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Post für dich #7

Aufmerksamkeit und Genuss

Ich habe eine spannende Frage auf den Fragesticker in meiner instagram-Story heute Nachmittag erhalten - nämlich:

Genießt du die Aufmerksamkeit, die du durch Fritzis Geschichte erhälst?

Weil ich die Antwort, die sich dazu spontan in mir bildet als recht komplex einschätze, will ich den Newsletter nutzen, um diese Frage ausführlich zu besprechen.

Wie, die Frage besprechen?

Ja. Die Frage besprechen.

Findest du nicht auch, dass durchaus etwas in der Frage steckt, das Unbehagen auslöset? Also bei mir ist das in jedem Fall direkt so und das würde ich mir gern genauer angucken.

Aufmerksamkeit genießen.
Klingt auf Anhieb schon einmal nach etwas, das Mensch nicht einfach so tun dürfe. Als sozialisierte Frau kann ich klar sagen, dass ich gelernt habe, dass Liebe nicht bedingungslos ist. Dass Aufmerksamkeit zu bekommen, nicht bedingungslos ist. Dass negative Aufmerksamkeit in Mehrfachrollen (Frau, Mutter, Partnerin, Arbeitnehmerin, Freundin, Schwester, Tochter) vorprogrammiert ist und positive Aufmerksamkeit sich im schlechtesten Fall auf meine Körperrundungen fokussiert und meine Persönlichkeit völlig ausklammert.
Von Aufmerksamkeit und Genuss in einem Satz zu sprechen, kommt mir deshalb bisweilen absurd vor und ich mag dich einladen, da mal für dich nachzuspüren. Wie sind deine Erfahrungen? Als Kind, als erwachsener Mensch? Als Frau? Als Mann?

Ich würde die Frage vermutlich anders an mich stellen wollen.

Was macht die Aufmerksamkeit, die du durch Fritzis Geschichte erhälst, mit dir?


So formuliert, habe ich die Möglichkeit, mich überhaupt erst einmal dazu äußern zu können, wie diese Aufmerksamkeit geartet ist und wie ich sie für mich einordne. Und dann kann ich darüber diskutieren, ob Genuss in der Sache überhaupt etwas zu melden hat.

Der zweite Aspekt, der mir adhoc in den Sinn kommt ist "Fritzis Geschichte".

Fritzi ist ihre Geschichte ja nicht einfach so passiert.
Ich habe mir ein drittes Kind gewünscht und dafür getan, was mit Erfolg zu einer Schwangerschaft führte.
Das Kind war auf der Welt und scheiße krank.
Wir haben ab Tag drei im Krankenhaus auf der Intensivstation gelebt und um ihr Leben gebibbert und da habe ich beschlossen, aufzuschreiben, was ich fühle.
Eigentlich gibt es Fritzis Geschichte nur meinetwegen. An sich und als Aneinanderreihung von Worten, die andere lesen können.
Gewissermaßen ist es unsere Geschichte. Ihre und meine. Die unserer gemeinsamen Familie, aber immer aus meinen Augen, über meine Gedanken und durch meine Hände in das Internet.

Ich stelle mir die Frage, ob diese Frage etwas anderes wissen will: Sie kann nämlich auch anders gelesen und mit Unterton verstanden werden.
Mit Hinterfragen und Anzweifeln - schlichtweg mit unterschwelliger Bewertung.
Habe ich verdient, dass diese Geschichte als wertvoll betrachtet wird? Habe ich dadurch besondere Aufmerksamkeit bekommen, die mir gar nicht zusteht? Habe ich Fritzis Schicksal genutzt, um mir Vorteile zu verschaffen?

Verbunden mit einer weiteren Frage auf meinen Sticker, die mich wirklich berührt hat, wird vielleicht ein Schuh draus. Nämlich:

Hätte es mein instragram-Profil ohne Fritzi überhaupt gegeben?


Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich das nicht weiß.
Es gibt ja kein Parallelleben, in dem es hätte anders machen können.
Aber klar, ohne Fritzi keine Briefe an eben dieses Kind.
Ohne lebenslimitierende Erkrankung des eigenen Kindes keine Notwendigkeit, das überleben zu müssen.

Ich habe lange Zeit Briefe ins Internet geschrieben und das Profil war privat. Erst als wir schon über ein halbes Jahr zu Hause waren und meine Briefe an meine Tochter und Texte an mich und über mich nicht weniger wurden, da habe ich mich gefragt, ob das anderen nicht helfen könnte.
Dass ich doch nicht die Einzige sein könnte, die das erlebt.
Und dann habe ich begonnen ganz gezielt mit mehr Kraft in meinen Worten zu schreiben, was andere nicht können und das doch dringend Sichtbarkeit und Gehör braucht.


Ich habe eine Reichweite erreicht, die dazu führt, dass viele Menschen lesen, was ich stellvertretend auch für andere zu sagen habe.
Ich sage bewusst: Ich habe das erreicht.
Mein Profil wurde richtig groß als ich einen Text darüber schrieb, was Trost für mich bedeutet, wenn ich untröstlich bin und große Accounts wie der von Nora Imlau und backpackbaby ihn geteilt haben.
Es wurde nicht groß, weil Fritzi besondern lieb in die Kamera geguckt oder Quatsch gemacht hat.
Das Hummelchen zu zeigen und immer wieder abzubilden ist vor allem Teil meines Erinnerns geworden. Sie soll nicht vergessen werden.
In ihrem letzten Lebensjahr habe ich neben der Sichtbarmachung von Pflege und Elternschaft inmitten einer Pandemie bei seltener unheilbarer Krankheit auch Fritzi als Persönlichkeit festgehalten. Weil ich wusste, dass jeder weitere Tag mit ihr auch einer weniger in unserem gemeinsamen Leben bedeuten würde. Mein Profil ist ein Tagebuch. Eine Dokumentation und der beste Beweis. Dafür dass Liebe nicht immer reicht und niemals endet. Mein Profil ist meine und ihre Geschichte.

Und ich. Ich habe diese Geschichte geschrieben und tue das immer noch.
Ich werde gelesen und es passiert etwas mit denen, die das tun.
Und das ist, was ich mir wünsche und was ich genießen kann.

Dass die Pflegekraft einmal mehr die kraftlose Mutter in den Arm nimmt anstatt sie zu fragen, wie es schon wieder im Klinikzimmer aussieht.
Dass eine junge Ärztin sich noch im Medizinstudium entscheidet, Menschen am Lebensende zu begleiten und in die Palliativmedizin geht.
Dass andere betroffenen Eltern sich erinnern, dass sie immer gut genug sind. Dass trauernde Familien verstehen, dass sie nichts falsch und alles richtig machen.
Dass die, die gesund sind, sich dessen stärker bewusst werden und andere, die Hilfe brauche, eine Stütze sind.


Wenn ich etwas genießen kann, dann, dass das alles nicht umsonst war. Dass mein Impuls, zu schreiben, etwas verändert hat. Dass nicht allein mein Kind auf diese Welt kam und viel zu früh wieder gehen musste - sondern dass da was für immer bleibt.

Und während ich das fühle und tippe, läuft im Hintergrund immer eines ganz laut mit. Es ist der Grund dafür, dass mich eine solche Frage piekst.
Es ist nicht allein die Tatsache, dass ich als Frau so ein Thema mit Aufmerksamkeit an sich haben muss. Es ist die Tatsache, dass ich mir mein ganzes Leben lang schon einrede, dass ich nicht genug bin und das alles nicht verdient habe. Dieses Phänomen hat einen Namen: Es ist das Imposter-Syndrom. Menschen wie ich glauben daran, dass ihnen zufällig oder durch viel Glück etwas gelingt, das andere gut finden und honorieren. Dass wir selbst gut sind und Gutes tun, das glauben wir uns nicht.

Gerade komme ich aus dem Schnittfest im Trauerdorf (Opens in a new window), an dem wir besprochen haben, was wir in diesem ersten halben Jahr gesät und geerntet haben und was wir abschneiden dürfen, weil es uns nicht ausreichend nährt.

Ich habe mir das eigene Schreiben ermöglicht. In langer Vorbereitung auf einer Plattform, in die ich mich einarbeiten musste und mit finanziellen Rahmen, die mich nach wie vor überfordern, weil ich so schlecht einschätzen kann, was meine Arbeit wert ist.

Ich baue eine Community neben instagram auf, die mir ermöglicht, weniger Lohnarbeit und mehr selbständig verdienen zu können. Ich ernte Selbstwirksamkeit und Aufmerksamkeit - was mich nicht nährt?
Der ständige Selbstzweifel, ich sei nicht gut genug. Ich würde nur schön reden und alle da draußen fielen darauf rein.

Also sage ich heute Abend STOPP!
Ich schneide das ab.
Ich bin gut.
Ich kann schreiben.
Obwohl und weil mir Schlimmes passiert ist und ich mein kleinstes Kind für immer vermissen und ohne es leben muss, kann ich schreiben, was anderen hilft, zu lesen.
Das ist wertvoll. Ich bin wertvoll.
Und es ist mehr als angemessen, dafür Aufmerksamkeit und Lohn zu erhalten.

Ich arbeite noch am Genuss. Und vielleicht kann ich den in der nächsten Ernte einfahren. Das wäre schön. Machst du mit?

Judith

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