Diese Fotos schoss ich 1954 in Berlin
Das stimmt natürlich nicht. Aber. Als vor einer Woche in Berlin wolkenfrei die Sonne schien, schnappte ich mir mein Telefon und machte mich jeden Spätnachmittag um halb vier auf die Suche. Sobald die Sonne horizontal über die Häuser strahlte, sah ich feine Linien, tiefschwarze Schatten und harte Kontraste überall.
Wieder ließ ich „die Große“, meine Canon zuhause, denn ich hatte Blut geleckt am beinahe mühelosen Fotografieren mit dem Telefonapparat. Und nachdem mir ein Mensch in einer E-Mail geschrieben hatte, Smartphones würden heute ohnehin gute Fotos von selbst machen, und ob das kleine Smartphone-Projekt (Opens in a new window) mein voller Ernst sei, dachte ich: Jetzt erst Recht.
Unterwegs überprüfte ich meine Aufnahmen nur flüchtig und gab mich ganz den Momenten hin. Die Wärme im Gesicht und ein kühlender Wind ließen mich beinahe vergessen, dass das, was ich hier tat, im Grunde Arbeit war. Ich machte mir keine Gedanken darüber, ob ich nun gerade ein gutes oder nur mittelmäßiges Foto gemacht hatte, sondern hielt an, wenn mir eine Szene gefiel.
Als ich am ersten Abend zuhause ankam und auf die Uhr sah, wunderte ich mich. Eigentlich wollte ich nur für ein Stündchen raus, doch es waren zweieinhalb geworden. Kruzifix! So muss das sein, wenn man die Zeit vergisst, dachte ich und blätterte meine Ergebnisse durch.
Das harte Licht schien die Farben zu verschlucken. Verärgert suchte ich den besten Filter, den es natürlich nicht gab und so freundete ich mich mit dem Gedanken an, auf Farbe gänzlich zu verzichten. Ein Bild nach dem Nächsten funktionierte großartig in schwarzweiß!
Ab dem zweiten Tag war klar, wohin die Reise geht und das machte alles um vieles einfacher. Ich fotografierte alles, was mir gefiel und ließ Abends im Bett die Farben fallen. Was das Nachbearbeiten am Telefon nicht unbedingt leichter machte. Reißen hier die Lichter aus? Brauche ich noch mehr Kontraste? Tja. Wer die Wahl hat…
Doch mir gefiel das Zeitlose der Schwarzweisfotografie. Sehr schnell wurde mir bewusst, dass bei fast allen Bildern der Aufnahmezeitpunkt für fremde Betrachter:innen unmöglich festzulegen war. Zwar war das nicht meine Absicht, doch mir gefiel der Gedanke. 1954. Dieses Jahr hatte ich plötzlich im Kopf.
In einer App, die ich vor Jahren gekauft hatte, stellte ich die Belichtung auf minus 2 Blenden. Und das Schöne an dieser App ist, dass ich diese Einstellung so belassen kann und nicht bei jedem neuen Bild herumfuddeln muss. Es gibt nichts Schlimmeres, als permanent an die Technik zu denken, wenn man gerade im Fluss ist.
Es gibt diese magischen Momente in meinem fotografischen Schaffen: Ich freue mich über jede Aufnahme, die mir gelingt. Ich fotografiere dann um des Fotografierens willens und dann ist es mir völlig schnurz, wie die Fotos dann im Internet „ankommen“. Denn darum geht es einfach nicht. Ein Pizzabäcker stellt sich auch nicht bei jeder Pizza die Frage, ob sie nun mundet oder nicht.
Ich weiß noch nicht, ob ich diese Serie weiterfotografiere. Ich habe aber große Lust darauf, ein paar Fotos drucken zu lassen und sie in mein grau gestrichenes Zimmer zu hängen. Denn es gibt für mich nichts Schöneres, als meine Arbeit in den Händen zu halten.
Und wenn du jetzt Lust bekommen hast, mit Deinem Handy fotografieren zu gehen, dann wünsche ich Dir vor allem eines: Dass du dabei die Zeit vergisst.