Taiwans Wochenbetthotels
Vom Kreissaal in die Vollpension
Stillen, Schreien, schlaflose Nächte: Die ersten Wochen nach der Geburt sind hart. Nicht so in Taiwan. Dort hat sich ein ganzer Industriezweig darauf spezialisiert, Wöchnerinnen und ihre Neugeborenen rund um die Uhr zu versorgen. Wir haben mit Müttern gesprochen, die diesen Service genutzt haben – mit gemischten Erfahrungen.
Von Carina Rother, Taipei
In Taiwan bieten Wochenbetthotels umfassende Betreuung für Mütter und Neugeborene in den ersten Wochen nach der Geburt. Diese Hotels bieten medizinische Nachsorge, Babypflege, Mahlzeiten und weitere Dienstleistungen wie Spas und Fotoshootings. Die Erfahrungen der Mütter sind gemischt: Während einige die Unterstützung und Ruhe schätzen, fühlen sich andere durch den geschäftsmäßigen Umgang und mangelnde persönliche Betreuung belastet. Trotz hoher Kosten nutzen viele Familien diesen Service, um in einer wichtigen Lebensphase Unterstützung zu erhalten.
Sauber, ruhig und sanft beleuchtet ist der Gang, der zum Säuglingsraum führt. Dort liegen die Neugeborenen hinter einer Plexiglaswand, warm eingepackt, ein Babybettchen neben dem anderen. Krankenschwestern wachen Tag und Nacht über das Wohl der Babys. Aber es ist nicht die Säuglingsstation eines Krankenhauses. Es ist ein Wochenbetthotel im Herzen Taipeis, das sich darauf spezialisiert hat, Mütter und ihre Neugeborenen zu beherbergen.
Rund 260 solcher Unterkünfte gibt es davon in Taiwan, je nach Leistungsspektrum für 150 bis 500 Euro pro Nacht. Dafür bekommen Wöchnerinnen und ihre Partner*innen ein eigenes Zimmer, regelmäßige Mahlzeiten, Einführungen in die Babypflege, medizinische Nachsorge nach der Geburt und den Service, das Baby auf der Säuglingsstation abzugeben – so oft und solange sie möchten.
Teurere Hotels bieten zusätzlich Mütter-Spas, Foto-Shootings, Yogastunden und mehr. In Taiwan nehmen laut Online-Magazinen über 40 Prozent (Opens in a new window) aller Mütter das Angebot wahr, durchschnittlich für drei bis vier Wochen pro Kind (Opens in a new window). Connie Ma entschied sich für einen dreiwöchigen Aufenthalt in einem Wochenbetthotel mit ihrem ersten Kind und blieb zwei Wochen mit ihrem zweiten, jeweils direkt im Anschluss an die Geburt im Krankenhaus.
Nach der Geburt ins Hotel
Die gebürtige Amerikanerin fand die langen Tage in dem leeren Hotelzimmer „faszinierend“. „Es war wie ein Businesstrip, aber das Business bestand darin, sich um ein Baby zu kümmern und von der Geburt zu erholen“, erzählt sie in der Rückschau. Als Ausländerin ohne Familie in Taiwan war es ihr wichtig, nach der Geburt Unterstützung vor Ort zu haben. Sie wählte kostengünstige Optionen in der Nähe ihrer Wohnung. So konnten ihr Mann und später ihr erstes Kind möglichst oft zu Besuch kommen.
Ihr Baby hatte sie tagsüber bei sich, nachts blieb es auf der Station. Die 35-Jährige hat beide Aufenthalte in positiver Erinnerung und ist dankbar dafür, dass sie sich den Herausforderungen als neue Mutter ausgeschlafen und in ihrem eigenen Tempo stellen konnte. „Wir sind jeden Tag ein Level aufgestiegen. Erst haben wir das Wickeln gemeistert, dann klappte das Füttern immer besser.“
Als Amerikanerin kommt Ma aus einem Kontext, wo Familien nach der Geburt auf sich allein gestellt sind und Frauen oft nach wenigen Wochen zurück an den Arbeitsplatz gehen. Sie ist begeistert, dass es in Taiwan Angebote gibt, die Ruhe und Regeneration nach der Geburt normalisieren.
Entlastung in einer verletzlichen Zeit
Für die Taiwanerin Cerise Kao war der 30-tägige Aufenthalt in einem Hotel aus dem Luxussegment eine wichtige Zuflucht nach dem Kaiserschnitt. „Ich war erschöpft und hatte Schmerzen und wollte mich einfach nur hinlegen und um nichts kümmern“, berichtet die 38-jährige Spezialistin für Digitales Marketing. „Die Vorschriften des Hotels waren ein guter Vorwand, nicht zu viel Besuch zu haben. Ich konnte selbst bestimmen, wann ich Leute sehen wollte und wann ich mich ausruhte“, sagt Kao.
Das Wochenbett ist emotional und körperlich eine Extremerfahrung für viele Mütter. Einzelne Anbieter bieten daher zusätzlich zu ärztlichen Check-ups psychologische Beratung an. Cerise Kao hatte im Wochenbett ebenfalls ein emotionales Tief bei dem sie Unterstützung vom Pflegepersonal erhielt. Ihr Mann war gerade auf Geschäftsreise – der gesetzlich garantierte Vaterschaftsurlaub beträgt in Taiwan gerade mal fünf Tage, und viele Männer pendeln zwischen Wochenbetthotel und Büro – da bekam Cerise Kao eine Harnwegsinfektion mit Fieber und starken Schmerzen.
Sie erinnert sich: „Ich war allein in meinem Zimmer und weinte. Die Krankenschwester schaute nach mir und blieb bis spät nachts. Ich bin dafür so dankbar.“ Auch Cairan Meister erlebte ihren Aufenthalt als tröstlich und erholsam. Die Südafrikanerin lebt seit 17 Jahren in Taiwan. In der Schwangerschaft hatte sie auf Empfehlung einer taiwanischen Freundin ohne große Erwartungen ein Wochenbetthotel für die ersten acht Tage nach dem Krankenhaus gebucht, für 180 Euro pro Nacht.
Nach einer traumatischen ersten Geburt kam sie niedergeschlagen dort an. „Ich fühlte mich sofort besser, als wir in unser Zimmer kamen und ich aus dem wandhohen Fenster gucken konnte. Erst dann konnte ich mein Baby genießen und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.“ Nach der Geburt ihres zweiten Kindes kehrte die 41-Jährige in dasselbe Hotel im mittleren Preissegment zurück. Sie genoss den Rundumservice und die Extras für das Baby, wie Schwimmen und Fotoshooting. Besonders freute sie sich auf das Essen und dokumentierte jede Mahlzeit, die ihr auf einem Tablett ins Zimmer geliefert wurde.
Der heilsame Ursprung der Wochenbetttradition
In der chinesischsprachigen Welt kommt den Speisen, die eine Wöchnerin isst, große Bedeutung zu. Wochenbetthotels werben mit besonders ausgeklügelten Speiseplänen, die nach einer zehrenden Schwangerschaft fehlende Nährstoffe auffüllen, die Milchproduktion anregen und das Chi, die Lebensenergie, wieder in Balance bringen sollen.
Auf Chinesisch heißt die angeblich jahrtausendealte Praktik „zuo yuezi“, zu Deutsch „den Monat sitzen“. Für die Mütter gelten dabei strenge Regeln, um den Körper nicht weiter zu schwächen: Im Bett bleiben, kein kaltes Wasser trinken, nicht duschen und vieles mehr. Heute ist den Frauen selbst überlassen, wie viel sie davon umsetzen wollen.
„Traditionell halfen Mütter ihren Töchtern, den Monat zu sitzen. Sie kochten ihnen Huhn in Sesamölsuppe oder Schweinefüße, nahrhafte Speisen, die es sonst nicht gab“, erklärt Branchenkenner Gary Lee. Der dreifache Vater hat die Webseite „Mamyguide“ mitgegründet, Taiwans größtes Portal in Fragen Schwangerschaft, Wochenbett und Babypflege. Lee weiß um den scheinbaren Widerspruch zwischen der niedrigen Geburtenrate und dem riesigen Sektor, der sich Taiwans Babys widmet.
Mit 1,2 Kindern pro Frau zählt Taiwan zu den weltweiten Schlusslichtern – in Deutschland sind es knapp 1,6 Kinder pro Frau. Taiwans hohe Lebenshaltungskosten, der Druck der Arbeitswelt und die Konsumerwartungen, die mit einem Kind einhergehen – angefangen beim Wochenbett – machen Babys auf der Insel zu einer selten gewordenen Kostbarkeit. Und für die will man nur das Beste: Rund 370 Milliarden Euro Umsatz macht Taiwans Wochenbettsektor jährlich, bekräftigt Lee.
Milliardenindustrie Wochenbett
Das umfasst neben Wochenbetthotels auch Wochenbettessen vom Lieferdienst und spezielle Nannys, die den Wochenbettservice für zuhause anbieten. Lee vergleicht die enormen Kosten für die Dienste, für die oftmals der Ehemann aufkommt, mit einem Verlobungsring, den man seiner Frau auch nur einmal im Leben schenken kann. „Nach der Geburt fühlt sich eine Frau schwach und zerbrechlich, und dieses Geschenk gibt ihr das Gefühl, geliebt zu sein.“
Tatsächlich gibt es vielfältige Faktoren, warum sich Familien für den teuren Service entscheiden. Der Ruhemonat nach der Geburt ist kulturell quasi vorgeschrieben. Gleichzeitig greifen viele Frauen lieber auf eine Dienstleistung zurück, als ihre Mütter und Schwiegermütter zu bemühen und sich der potenziellen Bevormundung auszusetzen. Ein staatliches System von Hebammenbetreuung gibt es nicht.
In den letzten 40 Jahren hat sich daher in Taiwan das Angebot der Wochenbetthotels etabliert, erst angeschlossen an Krankenhäuser und mit einfacher Ausstattung, inzwischen auch in Form von luxuriösen Privatdienstleistern. Der Sektor wird vom Gesundheitsministerium nach strengen Standards kontrolliert. Ein Aufenthalt gilt daher als beste Option, um Mutter und Kind einen sicheren, gut versorgten Start ins Leben zu ermöglichen.
„Dein Kind trinkt halt keine Muttermilch“
Das trifft allerdings nicht immer zu. Für Heidi Hsiao war das Wochenbetthotel eine enttäuschende Erfahrung. Die 38-jährige Taiwanerin buchte beim zweiten Kind 30 Tage à 375 Euro pro Nacht bei einem berühmten Anbieter, nachdem ihre vorherige Wahl geschlossen hatte. Nachdem das Stillen nicht klappen wollte, wurde der Aufenthalt zum Stressfaktor.
Hsiao fühlte sich vom Personal übergangen, die hoteleigene Stillberaterin war schwer verfügbar, und der Zeitdruck der Säuglingsschwestern, die das schreiende Baby zum Anlegen ins Zimmer brachten, schwappte auf die junge Mutter über. Sie wollte ihre Tochter stillen, gleichzeitig stieg jeden Tag die Anspannung.
„Eine Schwester sagte zu mir: Dein Kind trinkt halt keine Muttermilch“, erinnert sie sich an eine Unterhaltung während eines nächtlichen Stillversuchs. „Das hat keinen Sinn. Du solltest mehr schlafen, anstatt deine Ruhezeit so zu vergeuden.“ Die ausgebildete Krankenschwester beendete den Aufenthalt frühzeitig und holte sich stattdessen eine Wochenbett-Nanny nach Hause.
Besser geschäftsmäßige Hilfe als gar keine
Jenny Lu kennt den Frust, wenn das Stillen nicht klappt. Die Lehrerin hatte ein günstiges Wochenbetthotel gewählt, das für ihren Mann schwer erreichbar war – ein zusätzlicher Stressfaktor, nachdem ihr frühgeborenes Kind im Krankenhaus wegen einer Covid-19-Infektion von ihr getrennt worden war. Die Schwestern im Hotel rieten ihr, das Stillen „einfach mehr zu üben“, und stellten zu spät eine veraltete Milchpumpe zur Verfügung. Die Milchproduktion blieb gering.
Nach ihrem Aufenthalt im Hotel holte sich die Taiwanerin mit philippinischen Wurzeln eine Nanny ins Haus. Sie ist froh, dass sie in den ersten Monaten nach der Geburt Unterstützung hatte. Doch die Betreuung habe sie weder im Hotel noch zuhause als warm empfunden, sondern stets als geschäftsmäßig. „Zwei Monate lang konnte ich mich nie ganz entspannen, aber ich brauchte diese Hilfe“, lautet ihr Fazit.
Die Erfahrungen mit Taiwans Wochenbetthotels sind vielfältig. Manche Mütter fühlen sich verwöhnt, andere sehen es als notwendiges Übel, um die erste Zeit mit Baby gut zu meistern. In einem Land, wo es keine staatliche Nachsorge gibt und wo Partner*innen direkt nach der Geburt an den Arbeitsplatz zurückkehren, bietet das Wochenbetthotel eine entscheidende Erleichterung in den ersten Wochen nach der Geburt.