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Wohin mit dem Patriarchat?

Frauen im libanesischen Parlament

Der Libanon ist patriarchal geprägt, wie viele Länder dieser Welt. Aktuell gibt es so etwas wie ein Machtvakuum. Gleichzeitig gibt es Abgeordnete wie Halimé Kaakour, die von einem politischen Wandel träumen. Ein Porträt.

Von Julia Neumann, Beirut

Lediglich 20 Minuten Zeit habe sie, sagt die libanesische Abgeordnete Halimé Kaakour. Seit Mai 2023 ist sie eine von acht Parlamentarierinnen – so viele wie noch nie im Libanon. Deshalb nimmt sie sich am Ende für das Gespräch dann doch doppelt so viel Zeit. Denn Kaakour ist Feministin, engagiert sich für einen Wandel in der libanesischen Politik und hat einiges zu erzählen. „Wir müssen die traditionelle politische Klasse ändern und sie durch neue Leute ersetzen, die mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten“, erklärt sie eines ihrer Ziele.

Die Einrichtung in den Büroräumen spiegelt ihre politische Haltung wider: Statt den sperrigen Schreibtischen aus dunklem Holz, wie sie oft in Behörden oder Ministerien zu finden sind, steht in Kaakours Büro ein schlankes Modell aus hellem Holz mit Metallfüßen. Genug mit dem Protz und der Korruption, die Abgeordnete möchte die Politik der alten Männer umkrempeln. Denn das Land wird noch immer vom Patriarchat bestimmt.

Sie selbst scheint nicht viel auf Machtgehabe zu geben, sitzt entspannt auf dem Sofa, während ihre Assistentin am Schreibtisch Platz nimmt. Die 47-Jährige hat es mit der Liste „Vereint für Wandel“ als Alternative zu den traditionellen, konfessionell-orientierten Politikern ins Parlament geschafft. Die Parlamentswahl im Mai 2022 war die erste nationale Wahl nach den Massenprotesten im Oktober 2019, die zum Aufstieg einer neuen politischen Opposition und zur Bildung von „Anti-Establishment-Bewegungen“ führten.

Parteien nehmen Frauen nicht auf die Wahllisten

Vor allem die neu gegründeten Parteien legten viel Wert auf einen hohen Frauenanteil auf ihren Wahllisten. Unter den 1.043 Kandidat*innen waren 113 Frauen – die Jüngste gerade mal 26 Jahre alt. Trotz aller Bemühungen und Kampagnen feministischer Gruppen und Nichtregierungsorganisationen wie „UN Women“, die eine gleichberechtigte Beteiligung der Geschlechter im Parlament mit 128 Sitzen forderten, schafften es am Ende nur acht Frauen.

 „Die erste Hürde ist der Wille der politischen Parteien, überhaupt Frauen auf ihre Listen zu schreiben. Die zweite ist, dass sie Frauen nicht auf Führungsrollen in der Partei vorbereiten“, erklärt Kaakour. Außerdem geben Frauen weniger Geld für ihre Kampagnen aus, weil es auch in der Wirtschaft Diskriminierung gegenüber Frauen gibt und sie weniger Geld verdienen als Männer. Ihr ernüchterndes Fazit: „Wir haben kulturelle Hindernisse. Frauen werden als nicht in der Lage gesehen, in der Politik oder im Parlament zu sein, besonders in Krisenzeiten.“

Halimé Kaakour hat Politikwissenschaften studiert, viele Versammlungen besucht und festgestellt, dass dort viele Dinge gesagt wurden, die den Wahlprogrammen widersprachen. Und sie waren alle konfessionell geprägt. Dabei wollte sie einer politischen Partei angehören, die über konfessionelle Fragen hinausgeht. Deshalb arbeitete sie zunächst in einer Nichtregierungsorganisation, promovierte in Rechtswissenschaft und lehrte an der Universität.

2015 kam sie wieder in die Politik, als es zu Protesten gegen das Müllmanagement der Regierung kam: Weil die Mülldeponien voll waren, stapelten sich die Müllsäcke in Beirut und Umgebung. Die Menschen forderten einen landesweiten Plan zur Abfallbeseitigung – der bis heute nicht vorliegt. „Nach den Protesten sagte ich mir: Wir sollten die traditionelle politische Klasse ändern.“ Deshalb gründete sie gemeinsam mit Gleichgesinnten die sozialdemokratische Partei „Lana“, zu Deutsch „Für uns“.

Gegen Korruption und Bestechung

2019 gab es erneut Proteste, diesmal von vielen Teilen der Gesellschaft unterstützt. Die Menschen kritisierten die Klientelpolitik der Eliten und die damit verbundene Korruption, die das Land in die Wirtschaftskrise gestürzt hat. Die lokale Währung verliert fast täglich an Wert. Bisher haben die amtierenden männlichen Politiker es nicht geschafft, notwendige Reformen zu verabschieden. Dazu zählen laut Internationalem Währungsfond (IWF) ein schlanker öffentlicher Sektor und Anti-Korruptionsmaßnahmen. 

Kaakour hat die Ausgaben ihrer Wahlkampagne auf ihrer Webseite öffentlich gemacht – eine Seltenheit in einem Land, in dem politischen Kandidat*innen bezahlen müssen, um in einer Talkshow zu sitzen und die Parteien Wähler*innenstimmen kaufen. „Das hat mir geholfen, mich als ernsthafte Kandidatin zu etablieren. Ich wusste, dass ich nicht viel Geld brauche. Ich habe jedem erklärt, dass ich Klientelismus ablehne. Ich weigere mich, Geld als Anreiz zu geben, um für mich zu stimmen. Die Menschen sollen für das Projekt stimmen und Ideen wählen.“ Die Priorität ihrer Partei sieht die oppositionelle Abgeordnete in Sozialfragen. So wolle sie die Gesellschaft vor Armut schützen, unter anderem mit einer universellen Gesundheitsversorgung, guter Bildung und einem geregelten Haushalt.

In ihrer Wahlkampf-Kampagne versuchte sie, ihre Ideale zu zeigen. „Es war wirklich basisorientiert, jugendorientiert, frauenorientiert“, sagt sie. „Ich ging von Tür zu Tür. Die Menschen haben mich zu sich nach Hause eingeladen, um über mein Projekt zu sprechen und Fragen zu stellen.“ Wieso sie es trotz weniger Mittel ins Parlament geschafft hat, erklärt sie sich mit ihrer Glaubwürdigkeit: „Die Leute kannten mich, sie haben mir vertraut und mich als ernsthafte Kandidatin angesehen. Sie bezeichneten mich als starke Frau.“ 

Joelle Abou Farhat, Mitbegründerin von „Fiftyfifty“, einer Nichtregierungsorganisation, die Geschlechterparität im politischen Leben schaffen möchte, sagte der lokalen Zeitung „L’Orient-Le Jour“ über Kaakour: „Dies ist das erste Mal, dass das libanesische Parlament eine Frau mit diesem Charakter hat, unabhängig und transparent, sanft und diplomatisch, eine ausgezeichnete Verhandlungsführerin mit starken Überzeugungen.“ Vor allem Frauen und junge Wählende hätten ihr geholfen, ins Parlament zu kommen.

Klientelismus und Konfessionalismus

Dort geht die Arbeit aber nur schleppend voran. Der Libanon ist seit November in einem politischen Machtvakuum: ohne Prä­si­den­t*in und mit einer Übergangsregierung. Denn obwohl im Mai 2022 ein neues Parlament gewählt wurde, ist die alte Regierung im Amt geblieben – weil die Bildung eines Kabinetts komplex ist. Im Libanon teilen Parteien die Mi­nis­te­r*in­nen­pos­ten nach Einfluss, Konfession und Größe des parlamentarischen Blocks auf. Dabei wird auch über andere einflussreiche Ämter diskutiert, die alternativ vergeben werden können. Bislang konnten sich die verschiedenen politischen Blöcke nicht mehrheitlich einigen.

Die derzeitige Lage sei nicht die beste. „Wir können die Interims-Minister nicht zur Rechenschaft ziehen, weil wir keine neue Regierung haben. Aber wenigstens können wir den Ministern Fragen schicken. Unter den Abgeordneten können wir viele Themen diskutieren.“ Kaakour ist vor allem damit beschäftigt, ihre Arbeit in parlamentarischen Ausschüssen vor- und nachzubereiten. Sie sitzt in den Ausschüssen für Bildung für Frauen und Kinder sowie zur Gerechtigkeit und Unabhängigkeit der Justiz. Ihre wichtigsten politischen Forderungen sind eine allgemeine Krankenversicherung und das Recht für Frauen, die libanesische Staatsbürgerschaft an ihre Kinder weiterzugeben.

Gegen die Macho-Politiker

Die Ausschüsse sind zurzeit die einzige politische Ebene, auf der inhaltlich diskutiert wird und auf der die 13 alternativen Abgeordneten – darunter vier Frauen – im Parlament einen Wandel herbeiführen wollen. Hier werden Gesetzentwürfe vorbereitet, zumindest theoretisch: „Oft wird der Gesetzentwurf in den Ausschüssen nicht fertiggestellt, weil sich die traditionellen Parteien politisch einmischen und ihn verhindern wollen.“ Auch würden Punkte von den Vorsitzenden der Ausschüsse gerne von der Tagesordnung genommen. Das passiere auch im Parlament selbst. Dort entscheidet Parlamentssprecher Nabih Berri nicht nur darüber, wann er ein Treffen einberuft, sondern auch über die finale Tagesordnung. „Es ist eine Ein-Mann-Show“, so Kaakour. Auch dagegen stellt sie sich.

Der Libanon ist eine parlamentarische Republik. „Die Struktur ist überhaupt nicht demokratisch, selbst die Abstimmungen im Parlament sind intransparent.“ Einmal habe der Parlamentssprecher nicht alle erhobenen Hände gezählt. „Deshalb habe ich eine andere Art der Abstimmung gefordert, bei der je­der Abgeordnete einzeln aufgerufen wird.“ Berri aber habe sie angefahren: „Er sagte: Sei still und setz dich hin. Dann habe ich laut gerufen: Du hast kein Recht, so mit mir zu reden. Hör auf, so patriarchalisch zu sprechen.“

Das Thema sei später viral gegangen. „Der Verantwortliche für die Sozialen Medien in meiner Partei hat Google verfolgt und wie oft der Begriff „Patriarchat“ am Tag nach dem Vorfall bei der Suchmaschine eingegeben worden ist. Ich habe die Zahl vergessen, aber es waren sehr viele.“ Das Macho-Gehabe der Politiker hindert Kaakour nicht an ihrer Arbeit. Sie bereite die Akten besser vor, sie lese die Akten tatsächlich, bevor sie in eine Sitzung gehe. Sie bereite die Aufgaben vor und widerspreche allen. Ihrer Meinung nach sei das im Libanon eine neue Art, Politik zu machen.

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