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Es steht im Gesetz.

Gendersensible Pädagogik in den Bildungsplänen der Länder.

“Es steht im Gesetz.” ist das letzte Argument, das wir vorschlagen für den Ausstausch zwischen Eltern, Kita-Teams, pädagogischen Fachkräften und Lehrer*innen, wenn es um die Rosa-Hellblau-Falle geht. Aber manchmal braucht es Fakten statt ausführlicher Erklärungen und Studien.

In der Vorbereitung für die nächste Veranstaltung zur Rosa-Hellblau-Falle bin ich in den Bildungsplänen der Länder hängengeblieben und möchte meine Recherche teilen - wie immer mit dem Anliegen, euch mit Argumenten zu versorgen für Gespräche auf Spielplätzen, Elternabenden, Familienfeiern, in Team-Sitzungen. Auf unserem Blog (Opens in a new window) habe ich schon 2020 eine Zusammenfassung von Zitaten aus unterschiedlichen Handlungsanweisungen (Opens in a new window) veröffentlicht. Der Artikel belegt, dass die Entscheidung für oder gegen gendersensible Pädagogik nicht in der Hand der Einrichtung oder Fachkraft liegt, sondern in den Bildungsplänen verankert ist. Es gehört also dazu, zum Beruf der Erzieher*in, die eigene Prägung zu reflektieren und Kindern Alternativen aufzuzeigen zu engen Rollenbildern. Jedes Bundesland formuliert seine Anweisungen ein bisschen anders, und ich habe angefangen, die Zitate zum Umgang mit Geschlechterrollen zusammenzutragen, nach Ländern zu sortieren und jeweils als Infoblatt zum Download zur Verfügung zu stellen. Einige sind schon online (Opens in a new window). Heute, für diesen Newsletter, möchte ich vier herausgreifen:

  • Niedersachsen

  • Sachsen

  • Baden-Württemberg

  • Hamburg

Niedersachsen

Niedersachsen

Hier gilt ganz klar:

Alle Kinder müssen ihre eigene Geschlechtsidentität entwickeln können, ohne durch stereotype Sichtweisen und Zuschreibungen in ihren Erfahrungsmöglichkeiten eingeschränkt zu werden.

Ein Punkt, der vielen Fachkräften gar nicht bewusst ist, weil ihr Fokus darauf liegt, die Kinder mit Wissen “versorgen”. Darüber übersehen sie, was sie selbst darüberhinaus an unbewussten Botschaften über Rollenbilder weiterreichen:

Eine gute Zusammenarbeit im Team lebt auch davon, dass eigene Stärken und Schwächen angesprochen werden und eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen geschlechtsspezifisch geprägten Profession der Erzieherin/des Erziehers möglich ist.

Hier wird deutlich, dass Erwachsene dieses Wissen nicht in sich tragen, sondern dass es eine Auseinandersetzung, Selbstreflexion, evtl. Fortbildung und den Austausch im Team braucht.

Im Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für Niedersachsen ist von “Kindern” die Rede, das Wort “Mädchen” kommt (in Kombination mit “und Jungen”) nur 14x vor, “Gender” wird gar nicht erwähnt, die entsprechenden Passagen nutzen “Geschlecht”.

sachsen

Sachsen

Mein eigener Bias in Bezug auf Sachsen hat mich hier erwischt: ich war nicht überrascht, dass es im sächsischen Dokument auf 109 Seiten Treffer für das Wort “Mädchen” gibt; Geschlecht ist hier also immer präsent. Ein eigener Absatz erklärt “Gender”:

“Das soziale Geschlecht wird durch Erwartungen der Gesellschaft bestimmt”, heißt es da. Jungen und Mädchen würden mit Erwartungen konfrontiert, die mit ihrem sozialen Geschlecht zusammenhängen. “Doch […] was passiert, wenn sich Mädchen und Jungen ihrem jeweiligen Geschlecht nicht angemessen verhalten? Wie wird mit vielfältigen Sexualitäten (zum Beispiel Transsexualität, Homosexualität) umgegangen"?”

An der Stelle wird diffus auf “die Gedanken des Gender-Mainstreaming" verwiesen. Irritiert hat mich auch der Begriff “geschlechtsloses Kind”:

“Statt das Kind als “geschlechtsloses” Kind zu sehen […], sollte es in seiner Vielfältigkeit und seinen individuellen Bedürfnissen aus der Situation heraus, erlebt werden.“

Die Aussage ist zwar als ganze positiv zu werten im Sinne der Wahlfreiheit, aber, ich frage mich, ob es gut ist, diesen impliziten Vorwurf aus dem Bullshitbingo der Rosa-Hellblau-Falle aufzugreifen: “Die Genderisten wollen alle grau machen und die Geschlechter abschaffen!” 🤔 Trotzdem stellt der Sächsische Bildungsplan in mehreren Passagen und in der hier ausgewählten ganz ausdrücklich klar:

Geschlechtssensible Pädagogik gehört zum Job!

Und im Lauf der Lektüre stellt sich heraus, dass ausgerechnet - oder aus Gründen? - die Anweisungen für Kita-Fachkräfte in Sachsen besonders detailliert und mit Beispielen versehen sind. Da ist nichts angedeutet und zur Interpretation offengelassen: Wer die eigene Prägung unreflektiert weiterreicht und Kinder auf stereotype Vorstellungen einengt, handelt nicht im Sinne des Kultusministeriums Sachsen:

BAden-Württemberg

Baden-Württemberg

Der ‘Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten’ des Kulturministeriums klingt, als hätte schon in der Version von 2011 die Initaitive der ‘besorgten Eltern’ mitgemischt. (Zum Hintergrund der Wiki-Artikel ‘Kontroverse um den Bildungsplan 2015 (Opens in a new window)‘). Populistische Flugblätter mit Falschinformationen und Demos gegen die “Frühsexualisierung” von Kindern, unterstützt von AfD-Politikern, haben 2014/2015 vor allem in BaWü dafür gesorgt, dass das Konzept der gendersensiblen Pädagogik aus den unterschiedlichsten Richtungen heftig kritisiert wurde. Im Kern geht es der Initiative und ihren Anhängern um die Unsichtbarmachung aller Familienformen und Lebensweisen, die nicht der heteronormativen Vater-Mutter-Kind-Familie entsprechen. Diese Haltung liegt auch dem aktuell geltenden Orientierungsplan von 3/2011 zugrunde. Der Begriff “Geschlecht” hat nur auf acht Seiten Treffer, im kurzen Kaptiel ‘Mädchen und Jungen’ steht, dass “Einschränkungen in der Geschlechterrolle aufmerksam zu beobachten” seien, und dass “bewusst auch mal Väter gebeten werden mitzuwirken”.

“Aufmerksam beobachten”, und dann was? 🤨

Doch, es gibt einen Absatz, der alles enthält, was es braucht, um zu belegen, dass gendersensible Pädagogik und die Selbstreflexion der eigenen Rollenbilder keine Option, sondern Pflicht ist:

Darüberhinaus ist die Broschüre angefüllt mit rührenden Zitaten (Matthäus, Galilei, Churchill, Rousseau, Picasso, de Saint-Exupery - why tho?!). Will sagen: sie weicht dem Thema Gender aus, so gut sie kann, Angaben sind so allgemein und vage gehalten, dass sie keine Angriffsfläche für Anti-Genderaktivisten bieten, aber auch keine weiteren Aussage enthalten, dass mit Kindern die Themen Geschlechternormen, stereotype Erwartungen und Einschränkungen bearbeitet werden müssen - nicht aus einer irgendwie gearteten (politischen) Haltung heraus, sondern schlicht weil Diskriminierung und Ausgrenzung, Vielfalt und Anderssein zu ihrer Realität gehören, sodass Kinder Fragen dazu haben.

hamburg

Hamburg

Erleichterung: die Formulierung in den Bildungsempfehlungen für Hamburg (Opens in a new window) sind eindeutig und könnten zitiert werden, falls a) Eltern die gendersensible Pädagogik des Teams kritisiert oder b) Fachkräfte an engen Rollenzuweisungen festhalten und Kritik von Eltern zunächst abwenden:

Erzieherinnen und Erzieher achten darauf, die Kinder nicht durch stereotype Sichtweisen und Zuschreibungen in ihren Erfahrungen zu beschränken, sondern vielmehr durch eine geschlechterbewusste Erziehung und Bildung ihnen neue und ergänzende Erfahrungsmöglichkeiten zu bieten. […]

Und auch hier, ähnlich wie in der niedersächsischen Handreichung:

„Erzieherinnen und Erzieher [...] reflektieren ihre eigene Biographie, um im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen auf mögliche „blinde Flecken“ oder vorurteilsbehaftete Interpretationen aufmerksam zu werden.“

Tut sich was?

Alles in allem bin ich überrascht über die ausführlichen Anweisungen. Als ich vor 10 Jahren zum ersten Mal dazu recherchierte, hatte ich mehr Mühe, Informationen zum Umgang mit Gender und stereotypen Denkmustern zu finden, bin aber nicht sicher, ob’s an meiner verblassten Erinnerung liegt, oder ob im einen oder anderen Bundesland die Broschüren tatsächlich überarbeitet, aktualisiert und vielleicht sogar verschärft wurden. Falls ja, ist das ganz in meinem Sinne, auf dass diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zukommt in Kita und Schulen.

Theorie und Praxis

Was bleibt ist der Missstand, dass die Forderungen zwar im Raum und immerhin auf Papier stehen, die Umsetzung in der pädagogischen Praxis aber nur dann gewährleistet ist, wenn das Thema durch Pflichtveranstaltung in der Ausbildung angehender Erzieher*innen auch vermittelt wird. Und wenn Erzieher*innen, deren Ausbildung noch ohne Informationen zu Gender, Rosa-Hellblau-Falle und Gendermarketing stattfand, verpflichtet würden, sich fortzubilden.

Randnotiz:

es geht hier um keine Wissenslücke, die sich einer Generation zuschieben ließe, sondern sie hängt leider aktuell noch ab vom persönlichen Interesse und Weltbild. Da sind zum einen die jungen Kita-Fachkräfte, die mit ihrem Wissen zur gendersensiblen Pädagogik von den lang-im-Amt-Kolleg*innen abgewiesen werden, Tenor: “Für uns ist das ja nichts Neues, wir sind da längst reflektiert und behandeln die Kinder so, wie sie auf uns zukommen! - Ach, der Max, hast du wieder Mädchenschuhe an heute?”. Und zum anderen begegnen uns die ratlosen Ü50-Fachkräfte, die sich wundern, wo all das Wissen über rosa-blaues Schubladendenken, das sie für Allgemeinwissen hielten, bloß hin verschwunden sei: “Die jungen Mütter heute kleiden ihre Töchter alle in Pink und erlauben ihren Söhnen keine Schwäche - waren wir da nicht schonmal weiter?”

Ja und Nein. Aber das ist dann mal Thema für einen späteren Newsletter.

Fürs erste hoffe ich, dass die Auswahl an Zitaten und ihre Sortierung nach Ländern eine Hilfe ist und Mut gibt, das Thema anzusprechen, wo Kinder in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt werden. Alles Gute dafür!

Bunte Grüße

schickt Almut

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Topic Rosa-Hellblau-Falle

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