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"Höhlen sind ja eher was für Mädchen"

Dieser Text ist ein Fundstück von unsrer Backup-Festplatte. Er hat es nicht ins Buch ('Die Rosa-Hellblau-Falle') geschafft, weil er laut Lektorat "zu viel Eltern-Bashing" enthält. So gar nichts Aufmunterndes, das Eltern mitnehmen könnten. Lösungsansätze, Frau Schnerring! Nicht nur kritisieren. Joa, sorry, das geht eben nicht immer :D

Aber urteilt selbst:

Das Himmelbett an sich ist sowieso weiblich, habe ich gestern erfahren. Von der Mutter eines Elfjährigen. Sie suchte eine Möglichkeit, ihrem Sohn auch ohne Hochbettnische eine gemütliche Ecke mit Kissen im seinem Zimmer einzurichten. Als ich ihr eine Art Höhle vorschlage, aus Stoff von der Decke hängend, ob das wohl was für ihren Sohn sei, fragt sie zurück: "Als Junge?" So dass mir ein lautes "Hää?" rausrutscht. "Ja!", erklärt sie ausführlich, als sei damit alles gesagt. 

"Echt jetzt?", ich will es nicht wahrhaben, dass sie sich keine geschlechterunabhängige Höhle vorstellen kann. Aber so kommen wir nicht weiter, ich muss weg von diesem einsilbigen Hin und Her, also Argumente mit Detail: "Du musst doch keine Herzchen draufmalen", fange ich an, mich unbeliebt zu machen. "Ich weiß, was du denkst, Almut, aber er braucht jetzt eher was Cooleres." Sie weiß, was ich denke? Das ist toll, denn ich weiß rein gar nicht, was sie meint. Kann sie sich keine Variante vorstellen, die nicht mit Prinzessinnen-Baldachin zu tun hat? "Ach so, mit Neandertalern drauf, meinst Du, oder was?", sie findet 's lustig, während ich vom Glauben abfalle. Hilfe! 

Stoff, der von der Decke hängt ist uncool? Es mag ja sein, dass sich am Ende der Überlegungen herausstellt, dass es zu aufwändig wird, unpraktisch, zu teuer, zu – was weiß denn ich! Aber zu weiblich?! Man kann doch auf Lösungen kommen für eine Matratzen-Kissen-Lese-Ecke mit Stoffhimmel, ohne dass das Geschlecht dabei eine Rolle spielt! Doch offenbar haben sich die Werbebilder von Stoffhöhlen und Spielzelten aus dem Spielzeugkatalog schon so in den Elternköpfen eingenistet, dass sich da keine eigene Idee mehr entwickeln lässt. Was früher eine alte Tischdecke war, gibt es jetzt in perfektionierter Form: für Mädchen in rosarot mit Sternchen drauf, ein Prinzessinnenschloss, was sonst. In grün sind rosa Blüten und rote Käfer drauf  das Schloss wird zum "Feenhaus", drin sitzt laut Verpackung immer ein rosagekleidetes Mädchen. Für Jungs dagegen wird eine Burg draus, Schwerter und Ritter drauf, ist klar. Wenn überhaupt, wo Höhlen doch von Natur aus weiblich sind, heißt ja nicht ohne Grund "Die Höhle". Ich habe eben keine Ahnung.

Eltern reichen die Grenzen weiter

Dabei gibt es die besten Höhlen gar nicht gekauft, die besten Höhlen entstehen, wenn Kinder selbst entscheiden. Zur Kinderzimmerausrüstung gehören bei uns zwei alte Leintücher in zartem rosa - die waren eben noch da; von meiner Oma wahrscheinlich. Bisher ist Kay beim Höhlenbauen dabei, aber er ist auch zwei Jahre jünger als der Sohn meiner Freundin. Was weiß sie über Jungs, was ich noch nicht weiß? Ich hoffe, Kay wird auch später noch Verwendung finden für die beiden blassrosa Leintücher und den Geschichten die darunter erfunden wurden, mal sehen. Aber wie sollen Kinder sich von den vorgegebenen Designs freimachen, wenn schon die Erwachsenen nicht auf den Gedanken kommen, dass das möglich wäre? Wer bei der Vorstellung einer Stoffhöhle schon das Geschlecht der zukünftigen Höhlenmenschen mitdenkt, nimmt sich damit ja im Voraus jede Freiheit und sorgt dafür, dass sich auch das Kind immer mehr in der entsprechenden Geschlechter-Schublade einrichtet. Als Bestätigung sozusagen. Es reagiert auf die Eltern, deren Erwartungshaltung und Klischeegedanken. Den Anfang machen die Eltern und die Umwelt, nicht das Kind. 

Denn die Studie, die eine natürliche Bevorzugung von Stoffhöhlen durch Mädchen nachweist, muss erst noch gefälscht werden. Vielleicht findet sich bald ein Forscherteam, das mal wieder bei den Jägerinnen und Sammlern nachsieht? Ohne Umwege könnte man die Ursache in der Urzeit finden, der Biologismus ist eine tolle Sache, passt eigentlich immer. In der Stoffhöhlenfrage schlage ich die folgende Hypothese vor: Der Jäger, immer unterwegs auf der Suche nach Grill-Fleisch, ist auf der Pirsch. Das dauert seine Zeit bis er auf das geeignete Ur-Rind trifft. Währenddessen hat sie Himbeeren gesammelt, die Blaubeeren übersieht sie, ist ja klar bei der Veranlagung... Jetzt sitzt sie in der Höhle und wartet. Sie hängt hier noch ein Fell an die Wand, dort noch einen Urschaf-Teppich von der Decke, putzt hier noch ein Staubkörnchen weg, da noch ein paar Härchen vom vorletzten Urzeitrind. Putzen ist ihr in die Wiege gelegt! Alles ist bereit für seine Rückkehr. Sie macht es gemütlich, damit er 's auch recht schön hat, wenn er von der anstrengenden Jagd zurückkommt. "Trautes Heim - Glück allein" (Auch von meiner Oma, ein Stickspruch.) Und – taraaa – hiermit sei wissenschaftlich bewiesen, dass den Mädchen die Liebe für kuschelige Höhlen angeboren ist. Macht ja nix, dass das ein Narrativ des 19. Jahrhunderts ist und all die Rulaman-Geschichten wenig mit der Steinzeit zu tun haben. Hauptsache es klingt gut.

Oder wir drehen es um: 

Er bewacht die Höhle. Es ist seine Aufgabe, sie zu bewachen, denn dafür braucht es für den Fall eines Angriffs Männer, die kämpfen können. Die Frau wird auf die Jagd geschickt, damit er in Ruhe Feuer machen kann. Auch das Feuer bewachen kann sie nicht. Grillfeuer ist was für echte Männer. Während Fleisch und Blut allein schon wegen der Farbe ein Tabu ist für Männer. Er sammelt also, derweil sie mit ihren Freundinnen auf der Jagd ist, einen Fellsack voll Blaubeeren, Kaktusfrüchten und Schwarzwurzeln. So hat alles seine Ordnung. Und so versteht sich von selbst, dass auch Spiel-Höhlen im Kinderzimmer eher was für Jungs sind, während Mädchen damit gar nicht groß was anfangen können. Sie können eben auch nicht so gut still sitzen, brauchen ja auch mehr Bewegung als Jungs. Muss man verstehen. Nicht.  ¯\_(ツ)_/¯

P.S. Wir haben dann das Thema gewechselt. Ich weiß bis heute nicht, ob der Junge seine Kuschel-Sitzecke bekommen hat. Und zehn Jahre später wäre das alles kein Problem gewesen, denn inzwischen hat sich die Strategie des Gendermarketing so breit gemacht, dass man ohne Problem Stoffe "extra für Jungs" mit Urmenschen und coolen Was-auch-immer findet: "Für Jungen bietet sich Stoff in Armeefarben an (grün, beige, braun) oder mit einem Druck aus Steinen" (helpster.de) 🙈. Guten Abend. 

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