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Liebe Männer, kommt aufs Spielfeld!

Älterer Mann in Anzugjacke und mit Kopfhörern sitzt mit geschlossenen Augen in einer Straßenbahn.
Foto: Getty Images/Unsplash.com

Liebe Männer (und Angehörige anderer Geschlechter),

Ja, mit diesem Newsletter adressiere ich einmal euch, auch wenn ihr vermutlich eine kleine Minderheit unter den Abonnentinnen dieses Newsletters seid (vielleicht mögen ja manche diese Mail an möglicherweise interessierte Männer weiterleiten).

Anlass ist die neue Folge der Satiresendung “Die Anstalt” diese Woche. Sie hatte das Patriarchat zum Thema, und ich diskutierte am Mittwoch darüber in der Evangelischen Akademie Frankfurt mit den Redakteuren Dietrich Krauss und Max Uthoff. (Hier könnt ihr das bei Youtube anschauen.) (Opens in a new window)

Kurz gesagt: In der Sendung kommen Männer ziemlich schlecht weg. Und das natürlich völlig zu recht. Männer begehen die meisten Gewalttaten, bevölkern fast alleine die Gefängnisse, sichern sich die Fleischtöpfe der Gesellschaft und verursachen mit ihrem Lebensstil und Gewohnheiten enorme Kosten. Das ist alles wahr und ja auch nicht neu. Gut, dass eine Mainstream-Sendung im deutschen Fernsehen das endlich mal ganz ungeschminkt aufgreift.

Allerdings habe ich - feminist killjoy as usual - ein bisschen ein ungutes Gefühl mit dieser Erzählung. Gar nicht mal so sehr wegen dieser Sendung, sondern schon länger und ganz allgemein. Von bösen Männer ist seit einiger Zeit ausführlich die Rede, manchmal auch unter dem Label “alte weiße Männer”. Tatsächlich scheinen viele dieser Exemplare des Homo Sapiens inzwischen sämtliche Grenzen des Anstands hinter sich gelassen zu haben. Und sie sind damit super erfolgreich, die Trumps und Putins und Musks, die Merzes und Söders oder Gottschalks und Nuhrs und all jene, die ihnen zujubeln und nacheifern. Die “bösen Männer”, Alpha Males, Incels und wie sie alle heißen werden immer dreister. Diese Woche hat sogar einer gefordert, nochmal über das Frauenwahlrecht nachzudenken.

Mir scheint allerdings bei all diesen berechtigten Klagen ein Cringe- und Gruselfaktor mitzuschwingen. Wir schauen den bösen Kerlen mit wachsendem Abscheu beim Böserwerden zu, fast wie in einem Horrorfilm. Das Böse übt eine Faszination aus, die schädlich ist. Und manchmal, so ist mein Verdacht, hat das auch eine Entlastungsfunktion. “So schlimm bin ich aber nicht”, mögen viele Männer denken, wenn sie sich mit DENEN vergleichen. So schlimm ist MEIN Mann, mein Freund, mein Arbeitskollege aber nicht, denken wir anderen.

Und das stimmt ja. #notallmen is a thing. Wenn 94 Prozent aller Gefängnisinsassen Männer sind (ein Zahlenbeispiel aus der Sendung), dann heißt das im Umkehrschluss eben nicht, dass viele Männer kriminell sind, sondern die allermeisten Männer sind es nicht. Die allermeisten Männer sind auch keine Vergewaltiger oder Haustyrannen oder Diktatoren.

Warum ich das so betone? Weil mir immer mehr klar wird, dass wir hier am eigentlichen Problem vorbeireden. Wir verwenden all unsere Aufmerksamkeit und Energie auf die 20 Prozent “bösen Männer”, während wit uns viel viel dringender mit den 80 Prozent “nicht bösen” beschäftigen sollten. Ob die alle “gut” sind, sei dahingestellt, aber ich meine diejenigen, die keine Frauenhasser sind, die sich halbwegs anständig benehmen, die dem Feminismus durchaus etwas abgewinnen können, die nicht im Traum auf die Idee kämen, das Frauenwahlrecht in Frage zu stellen oder sonst irgend einen Aspekt der Gleichberechtigung. Die verstehen, dass die ungelöste Care-Krise ein Problem ist, die meinen, dass Abtreibung zumindest in den ersten Monaten der Schwangerschaft erlaubt sein muss, und die es nicht okay finden, dass Frauen im Schnitt so viel weniger Geld und Macht und Posten haben als Männer .

Dass rund 80 Prozent aller Männer in diese Kategorie fallen, ist natürlich eine grobe Schätzung, unter den männlichen Abonnenten meines Newsletters sind es hoffentlich 99 Prozent, aber ich denke, so ungefähr wird das schon hinkommen.

Aber genau die, die “nicht bösen” Männer, sind, finde ich, ein Problem. Also ihr, geneigte Leser dieses Newsletters. Denn allzu viele von euch glauben, dass ihr ein gutes Gewissen haben könnt und genug getan habt, wenn ihr keine Antifeministen und Sexisten seid. Dass ihr aus der Sache raus seid, wenn man euch nichts von all dem vorwerfen kann, worüber wir bei den “Bösen Männern” ins Gruseln kommen.

Aber das stimmt nicht. Denn der Hass auf freiheitsliebende Frauen und generell auf Menschen, die ihre Sexualität und Geschlechtsidentität anders ausleben, als eine von rechtsaußen verkündete “Norm” es vorschreibt, geht nicht nur Frauen was an. Es geht euch was an. Weil “Anti-Gender” sich zu einer handfesten Gefahr für die Demokratie gemausert hat. Aber immer noch kriegen viel zu wenige von euch Arsch hoch und treten aktiv und eigenverantwortlich für feministische Positionen ein.

Nehmen wir zum Beispiel das Thema Abtreibungsverbote. Sie sind eine Menschenrechtsverletzung, und das wisst ihr auch. Deshalb seid ihr ja dafür, den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Aber ihr fragt auch: Muss das gerade jetzt sein? Macht uns das nicht Probleme? Tatsächlich hat die Redaktion der “Anstalt” nach Männern gefahndet, die sich aktiv für die Streichung des 218 einsetzen, aber keine gefunden.

Und so geht das bei anderen Themen weiter. Ihr seid auch dafür, dass es mehr Geld für Frauenhäuser und Gewaltprävention geben sollte, theoretisch. Praktisch fallen euch dann aber, wenn es konkret an Budgetverteilung geht, tausend andere Sachen ein, die auch wichtig sind. Klar, ihr macht selber keine sexistischen Witze, jedenfalls nicht wissentlich, aber andere welche machen, widersprecht ihr auch nicht. Ihr greift nicht ein, wenn euer Chefs Frauen unfair behandelt, ihr benutzt geschlechterinklusive Sprache nur, wenn Feminist*innen im Raum sind, ihr lest keine feministischen Bücher, sondern verschenkt sie höchstens zu Weihnachten an eure Freundinnen. Und so weiter und so weiter. Die Beispiele mögen variieren, aber ich denke, ihr versteht, was ich meine.

Beim Kampf der Rechtsextremen gegen die weibliche Freiheit steht ihr irgendwie unbeteiligt an der Seitenlinie, so als wäre das nicht euer Spiel. Sicher, ihr drückt den Frauen die Daumen und würdet euch freuen, wenn sie gewinnen. Aber ihr spielt nicht mit.

Manche Feministinnen versuchen, euch auf das Spielfeld zu locken, indem sie auf die Lasten hinweisen, die das Patriarchat auch für euch Männer mit sich bringt. Weil doch auch Männer unter starren Geschlechternormen leiden und so weiter und so weiter. Das ist natürlich richtig, aber als Argument überzeugt es mich nicht. Mehr noch: Diese Argumentation ist bei Männerrechtlern auf wunderbar fruchtbaren Boden gefallen. Sie sind jetzt auch noch die wahren Opfer.

Was politisch interessierte, an Freiheit, Gerechtigkeit und gutem Leben orientierte Menschen angeht, so sollte sich politisches Engagement nicht auf Egoismus und die Verteidigung persönlicher Interessen gründen. Denn es geht um die Welt und um die Art und Weise unseres Zusammenlebens. Dafür sind Geschlechterverhältnisse ein zentrales Thema. Es betrifft alle Menschen, nicht nur die Frauen. Wer sich aus der Debatte raushält oder sie niedrig priorisiert, handelt fahrlässig.

So, genug gerantet und sorry für den Predigtton, manchmal muss sowas bei mir raus.

Weiter unten gibt es wieder wieder “Antje las ein Buch”-Empfehlungen und auch Bücher zum Verschenken,

herzlich,

Antje Schrupp

Neu im Internet

Mord aus Höllenangst. (Opens in a new window) Diese Woche ist ein Film über Depression und Suizidwünsche im 18. Jahrhundert ins Kino gekommen: “Des Teufels Bad”. Hier meine Empfehlung - und Entrüstung.

Humor ist… Die Anstalt über das Patriarchat. (Opens in a new window) Über die neue Folge der Satiresendung diskutierte ich in der Evangelischen Akademie Frankfurt mit den Redakteuren Dietrich Krauss und Max Uthoff.

Antjelas ein Buch

Neu auf meinem Youtube-Kanal:

Corine Pelluchon: Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe. (Opens in a new window)

Anselm Schubert: Christus (m/w/d). Eine Geschlechtergeschichte. (Opens in a new window)

Alice Cherki: Frantz Fanon. Ein Portrait. (Opens in a new window)

gute Links

“Erst Hellseherin, dann US-Präsidentschaftskandidatin.” (Opens in a new window) Das Desaster in den USA hat wenigstens den Nebeneffekt, dass Victoria Woodhull mal wieder entdeckt wird. Und wenn ihrs noch genauer wissen wollt: Mein Buch ist aus diesem Anlass auch wieder aufgelegt worden (Opens in a new window).

Throwback

Simone Weils Plädoyer für die Abschaffung der politischen Parteien. (Opens in a new window) Dieser schon 13 Jahre alte Text von mir wurde jetzt vertont. Aber Simone Weil ist ja immer aktuell. Wer ihn lieber lesen möchte: hier. (Opens in a new window)

Termine

Freitag, 22. November 2024 | ONLINE
Geschlechtergleichheit in Religionen: Mythos oder Wirklichkeit?
Veranstaltung der Ahmadiyya Muslim Jamaat Dieburg, 19 Uhr mit Markus Tiedemann, Regina Ammicht Quinn, Barbara Stollberg-Rilinger, Adil Ahmad Khalid und mir. (Link) (Opens in a new window)

Buchgeschenke

Manchmal habe ich Bücher doppelt, zum Beispiel als Print und als E-Book, oder ich habe eins versehentlich zweimal gekauft (schusselig wie ich bin), oder ich habe das Buch zwar gelesen, will es aber nicht behalten, oder ich sortiere mein Bücherregal aus …

… deshalb frage ich hier im Newsletter nach, ob jemand ein Buch geschenkt haben will.

Diesmal gibts:

Alice Cherki: Frantz Fanon. Ein Portrait
Julia Fritzsche: Oben ohne
Emma Goldman: Frauen in der Revolution. Reden (schon etwas vergilbt)

Bei Interesse bitte einfach per Mail mit dem Betreff Bücherverlosung Newsletter“Adresse schreiben, first come first serve. Wer mag, kann mir anschließend die Portokosten per paypal an post@antjeschrupp.de (Opens in a new window) ersetzen, aber muss nicht. (Wirklich nicht).

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