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"Aber in der Steinzeit…"

"Das war schon immer so: Männer gehen zur Jagd, Frauen kümmern sich um die Höhle."

(Antwort aus dem Bullshitbingo der #RosaHellblauFalle - Sammlung der häufigsten Reaktionen auf unsere Arbeit, von Menschen, die erstmal negativ reagieren, bevor sie die Reichweite der Problematik verstanden haben. Hier unsere Antwort zum Weiterdenken:)

Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto spärlicher werden die Quellen, die etwas darüber erzählen könnten, wie Menschen damals gelebt haben: Was wissen wir schon von den zwischenmenschlichen Beziehungen und Hierarchien in der Steinzeit, von der alltäglichen Aufgabenverteilung in diesen großfamiliären Strukturen, von den Vorstellungen von Geschlecht?

Und je spärlicher die Quellen werden, desto größer wird der Spielraum für (Fehl-)Interpretationen. Das gilt insbesondere für die fiktionale Darstellung in Büchern und Filmen, in der bildenden Kunst und in Computerspielen. Eine große Herausforderung in der Geschichtswissenschaft und Archäologie ist es also, sich nicht von den aktuellen, gewohnten, eigenen Lebensverhältnissen leiten zu lassen, die so naheliegend sind als Projektionsfläche, Vergleichsmöglichkeit und zur Veranschaulichung. Und wenn die Wissenschaft diese unbewusste Verwurzelung in der Gegenwart und Prägung, den sogenannten Unconscious Bias überwindet, dann entstehen faszinierende neue Perspektiven und Einblicke in Geschichte, Drei Beispiele:

• ‚Der Krieger von Birka‘

ist eines der berühmtesten Wikingergräber in Schweden, prächtig ausgestattet mit Schwertern, Pfeilspitzen und zwei offensichtlich geopferten Pferden. Eine genauere Vermessung des Skeletts und schließlich eine DNA-Analyse ergaben nun, dass es sich bei diesem idealisierten Krieger um eine Frau handelt. Und im Zuge dieser Entdeckung wurde klar, dass auch in einigen schriftlichen Quellen ausdrücklich von Kriegerinnen die Rede ist. Diese Textstellen waren davor allerdings als mythologisch und unwichtig abgetan worden.

• Die Liebenden von Modena

2009 wurde bei Bauarbeiten ein händchenhaltendes, eng umschlungenes Skelettpaar entdeckt. ‚Die Liebenden von Modena‘ wurden schnell zu einem Symbol ewiger Liebe stilisiert. Genauere Untersuchungen haben nun ergeben, dass es sich um zwei verstorbene Männer handelt. Ob es sich nun tatsächlich um ein homosexuelles Paar handelt oder hier Brüder, Freunde oder Kriegskumpane begraben sind, das Beispiel macht deutlich, wie wenig wir eigentlich von den zwischenmenschlichen Beziehungen vor 1.500 Jahren wissen.

• „Am Anfang schrieb die Frau“

lautet die Überschrift einer Pressemitteilung der Ludwig Maximilians-Universität München. Ein Forschungsteam der Hochschule hatte herausgefunden, dass einer der wichtigsten und ältesten Texte der mesopotamischen Literatur von einer Frau stammt.

• Equal Care

Und als letztes Beispiel: Die strikte Trennung von Haushalt und Familie (Innenwelt) auf der einen, und Beruf und Politik (Außenwelt) auf der anderen Seite entstand erst im Lauf des 19. Jahrhunderts, und wurde durch Regelungen wir Ehegattensplitting und Familienversicherung gesetzlich gefördert und durch Darstellungen in Kunst und Literatur als (neue) Normalität etabliert.

Fazit:

Wie auch immer die Geschlechterverhältnisse in der Steinzeit oder im Mittelalter gewesen sein mögen, in den aktuellen Auseinandersetzungen für mehr Gleichstellung geht es nicht um Gene oder prähistorische Prägungen, sondern um die politischen und sozialen Entwicklungen der vergangenen 70, vielleicht 150 Jahre, mehr nicht. Und obendrein geht es nicht so sehr darum, wie es vielleicht mal war (nur um daran festhalten zu können), sondern um die Frage, wie wir in Zukunft gut und fair zusammen leben wollen und was es dafür (an Veränderungen) braucht.

Sorry, not sorry, but don't shoot the messenger 🤷🏻‍♀️

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