Feminismus in Trumps goldenem Zeitalter

Donald Trump ist bekanntlich ein Fan des „Goldenen Zeitalters”, wie er es nennt, nämlich der Zeit zwischen 1870 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Diese Zeit, so sagte er im April bei einer Pressekonferenz im Oval Office, sei die beste gewesen, die Amerika je kannte: „Wir hatten keine Einkommenssteuer und waren trotzdem so reich wie nie.”
Die Historikerin Lauren Thompson schrieb dazu auf ihrer Facebook-Seite (Opens in a new window): „Wissen Sie, was zwischen 1870 und 1913 geschah? Es gab zwei Wirtschaftspaniken, bei denen viele Arbeiter*innen hungerten und arbeitslos wurden. Wissen Sie, wer in dieser Zeit „reich“ war? Die Carnegies. Die Vanderbilts. JP Morgan, der fast im Alleingang die Geldversorgung der Nation kontrollierte. Auf dem Aktienmarkt gab es wilde Schwankungen. Die Arbeiter*innen wurden mit Pfennigbeträgen entlohnt. Menschen aus der Mittelschicht verdienten Geld, kauften Häuser und verloren sie regelmäßig wieder. Es gab keine wirtschaftliche Stabilität. Wissen Sie, worauf sich der Kongress aber stattdessen konzentrierte? Auf die Verabschiedung von Obszönitätsgesetzen, auf die Besessenheit mit Sex und der Reinheit weißer Frauen. Sie bereicherten sich an Schmiergeldern aus Industrien wie der Eisenbahn. Sie lehnten Appelle für das Frauenwahlrecht und Gesetze gegen Lynchjustiz ab. Die Regierungen der Bundesstaaten verschärften die Rassentrennungsgesetze und verabschiedeten Gesetze, um zu kontrollieren, was in den Klassenzimmern gelehrt wurde. Kommt uns das irgendwie bekannt vor?”
Tatsächlich sind die Parallelen zwischen der Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts und dem Vorgehen der zweiten Trump-Regierung erstaunlich. Diese Erkenntnis hat mir mein jüngstes Buchprojekt gebracht, das kurz vor dem Abschluss steht. Darin stelle ich drei Revolutionärinnen aus genau dieser Zeit vor. Und vieles, was derzeit in den USA passiert, sehe ich vor diesem Hintergrund mit anderen Augen. Es ist nämlich alles viel weniger absurd, als es aussieht. Donald Trump ist nicht wie ein bösartiger Außerirdischer über die USA gekommen, sondern er spielt auf einer Klaviatur, die in der Kultur des Landes eine lange Tradition hat und fest verankert ist. Sie war nur lange nicht an der Oberfläche. Unsere Generation hat nichts davon mitbekommen, wir haben Amerika bisher nur im Licht von 1968 peace love and happiness wahrgenommen.
„Unter allen Umständen frei. Revolutionärer Feminismus bei Victoria Woodhull, Lucy Parsons und Emma Goldman” ist der Titel des Buchs, es kommt im August raus. Danke an Sina Hauer vom Ulrike Helmer Verlag (Opens in a new window), die die Idee gleich unterstützt hat! Der Zeitraum deckt ziemlich genau das „goldene Zeitalter” von Trump ab - obwohl es eher ein „vergoldetes” Zeitalter war, wie Mark Twain es nannte: außen glänzend, aber in Wahrheit geprägt von Armut, Brutalität, Rassismus, Skrupellosigkeit und Korruption. Mich hat interessiert, wie freiheitliche, revolutionäre, feministische Politik damals aussah. Die drei Frauen sind mehr oder weniger Zeitgenossinnen - Woodhull ist 1838, Parsons 1851, Goldman 1869 geboren. Ihre Geschichten berühren sich, zeigen aber auch eine Entwicklung. Und wie immer schreibe ich ihre Geschichte nicht als Gegenprojekt zu den Ideen von Männern, sondern mich interessieren gerade die unterschiedlichen weiblichen Zugänge und Anliegen.
Ein wichtiger Aspekt sind die größer werdenden Differenzen zu den weißen bürgerlichen Feministinnen, die mit ihrer Forderung nach rechtlicher Gleichstellung mit den Männern im Lauf des „goldenen Zeitalters” immer weniger revolutionär wurden und den Fokus immer einseitiger auf die Wahlrechtsfrage legten, während sie soziale Anliegen ausblendeten oder sich sogar gegen die Anliegen von Schwarzen und Arbeiter*innen stellten. Victoria Woodhull suchte 1870 noch nach Wegen für eine mögliche Zusammenarbeit, bei Emma Goldman ist 1910 das Verhältnis zu direkter Gegnerinnenschaft geworden.
Ein zweiter wichtiger Punkt, der, wie ich glaube, vielen von uns hier in Europa gar nicht so klar ist, liegt in der Bedeutung des Rassismus für das US-amerikanische kulturelle und gesellschaftliche Selbstverständnis. Bevor ich mich so intensiv mit dieser Zeit beschäftigt habe, hatte ich die Vorstellung von einem mühsamen, viel zu langsamen, aber dennoch fortschreitenden Weg zum Besseren. Dass nach der formalen Abschaffung der Sklaverei am Ende des Bürgerkriegs 1865 der Rassismus aber über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich zunahm, dass die Verhältnisse schlimmer wurden und nicht besser, hatte ich, ehrlich gesagt, in dieser Klarheit nicht auf dem Schirm.
Und der dritte Punkt: Ich glaube, dass ich erst jetzt so richtig verstanden habe, wie das US-amerikanische Verständnis von „Freiheit” tickt: Freiheit ist dort unmittelbar an die Behauptung von Gleichheit gebunden, das bedeutet, „frei” sind Menschen dann, wenn sie miteinander auf eine Weise verkehren, die all ihre tatsächlichen Unterschiede ausblendet. Der Milliardär und der Tellerwäscher begegnen sich im Raum der Politik auf Augenhöhe, und das ist der Beweis dafür, dass sie frei sind. Das bedeutet aber auch: Jedes Gesetz, jede staatliche Maßnahme, die Umverteilung, Schutz vor Ausbeutung oder dergleichen vorschreibt, also die real existierende Unterschiedlichkeit von Menschen adressiert und dadurch entstehende Nachteile ausgleicht, wird als Eingriff in die Freiheit wahrgenommen - und zwar, und das ist ein Unterschied zu Europa, auch von den Benachteiligten selbst.
Natürlich ist es kein Zufall, dass ich Frauen ausgewählt habe, die nicht aus einer weißen, bürgerlichen Perspektive Politik gemacht haben, sondern mit einem, wie man heute sagen würde, intersektionalen Blick. Woodhull kommt aus der prekären Unterschicht, Lucy Parsons ist in die Sklaverei geboren, Emma Goldman eine jüdische Immigrantin aus Osteuropa. Das bedeutet allerdings nicht, dass die drei Protagonistinnen untereinander oder im Gegenüber zu weißen, bürgerlichen Feministinnen einig wären. Sie setzen deutlich unterschiedliche Schwerpunkte in der Art und Weise ihres politischen Engagements, aber auch bei den Inhalten. Zum Beispiel beim Thema freie Liebe - Victoria Woodhull und Emma Goldman sind Fans, Lucy Parsons strikt dagegen, jedenfalls dagegen, das auf die revolutionäre Agenda zu setzen. Ebenfalls kontrovers und für uns heute eine echte Irritation ist die Gewaltfrage - sowohl Lucy Parsons als auch Emma Goldman haben sich nie prinzipiell von Bombenanschlägen und Attentaten als legitime Mittel des revolutionären Kampfes distanziert. Wie finden wir das?
Ich freue mich drauf, das Buch nun bald in die Freiheit zu entlassen und bin gespannt auf die Reaktionen und Diskussionen. Im Übrigen habe ich auch versucht, es nicht nur gelehrt, sondern auch unterhaltsam zu schreiben. Es ist schließlich eine super-spannende Geschichte, das mit dem Feminismus, und meiner Meinung nach bestens geeignet für die Lektüre im Bett oder am Strand!
Denn auch wenn Emma Goldman den Spruch mit dem Tanzen bei der Revolution nicht gesagt hat, so stimmt er inhaltlich ja schon: Politik muss unbedingt auch Spaß machen, revolutionäre und feministische Politik zumal. Erst recht, wenn die Zeiten gefährlich sind.
Ich grüße euch herzlich,
Antje
PS: Ganz unten gibt’s wieder Buchgeschenke!
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Kilian Jörg: Das Auto und die ökologische Katastrophe
Eva Illouz: Warum Liebe weh tut
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