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Was ist noch gesund?

Hier geht es um unser Ernährungssystem. Um das, was wir essen und warum. ess.sozial ist ein Newsletter. Für alle, die über den Tellerrand schauen und Ernährung in ihrem gesellschaftlichen Kontext sehen wollen. Hier bekommst du jeden Monat frische Perspektiven – direkt in dein Mailpostfach.

Ich konzipiere, recherchiere und schreibe ess.sozial als freies Projekt – aus Leidenschaft für das Thema und mit dem Anliegen, dass alle eine faire Chance auf eine gesunde Ernährung bekommen.

Gibt es eine klare Antwort auf die Frage, was eine gesunde Ernährung ist?Darüber habe ich für den zweiten Teil der ersten Ausgabe dieses Newsletters mit Prof. Dr. Gabriele Stangl gesprochen. Sie hält die Professur für Humanernährung am Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

„Falafel, also kein Fleisch? Und mit allem? Welche Sauce? Jogurtsauce ist aber nicht vegan.“ Mischkost, vegetarisch, vegan – daneben wirbt die Brigitte für eine wieder neue Diät, Pamela Reif hält High Protein Riegel in die Kamera und die „Glukose-Göttin“ warnt vor Haferflocken zum Frühstück. Was ist noch gesund? Bei der Flut an Ernährungsweisen und Empfehlungen kann schnell der Eindruck entstehen, dass es auf diese Frage keine klare Antwort gibt.

Doch, die gibt es – sagt Prof. Dr. Gabriele Stangl vom Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Na ja, mehr oder weniger jedenfalls: „Eine einzige gesunde Ernährungsweise gibt es nicht. Von der Idee müssen wir uns verabschieden. Aber gesunde Ernährung spielt sich innerhalb von gewissen Spannbreiten ab“, so Stangl. Und ob eine Ernährungsweise in diese „Spannbreiten“ falle, lasse ich anhand von zwei Kriterien bemessen: „Zum einen muss der Nährstoffbedarf gedeckt sein. Zum anderen ist wichtig, wie viel ich von gesundheitsförderlichen und problematischen Stoffen zu mir nehme.“ Zu den gesundheitsförderlichen Stoffen gehören neben Ballaststoffen beispielsweise auch ungesättigte Fette. Zu den problematischen zählen unter anderem Zucker, Alkohol oder Salz.

Damit haben wir also die „Spannbreite“ von gesunder Ernährung abgesteckt. Aber womit füllen wir sie? Ein etwas konkreteres Bild davon, wie gesunde Ernährung aussehen kann, zeichnet die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die DGE ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft für Ernährung in Deutschland. Ihr Ziel: Auf der Grundlage des Forschungsstands Ernährungsempfehlungen erarbeiten. Und diese dann zielgruppengerecht vermitteln.

 Diese zielgruppengerechte Vermittlung zeigt sich unter anderem darin, dass im Sachkundeunterricht, 4. Klasse, eine Ernährungspyramide an die Tafel gemalt wird. Oder eben in 11 Empfehlungen fürs „Gut essen und trinken“. Die hat die DGE im März überarbeitet (vormals war von „10 Regeln“ die Rede). Die zentrale Veränderung: Sie empfiehlt nun eine pflanzenbasierte Ernährung. Darunter versteht die DGE eine Ernährung mit zu ¾ pflanzlichen Lebensmitteln und zu ¼ tierischen Produkten. Damit ist der empfohlene Anteil tierischer Lebensmittel deutlich gesunken. Im Detail hat sich folgendes verändert:

  1. „Am besten Wasser trinken“: 1,5 Liter Wasser – aus der Leitung, schlägt die DGE vor. Oder andere kalorienfreie Getränke.

  2. „Obst und Gemüse – viel und bunt“: Fünf Portionen (à 110g) am Tag sollen es sein. Zuvor riet die DGE noch zu 2 Portionen Obst, 3 Portionen Gemüse. Diese Einteilung fällt weg. Außerdem soll neuerdings auf Saisonalität geachtet werden.

  3. „Hülsenfrüchte und Nüsse regelmäßig essen“: Mindestens einmal pro

    Woche Hülsenfrüchte (125g) auf den Teller, jeden Tag eine Hand voll Nüsse (25g). Hülsenfrüchte und Nüsse sind der DGE in den neuen Empfehlungen sogar einen eigenen Punkt wert, zuvor wurden sie unter „Obst und Gemüse“ genannt.

  4.  „Vollkorn ist die beste Wahl“: Vollkornprodukte sind immer Weißmehlprodukten vorzuziehen, heißt es da.

  5. „Pflanzliche Öle bevorzugen“: Neben Rapsöl werden außerdem Walnuss-, Lein, Soja- und Olivenöl gelobt.

  6. „Milch und Milchprodukte jeden Tag“: Nur noch zwei Portionen (250g) bezogen auf flüssige Milch, zuvor drei. Neu ist, dass explizit auf pflanzliche Alternativen eingegangen wird: Werden diese der tierischen Variante vorgezogen, sei auf eine ausreichende Zufuhr von Calcium, Vitamin B2 und Jod zu achten.

  7. „Fisch jede Woche“: Nach wie vor wird zu ein- bis zweimal Fisch (120g) pro Woche geraten.

  8. „Fleisch und Wurst – weniger ist mehr“: Nicht mehr als 300g pro Woche. Zuvor hieß es noch, wenn Fleisch, dann nicht mehr als 300-600g. Es wird darauf hingewiesen, dass die Produktion die Umwelt deutlich stärker belastet, als die Produktion pflanzlicher Lebensmittel. Und dass zu viel Fleisch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs steigert.

  9. „Süßes, Salziges und Fettiges – besser stehen lassen“: Es wird darauf hingewiesen, dass sich Zucker, Salz und Fett auch oft in verarbeiteten Lebensmitteln verstecken.

  10. „Mahlzeiten genießen“: Langsam, bewusst, am besten in Gemeinschaft.

  11. „In Bewegung bleiben und auf das Gewicht achten“: Täglich bewegen und einen aktiven Alltag leben.

Veganer ernähren sich nach Auffassung der DGE also grundsätzlich ungesund, weil sie das ¼ tierische Produkte nicht erfüllen? Nein, das kann man so nicht sagen. Mit den Empfehlungen richtet sich die DGE an die „gesunde Allgemeinbevölkerung“: An alle 18- bis 65-Jähigen, die sich mit einer Mischkost ernähren (das schließt Fleisch, Fisch und Milchprodukte ein) und keine besonderen Bedarfe oder Unverträglichkeiten haben. Nach und nach sollen Empfehlungen für weitere Bevölkerungsgruppen, für Kinder, Senioren oder eben Veganer folgen.

Und dass die Empfehlungen für die „gesunde Allgemeinbevölkerung“ tierische Produkte beinhalten, das liegt auch daran, bei der Erarbeitung der Empfehlungen die in Deutschland üblichen Verzehrgewohnheiten berücksichtigt wurden. Denn die Empfehlungen sollen für den Durchschnittsdeutschen einfach umsetzbar sein. Und bei 58% Prozent der Deutschen gehören Milchprodukte eben täglich auf den Teller, 20% Prozent essen täglich Fleisch (BMEL 2023).

Würden die üblichen Verzehrgewohnheiten nicht berücksichtigt, wie sähen die Empfehlungen für eine gesunde Ernährung dann aus? Diese Frage bleibt offen. Denn die DGE hat hierzu bisher keine Daten ausgegeben. Stangl hofft, dass die DGE hier noch nachbessern wird.

Neben den Verzehrgewohnheiten werden bei den neuen Empfehlungen auch Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaauswirkungen berücksichtigt – zum Beispiel der Ausstoß von Treibhausgasen bei der Nahrungsmittelproduktion oder die Landnutzung. Stangl bewertet das als „sinnvoll und zeitgemäß“. Gesunde Ernährung habe schließlich nicht nur mir der persönlichen Gesundheit, sondern auch mit der Gesundheit unseres Planeten zu tun. Und es würden eben planetare Grenzen bestehen, was die Verfügbarkeit von Ressourcen oder die Produktion von Treibhausgasen anbelange. Und das auch bei der Ernährung zu berücksichtigen, findet Stangl wichtig. 

Die DGE-Empfehlungen vermitteln eine Vorstellung davon, wie eine gesunde Ernährung aussehen könnte, auf Basis des aktuellen Stands der Wissenschaft. Damit können sie Orientierung bieten – zwischen Diäten in der Brigitte, den Empfehlungen von Pamela Reif oder der „Glukose-Göttin“. Stangl weist aber auch darauf hin, dass es sich bei den Empfehlungen um durchschnittliche Mengenangaben handelt – und Abweichungen von diesen Mengen eine Ernährung nicht ungesund machen müssen.

Danke fürs Lesen!

Das war also die erste Ausgabe des ess.sozial Newsletters. In Teil 1 ging es um die Ernährungsumgebung: Warum es uns in Deutschland “nicht leicht gemacht” wird, uns gesund zu ernähren, erklärte Dr. med. Peter von Philipsborn. Hier kannst du nochmal nachlesen:

Hat dir der Newsletter gefallen? Dann freue ich mich, wenn du ihn weiterempfiehlst! Die zweite Ausgabe erscheint am dritten Sonntag im Juni. Es geht um Ernährungsarmut – um die Frage, warum auch in einem reichen Industrieland wie Deutschland Menschen Hunger haben.

Transparenzhinweis – Die Quellen.