen Wohlbefinden geht, ertrage ich weit mehr Haare als wenn mein Körper öffentlicher Begutachtung ausgesetzt ist.

Die zwiespältige Rolle von Social Media

Wenn man dem Feuilleton glauben darf, geht die Hochkultur ja eh mit Instagram unter, mit Beautyfiltern, mit mehr Schein als Sein.

Aber speziell Instagram ist mehr als das. Dort formiert sich auch eine sex- und körperpositive Community, in der junge Mädchen und Frauen Vorbilder finden. Ich hätte mir gewünscht, ich hätte mit 14 eine Plattform gekannt, auf der Frauen ohne Scheu und Scham ihre Körperhaare zeigen, auf der sie abgekaute Fingernägel nicht wie ich schamhaft verstecken, sondern selbstbewusst bunt lackieren, auf der sie ihre Akne zeigen und ihre Schwangerschaftsstreifen.

Zugegeben: Diese Community ist im Vergleich mit der Anzahl Beautyinfluencerinnen klein, aber es gibt sie. Und ich besuche sie heute regelmäßig: manchmal bewundernd, manchmal neidisch, aber immer mit dem Gefühl, dass diese selbstbewussten Frauen etwas leben, das ich auch gern gelebt hätte. Kompletten Frieden mit meinem Aussehen.

Meine eigene Schönheitsgeschichte hat natürlich einen privilegierten Hintergrund. Als weiße, heterosexuelle und vor allem schlanke Frau habe ich nur einen Bruchteil von dem Bodyshaming aushalten müssen, mit dem andere Mädchen und Frauen aufwachsen.

Der Artikel soll eher zeigen, wie groß der Druck ist, wenn selbst eine privilegierte Frau in Selbstzweifel kippt.

Eigentlich habe ich jetzt nach vielen Jahren ein Maß an Selbstakzeptanz erreicht, das ein genussvolles Leben erlaubt. Aber man hat ja als Frau nie Ruhe, weshalb es eben jetzt Falten, Schwerkraft und schlaffer werdende Konturen sind, die meinen Ärger wecken.

Ich: Ich bin 48, kann nicht irgendwann mal Ruhe sein?

Gesellschaftsdruck: Lol, du bist alt, was denkst du denn? Und jetzt kauf diese Klebstreifen gegen Schlupflider und diese festigenden Cremes, damit man dich wieder ansehen kann, ohne Augenkrebs zu bekommen. Macht 738 Euro.

(Teaserbild (Opens in a new window) by Jill Wellington (Opens in a new window))

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Topic Feminismus & Patriarchat

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